I C H

© Janko Ferk

 

 

Als ich später lernte, Gedichte schön zu finden, konnte ich keines mehr schreiben. Natürlich habe ich die Fuge unter dem Lid, hier und dort, gesehen. Ich habe sie wahrgenommen, als Versuch oder vielmehr als Zeugnis eines Versuchs in der Vergangenheit. Jenseits der Gesichtskunde habe ich geschaut und festgehalten.
Zunächst habe ich gesehen, dann – wie es heißt – geschrieben und schließlich habe ich erkannt, daß etwas sein kann wie sein Name.
Ich war unterwegs und auf der Suche. Der Reiz, der wirklich ein Gedichtbeben  auslösen konnte, war das kleinste Stilleben. Ein leeres Blatt Papier; ein Bleistift, gespitzt; ein düsterer Tag und ein Hauch von einem Gedanken: Windaroma, Wassergeruch oder so etwas  und schon bauscht sich die Sprache. Dabei ist man nicht auf der Jagd, aber hinter dem Neuen her und aus auf eine Zeile wie auf sonst nichts.
Mitten im Buchstabieren höre ich genau auf meinen Widerklang, auf meine Stimme als Einzelsänger. Sowie die Saiten gespannt sind, ist der Klang da. Dann schreibe ich gleichsam von Häuserzeilen ab. Doch wer glaubt es.
Bevor etwas zum Glauben bereit ist, sitze ich mit vielen großen und kleinen  Buchstaben zusammen, vermenge sie, reihe sie um, streiche sie durch, lösche sie aus, rufe sie von neuem hervor, rette sie, hole sie weg von der Grenze des Vergessens in die Landschaft der Erinnerung, spiele sogar mit ihnen. Auch wirble ich sie durcheinander, vergleiche sie und wäge ab. Am liebsten führe ich zurück, schränke ein, setze herab, nein, das nicht, aber mindere und verkleinere. Ich wandle um, ab und herum. Wirklich, herum, tatsächlich. Doch eher nicht. Trotzdem hat alles letztlich seine eigene Sprache.
Bei der Sprache kommt sofort die wichtigste Frage auf. Wird sie bleiben. Wird sie nie vernommen werden. Ist sie nicht fremd, sondern unverständlich. Ich frage mich, ist sie so dicht, daß man sie übersetzen kann und betone die erste Silbe. Ist sie nicht fremd, sondern einfach verständlich, frage ich mich. Klar. Deutlich. Und unmissverständlich.
Bin ich der erste Unzufriedene, dann ergibt es keinen Sinn. Entsteht beim Umreihen, Streichen, Vermengen und Entgrenzen aber mein Friede, dann habe ich die vielen Wegweiser richtig gedeutet. Ich habe sie verstanden.
Mein Verstehen ist dem der anderen vorangesetzt. Verstehe ich mich nicht, wird mich auch ein anderer kaum verstehen. Er kann schwerlich den Sinn begreifen. Wie sollte er auch. Wenn schon ich nur mit Mühe erfasse, wie sollte es ein anderer. Falls ich das Entstehende nicht beherrsche, kann es ein anderer nicht verstehen. Vielleicht sagt der Dritte dann, sich abfindend, nur, ich habe es gelesen, aber nicht verstanden.
Und was sollte es zwischen dem, der die Buchstaben aneinanderreiht, und dem, der damit Bilder sieht, wichtigeres geben, als den einen Satz: Die beiden verstehen einander gut.
Im schlechteren der Fälle wird man es auch nicht verstehen, sobald man älter ist.
Versteht sich, daß das Begreifen noch dann lange nicht gesichert ist, wenn mein eigenes Verstehen jedenfalls vorangesetzt ist. Und wie. Das ist noch keine Gewährleistung.
Wie sollte der erste dem Dritten gegenüber eine Haftung übernehmen. Ich weiß ja nicht einmal, in welche Obhut ich meine Buchstaben übergebe.
Eines kann, nein, darf ich ohne Umschweife und ohne einleitende Redensarten sagen: Ich bemühe mich. Das heißt ganz sicher nicht, daß ich mich abmühe. Es bedeutet, daß ich redlich bin. Geradeheraus gesagt, ich will den umweglosen Satz; das unumständliche Wort; den Punkt am richtigen Ort.
Der Blick des anderen soll über die Zeilen gleiten können, er soll sich nicht  in Wortfesseln oder Fußfallen beziehungsweise Wortfallen verheddern.  Nun, was heißt das denn. Wortfallen. Verheddern. Wortfallen ja, aber verheddern. Beim Schreiben sollte ich, mehr getraue ich mich nicht vorauszusetzen, Fäden verweben, zu einem Muster, zu einem Ganzen, zu einem Stück. Sobald ich den Faden verliere, und sei es für den Bruchteil eines Augenblicks, ist es durcheinander und der Dritte kann mir nicht mehr folgen – wie er es sollte. Zurückbleiben könnte nur der Hechel. Deshalb denke ich mir oft, Schreibe adagio!  Ich befehle es mir fast.
Schreibe adagio!
Für mich ist nichts ... verwerflicher als das – das Wort sagt es – Dahingeschluderte. Nichts lehne ich mehr ab als das Oberflächliche, Ungenaue, Fadenlose.
Unentwegt mache ich mir Gedanken über das Verweben der Wörter zu Sprache. Diese Überlegungen halte ich für mich fest. Irgendwie sind es kleine Versuche über das Schreiben. Urteile. Vor und nach.
Seit ich mit den Wörtern arbeite, zeichne ich diese zusammengedrängten  Zeugnisse auf. Hie und da lese ich die Sätze wieder und mache mir neue Gedanken über es, das Suchen in der Landschaft der Sprache.

