Déjà vu oder Telepathie?


© Edyta Brixa

Big Brother is watching you und hat beinahe alles unter Kontrolle. Die staatlichen Überwachungsapparate werden heutzutage quasi überall installiert. Die Autobahnen und Schnellstraßen in vielen europäischen Ländern werden mithilfe infraroter Kameras rund um die Uhr gefilmt, um alle Fahrzeuge datenmäßig zu erfassen. Die Museen besitzen neben einem hochsicheren Alarmsystem in fast jedem Ausstellungsraum Kameras, mit denen sie sowohl Kunstdiebe beim Diebstahl als auch Durchschnittsbesucher beim peinlichen in der Nase Bohren oder Gähnen aufzeichnen. Alle Bankfilialen in Westeuropa sind mit neuesten Hightechalarmanlagen und Sicherheitstüren aus Panzerstahl ausgestattet. Trotzdem werden sie tagein tagaus von professionellen Bankräuberbanden aus dem Osten oder von einem elegantem Herren mit einem Lächeln auf den Lippen und Pistole in der Hand ausgeraubt. Alle Sicherheitsmaßnahmen scheinen der menschlichen Geschicklichkeit und Ideenreichtum nicht gewachsen zu sein und dadurch zum Scheitern verurteilt.

Unsere - technisch gesehen - perfekte Computerzivilisation dominiert von Megakonzernen wie Microsoft, IBM, HP, Toshiba & Co. überholte Anfang des 21. Jahrhunderts die schlimmsten Befürchtungen, die George Orwell in seinem Roman "1984", in dem er seine düsteren Zukunftsvisionen erfolgreich zu Papier brachte:
KRIEG IST FRIEDEN
FREIHEIT IST SKLAVEREI
UNWISSENHEIT IST STAERKE
Das Ministerium für Wahrheit beherbergte, so erzählte man sich, dreitausend oberirdische Räume und eine entsprechende Anzahl unterirdischer Verästelungen. Über ganz London verstreut gab es nur noch drei andere Bauwerke von ähnlichem Aussehen und Ausmaß. (George Orwell, "1984")

Nicht nur das menschliche Verhalten, wie z. B. das Desinteresse oder die Hyperaktivität eines Besuchers in einem staatlichen Museum werden überall auf der Welt - insbesondere in hochtechnisierten Staaten - detailgenau gespeichert und ausgewertet, sondern auch persönliche Daten, manchmal sogar intime Details des Lebens, die man eher verdrängt, wie die Scheidung, Gefängnisstrafe, oder ein einmaliger Psychiaterbesuch werden auf Schritt und Tritt rigoros durch das bürokratische Datensystem dokumentiert, um - je nach Bedarf - neuerlich von vorne aufgerollt zu werden.
Die Kameras, die einem braven Steuerzahler ein Gefühl von Sicherheit und Ordnung vermitteln sollen, sind auf öffentlichen Plätzen einer Metropole zu finden: auf dem Bahnhof, in der Metro, in Supermärkten, in Parkgaragen, im Spital, im Nationalmuseum, im Finanzamt und auf den Drogenumschlagplätzen, etc. Trotz des raffiniert ausgeklügelten Überwachungssystems kommt es jeden Tag aufs Neue zu Banksüberfällen, Einbrüchen in Privatvillen, Morden und Vergewaltigungen. Die meisten Opfer von Gewalttaten sind Frauen und Pensionisten, weil sie sich nicht wirklich zur Wehr setzen können und sich selbst überlassen sind.

Die Exekutive nimmt sich das Recht heraus, über voreilig gehorsamen Massen die staatliche Kontrolle auszuüben, öfters mithilfe der menschenfeindlichen und umstrittenen Gesetze. Dazu fällt mir ein treffendes Zitat von französischem Kultschriftsteller Michel Houellebecq ein:
Wir leben zwischen der psychiatrischen Polizei und den Aufpassern, die uns einreden, dass wir alles ausprobieren müssen. Uns gegenüber sind Millionen Individuen, die nichts zu verkaufen haben als ihre Körper. (Houellebecq, Interview im "Volltext", Nr. 2/2006).

Der menschliche Aspekt kommt sowohl im modernen Überwachungsstaat als auch in einem durchschnittlichen Großunternehmen, das streng hierarchisch aufgebaut ist, viel zu kurz. Die einfachen Büroangestellten werden aller schwerwiegenden Entscheidungen beraubt. Die mittleren und höheren überbezahlten jedoch unterqualifizierten Führungskräfte haben das Sagen in einer profitmaximierten Firma. Der Vorstand, der seinen Sitz in der mächtigen Chefetage hat, entscheidet über die Schicksale der hierarchisch darunter liegenden Menschen, indem - kühl und distanziert - ausgesucht per Zufallsgenerator überflüssige Angestellte rausgeschmissen werden.

Eine etwas andere Form des Überwachungssystems wird heutzutage in multinationalen Großkonzernen mit fix geregelten Frühstücks-, Mittags- und manchmal sogar Klopausen angewendet. Die restriktive Einschüchterungstaktik kann sogar soweit gehen, dass sie bei einem ohnehin schon wegen seiner sozialen Stellung unterdrückten und deprimierten Büromenschen Existenzängste auslöst. Im Extremfall führt das autoritäre und menschenunfreundliche Arbeitsklima zu Mobbing, das mit einer persönlichen Frustration zusammenhängt und schwere Depressionen, Magengeschwüre oder im Endeffekt sogar Suizidgedanken zur Folge haben kann. Die berufliche Verwirklichung bleibt in einem Betrieb mit seinem vernetzten Kontrollsystem, der permanent Gewinne auf Kosten von ausgebeuteten Arbeitskräften erwirtschaftet, auf der Strecke. Die Menschen mit ihren Schwachstellen, wie z. B. die Emotionalität, sind noch nicht imstande, die fehlerfrei funktionierenden Maschinen zu ersetzen. Im Gegensatz dazu hätten kybernetische Kreaturen genug von Menschenhand eingehauchtes Potenzial, um wenig kreative Tätigkeiten mithilfe mechanischer Bewegungen zu verrichten, um den Schichtarbeiter vom Fließband zu verdrängen. Ist das noch traurige Zukunftsmusik oder schon Realität?


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