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Zu den Kopfarbeiten von Gerhard Jaschke


© Burghart Schmidt


Erst einmal sieht man den auffälligen Einsatz von Scherenschnitt, einer wie uns scheint, sehr kindlichen, aber sehr scharfen und spitzen Kunst. In der Aktualität, um die es Gerhard jaschke immer gegangen ist, meint der Scherenschnitt aber hier zunächst die vollendete Spiegelbildlichkeit zwischen negativ und positiv, positiv und negativ, und das in einem Augenblick. Das macht ja die Schärfe des Scherenschnitthaften aus, die sofortige Umklappbarkeit, für die das Spiegelbild als Bild gebraucht, noch zu viel an Licht- und Leuchtvermittlung wäre. Hier knallen das Schwarz-Weiß, oder Dunkel-Hell aufeinander, was da spiegelbildlich sich als Positiv und Negativ verhält.
Und ich glaube, sich für ein solches Verfahren näher zu interessieren, trifft eine gesellschaftliche Prozeßstruktur, in der wir uns aufhalten. Wir leben in einer Welt, in der die Gegensätze gar nicht mehr sich in Widersprüchen, Kämpfen und Konflikten entfalten, sondern sofort da sind. In ihrer Ausgeschlossenheit gegeneinander. Das scheint wohl das Wichtige zu sein, was uns die heutigen Theoretiker der Massenmedien über unser mediales Zeitalter verkünden können. Wir sind augenblicklich bei allem, was sich letzten Endes ausschließt, wie heiß und kalt, und schwarz und weiß, das trifft im Scherenschnitt aufeinander. So weit, daß man sich heute, und das ist wirklich eine Angelegenheit der letzten zehn Jahre, sehr wohl an den Kopf faßt und zu überlegen beginnt und es nicht für blanken politischen Zynismus erklärt, wenn etwa Brigitte Erler, die lange Zeit in der BRD Amnesty International leitete, in einer rechtspolitischen Diskussion vertrat: "Weil alles, was wir an Hilfe für die 3. Welt leisten, sofort genau das Gegenteil von Hilfe ist, nämlich Schaden, wäre vielleicht der Abbruch jeder Hilfe die einzige Hilfe, die wir zu liefern hätten." Das ist natürlich irreal-utopisch gedacht, und dieses Sinns rein utopisch als Provokanz, nicht als Realisationsvorschlag. Aber solches muß in unserer heutigen Lage des sofortigen Umschlagens des sich Widersprechenden tatsächlich überlegt werden: Was ist daran? Vor fünfzehn Jahren hätte man noch von einem politischen Zynismus sprechen können, man hätte über die Provokanz hinaus sich um dialektische Umwege bemüht, heute liegt das beieinander. Der Versuch Gerhard Jaschkes, aktuell sein zu wollen, hat hiermit so sehr zu tun, daß Sie nur einmal sich lösen müssen vom Einzelobjekt, das ausgestellt wurde, um das Scherenschnitthafte insgesamt durchzugehen, dann entsteht ein Flimmern und Schimmern von potentieller Bildlichkeit, wie wir es von unseren Medienschirmen kennen. Das Schimmern einer Leinwand oder eines Videorecorders, die jederzeit plötzlich ganz fremde Bilder auf uns losschießen können, während sie sich augenblicklich noch im Nebel verhalten. Das Gleiche werden Sie verfolgen können dort, wo Gerhard Jaschke eine frühere Arbeit der politischen Profile demonstriert als einen Fußbodenbelag ganz enggefügter Fliesen. Und damit sind wir schon bei den beiden sprachlichen Schlüsselbildern, die Gerhard jaschke vom Titel her gebraucht hat: Kopfarbeit, das ist seine Kopfarbeit, die in die Hände übergeht an Köpfen, und: Fugetten, das ist seine Arbeit am Ineinanderfügen bis zu einem Fußbodenbelag aus positiv-negativer knallhafter Scherenschnittbildlichkeit. Wenn dieses relativ einfache Manöver zwischen positiv und negativ von Gerhard Jaschke selber diskutiert wurde, innerhalb dessen, was seit den 60er Jahren Fluxus genannt wird, so liegt das wohl daran, daß Fluxus dasjenige, was noch Objekt wird in der Kunst, handhaben will wie bloße Requisiten. Requisiten im Theater haben ja das Eigentümliche