Einiges sei hier wiedergegeben:
Schreiben allein genügt nicht.
Das Geschriebene soll sich nicht widersprechen, sondern ergänzen.
Laß’ die Welt in den Büchern geschehen und das Leben zwischen den Zeilen.
Der weite Weg zu einem geraden Satz.

Mein Schreiben möchte ich in den Zustand der Raum- und Zeitlosigkeit versetzen. Jeden Buchstaben. Damit es gilt: zu jeder Zeit, überall und für jeden.
 
Ein richtiges Wort: Buchstabe!
Wenn schon Werke, dann keine Machwerke!
Und dann dieser Zustand: Schließlich hilft nur noch das Schreiben.
Tagsüber verwerfe ich, was ich nachts geschrieben habe.
Fühlen. Denken. Wollen. Schreiben.
 
Beim Schreiben: Eins werden mit der Schrift: Eins sein mit ihr: Ich lebe im Satz. ( Und dazu die Erklärung: Nicht als ich, sondern als es: das Gefühl, das Schreiben. )
Stundenlang schreibe ich, zwinge mich fast dazu, dann auf einmal, um Mitternacht, ist die Lust da! Wie ein kleines Glück.
Sätze weglassen, die nicht dazugehören.

Auch den folgenden Satz finde ich in den Aufzeichnungen:
Schreiben ist ja vor allem schön. Es gibt wenige Gegenden, die so schön sind wie das Dichten.

Und dann weiter:
Auch wenn ich einige Zeit lang nicht auf Papier schreibe, sondern nur im Kopf, Satz für Satz, verlerne ich es nicht. Die Sätze im Kopf, wie Blitze oft, sind vielleicht noch wichtiger, denn sie sind das Gefühl.
Die Nacht, in der ich, ohne auch nur einmal wegzuschauen, schreibe, schreibe und schreibe.

Eine unsterbliche Seite schreiben./ Dann tot umfallen./ Und in den Zeiten weiterleben.// ( Seligkeit durch Unsterblichkeit. )

Immer wieder mit dem Schreiben anfangen.
Du willst schreiben. Du hast die ganze Geschichte im Kopf und wartest auf den ersten Satz, weil du ohne ihn keinen weiteren bilden kannst. Du wartest die ganze Nacht. Am Morgen gehst du ohne ihn schlafen. Im Traum hörst und siehst du ihn. Wenn du nach Stunden aufwachst, ist er für immer weg. Diese Geschichte wirst du nie schreiben können. Niemals.
Ich habe endlich das richtige Papier  gefunden. Die Sätze fliegen wie von selbst den Zeilen zu. Lange werden sie dort nisten. Wieviele Zeilen müssen geschrieben und dann gelesen werden, damit neue Sätze fliegen lernen. Und nur die Landung zählt.
Ich will im Geschriebenen zuhause sein. Und in der Sprache.
 
Irgendwann habe ich die allseits bekannten Foltersätze aufgeschrieben:
Schreibst Du noch viel? ( Oder noch besser: ) Schreibst Du noch fest? Schreibst Du jeden Tag? Schreibst Du wieder einmal `was? ( Foltern, mit geheuchelter Freundlichkeit und vorgetäuschter Neugierde. Wahrlich,  ein grausames Spiel. )
 
Das zu Boden segelnde Blatt Papier.
Über das Schreiben: Augenblicke der Freiheit.
Weil ich jetzt nichts sage, werde ich dann schreiben.
 
Meine Sätze werden immer kürzer. Langsam gehen mir die Worte aus. Oder die Wörter. Wer weiß.
Die Wiedergabe eines Bruchteils zeigt die Richtung an, das Wollen, die Absicht, für mich ebenso die Spannung, die sich beim  Arbeiten ergibt, ist doch das Ergebnis – trotz des Zielgerichtetseins – unbekannt, oft fremd, überraschend und in seltenen Fällen  geglückt, beglückend oder zu guter Letzt erfolgreich.
Im eigentlichen ist es immer eine Reise in das Unbekannte, obwohl – und ich wiederhole mich selber – das Schreiben ( ... ) ja vor allem schön ist.  Gleichzeitig ist es ein Forschen, Ergründen, und in seltenen Fällen ein Ansatz von Erdgründen, wenn man sich mit dem Buchstabieren eine eigene kleine Welt zusammenfügt. ( Die Überschrift dazu wäre: Die Erdkunde des Schreibenden. )
Jedenfalls ist es immer wieder der Versuch, anders zu schreiben, nichts zu wiederholen, nach Möglichkeit etwas einzubringen, wenn möglich quer zum Vorhandenen zu arbeiten, so daß der, der auf der anderen Seite sitzt, das  Blatt nicht sofort gelangweilt wendet, sondern sich mit Neugierde die Zeilen entlangtastet.
Und nach dem Tasten ganz einfach denkt: Gibt es von dem auch noch etwas anderes.

Nach dem sogenannten Fertigsein, dem Zuendeschreiben meist so etwas wie Angst vor jenem, der auf einer anderen Höhe Tag für Tag schreibt, mein Wortgewebe auf seinen Tisch bekommt, um es sorgfältig oder weniger sorgfältig zu prüfen, zu mustern oder abzuwägen, um es dann zu besprechen und gleichzeitig zu beurteilen.
Weiß dieser dann, daß nichts vollkommen sein  kann. Weiß er, daß ich Mut haben muß, und zwar die Kühnheit, Unerschrockenheit und Fähigkeit, mich in jene Gefahr zu begeben, in der ich etwas Redliches, Lauteres, aber nicht Ganzvollkommenes ihm und dem Dritten zwar nicht aussetze, aber übergebe, damit er es freundlich oder weniger freundlich richtet.

Wen, wenn er alles das in Betracht zieht, kann das kleinste Stilleben  doch zum Schreiben bringen. Doch noch. Und immer wieder. Nur den Unentwegten und Verwegenen.
 


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