an sich, daß sie theatralisch nur dann wirken, wenn sie in ihrem Erscheinungsbild weder nach Ausdruck noch nach Eindruck sehr komplex zu wirken beginnen, denn dann hätten sie als Requisiten für das Agieren des Theatralischen ausgespielt. Requisiten müssen eben mit einem Wort handlich sein in der theatralischen Aktion. Handlich und damit also relativ übersichtlich, ohne Betrachten in ihre eigene Existenz und ihre komplexe Struktur einzubeziehen. Und dieses Requisitenhafte begegnet hier in einer Netrtralität der Objekte, auch in einer gewissen Sauberkeit, die auf das drängt, was Fluxus will, Objekte letzten Endes so einfach, daß sie allen Schein und alle Aura des Kunsthaften verlieren. Das lag im Fluß eines aktuellen Debattierens von Walter Benjamin gegen die Aura am Anfang der 60er Jahre. Der Kampf gegen den Eigenraum der Kunst verlangte das Vorantreiben zu Objekten, die sich rücksichtslos vervielfältigen lassen, ohne jeden Verlust. Die Scherenschnittköpfe von Gerhard Jaschke aus den letzten Jahren haben für mich das an sich. Er hat mir auch Originale zeigen können, und Sie sehen in der Ausstellung ebenfalls Originale, zusammen mit den entsprechenden Vervielfältigungen. Und siehe da, da wird das original zum bloßen Hilfsmittel, das leider noch ein paar kleine Macken hat gegenüber der Reproduktion, die kann perfekter die Linie durchhalten. Das Original hat leider noch etwas von der Nervosität des Schneidenden an sich, was der Reproduktionsapparat ausgleicht, oder Ihr eigener Blick darauf. Also der Sinn einfacher Objekte, die allemal in die verschiedensten Wirkungen eintreten können, ist gemeint. Das ist eben das Fluere in Fluxus, das auf Fluß Ausgerichtete, in dem ein Objekt sich dadurch, daß es entweder grenzenlos vervielfältigt wird oder nur ein Moment in einem Akt ist, verflüssigen sollte. Die derzeitige Ausstellungsart der Präsentation hat freilich mit Aktion zunächst nichts zu tun. Die Betrachter müssen sie von den Objekten her bilden, die aber Aktionen nahelegen. Etwa, indem der Fußbodenbelag aus Scherenschnittköpfen ausgebreitet ist, findet sich die Gelegenheit, ein Kinderspiel zu wiederholen. Mir hat dieses Spiel viel Spaß gemacht im Herbst, wenn man sofort hineinlaufen konnte in die großen Blätterhaufen und sie zum Aufwirbeln brachte, und wie fallen die Blätter zurück, auf die Farbseite, auf die relativ fade Rückseite oder halb/halb oder so? Herbst der Kopfbilder auf dem Fußboden wäre vorstellbar. Und trotzdem bleibt eine gegenständliche Spannung, die in Probleme von Realismus und Naturalismus zurückzuführen scheint über die Kopfarbeit, nämlich das Merkwürdige, demzufolge man auf der einen Seite das Zersprengen von originaler Aura in der Kunst erfährt, auf der anderen Seite gerade das Inversuchunggeführtwerden zu äußerster Individualität und Singularität. Bei den Scherenschnittköpfen hier schaut man nach, wer das denn jetzt eigentlich sei mit seiner Nase oder mit seiner Handhaltung. Aber Sie fragen nicht so nach, wie Sie gegenüber naturalen und realistischen Intentionen der Kunst im klassischen Sinn nachgefragt hätten, nach den schönen Menschen, den häßlichen Menschen, der schönen Landschaft oder gar nach dem entsprechend klaren Typus, wie nach der Gestalt von Richard III. oder so. Das wäre eben alles klassische Typologie. Bei jaschkes Scherenschnitten fragen Sie nicht nach den Typen, sondern Sie beginnen das Enträtselungsspiel des Herauskletzelns, wie man wienerisch sagt, der Individuen, die das sein möchten. Typologisch wird es erst, mit leichten religiösen Anklängen, wenn man da nach links schaut auf einen Schnitt" der für mich den idealen Camembertmönch anzeigt, indem er, der Schnitt, dem Krennprofil ähnelt.


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