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Der weibliche Name des Widerstandes


Marie Thérèse Kerschbaumer über Sr.Maria Restituta Kafka

Wir haben im Electronic Journal Literatur Primaer in der letzten Zeit mehrmals auf das Schicksal der Franziskanerschwester Restituta Kafka hingewiesen, die wegen Verbreitung eines Antikriegsgedichtes von den Nationalsozialisten hingerichtet wurde und deren Schicksal jetzt wieder im Lichte der Oeffentlichkeit erscheint.
Marie Thérèse Kerschbaumer hat dieser Frau bereits 1980 in ihrem im Walter Verlag erschienenen Buch „Der weibliche Name des Widerstands“ ein literarisches Denkmal gesetzt. Wir bringen einen kurzen Auszug.

Sie schreibt, sie verteilt die Zettel, die Aufrufe, sie betreibt Widerstand, sie fordert zum Widerstand auf (in Wirklichkeit ging sie ins Röntgenzimmer und hat diktiert), sie ist eindeutig schuldig, ja, ich bin schuldig, ehrwürdige Mutter, ehrwürdige Schwester, ehrwürdiger Priester, ich bin schuldig (nicht wie sie wünschten, nicht wie sie dachten, nicht wie sie wählten), ich bin schuldig einzuatmen die giftigen Rauchschwaden der Verbrennungsöfen, ich bin schuldig, mitanzusehen die Demütigung der rechtlosen Mitbürger, ich bin schuldig, Untertan zu sein eines teuflischen Systems, der letzten Konsequenz des gottlosen Mammon, des Götzen Baal, genannt Kapital (vergib uns, das haben wir wirklich nicht gewußt, wir waren immer so gehorsam). Hören Sie, Schwester, ein Gedicht, das müßte man abschreiben!
Widerstand mußte beginnen, wo trotz aller Anstrengung seitens des Staates seine Methoden versagten, beim einzelnen. (Inge Brauneis)
. Der einzelne Mann auf der Bahre, auf der Karre, der einzelne Mann, Kommunist? Sozialist? Atheist? Bolschewik? Radikaler? Sympathisant? Künstler? Demonstrant? Aufsässiger? Mensch? (interessant!) Der Bruder, der Vater der Nonne (der Angeklagte verantwortete sich dahingehend, daß auf Schubkarren ins Lager höchstens kranke Häftlinge gebracht wurden, verstorbene niemals), ein Kind seines Volkes, hat die Losung gegeben (Volk von Österreich! Wehre dich ... ), sie gab sie weiter. (Wollen sein ein einig Volk von Brüdern, oderso.)
So und so viele Zettelchen geschrieben und an so und so viele Feldpostnummern geschickt. So und so viele Male mit Handschuhen die Buchstaben aus der Zeitung geschnitten, zusammengefügt, aufgeklebt. So und so oft die so zusammengeklebten Teile an Mauern befestigt, über Zäune geworfen, in Häuser getragen, weitergegeben. So und so oft das Material aus der noch freien Tschechoslowakei hereingebracht, heimlich gedruckt, von einem Wiener Bezirk in den anderen gebracht, in den Betrieben verteilt, beim Treffen das Paket unter den Wirtshaustisch geschoben, das Liebespaar gespielt (das Paket kennst du nicht, falls wer fragt), und so und so viele Male glattgegangen und einmal hochgegangen und dann nach Ravensbrück gegangen, Kamerad (Amen).
Die Nonne Restituta in ihrer Zelle, im Schwesternzimmer, im Schwesterntrakt tut nichts von alledem. Sie schreibt in ihrer einfachen, schmalen, schrägen Schrift und trägt ein Lied auf den Lippen (Näher, mein Herr, zu Dir, auf zum Schwure, Volk und Land).
Und schreibt und klebt mit dem Speichel die schlecht gummierten Briefumschläge zu, Feldpostnummer sowieso: Der Bruder Schnürschuh ist nicht so dummIGebt acht, er dreht die Gewehre um! /Der Tag der Vergeltung ist nicht mehr weitlsoldaten, gedenkt eures ersten Eids: Österreich!
Helene in der letzten Bank sitzend und sich erinnernd...
Darf man so schreiben? Kann und darf eine Nonne, eine Frau, darf ein schwaches Weib, kann man heutzutage so schreiben, frage ich.
Die Operationsschwester bewegt leise die Lippen, zählt die Sekunden, zählt die Pulsschläge und wachet und betet und wartet und denkt.
Wir erzählen die Geschichte der Nonne Restituta, vormals Helene Kafka, Nonne des Frauenordens vom heiligen Franziskus, genannt Seraphikus (Franzi! Franzi! ich rufe dich!) von der christlichen Liebe, Operationsschwester im neuerbauten Trakt des Krankenhauses in Mödling bei Wien, verhaftet und angeklagt (Schnitt), Schriften verfaßt und vervielfältigt zu haben (Schnitt), die zum Kampf für die Befreiung (Achtung, kein Wort mehr), auf Grund einer Anzeige des Arztes, ihres Vorgesetzten (Waffen-SS, Uniform, nicht vorbestraft, im allgemeinen ein rechtschaffener Mann) (Großaufnahme, langsam ausblenden). Wir erzählen die Geschichte einer einfachen Frau aus dem Volk (Österreich), die allein, auf sich gestellt, aufrief zum Kampf (auch wenn es die Kirche nicht wahrhaben will), erzählen sie, weil, als wir sie erfuhren, Vergessen sich ausbreiten wollte, Vergessen schwer und dickqualmend wie Leichengeruch, über unseren Städten, über unseren Dörfern, über unseren Dächern (kein Wunder, bei diesem Gewissen), Vergessen sich ausbreiten wollte und Verleumdung.
Erzählen sie so, wie sie sich zugetragen haben könnte, wie es auch gewesen sein könnte. In einer Zeit, als in Ravensbrück in der Uckermark (genannt jugendlager) gewisse Ärzte ihre bekannten und unbekannten Experimente an Frauen machten, als unsere Söhne in der Anatomie ihre Brüder sezierten, die Delinquenten, als die fertigen Studenten den Frauen die Knochen brachen (das kommt vom Gehorchen, das kommt vom Horchen, das kommt von der Disziplin), als sie bösartige Geschwülste und Krankheitserreger infizierten, schön wissenschaftlich, versteht sich, mit lateinischen Namen, im Namen der Besatzungsmacht, Knochen aus und in ein anderes Bein einamputierten (Ja, in der Forschung, da waren wir immer schon Weltmacht), als sie Menschen auf Skelette reduzierten (nichts für Wehleidige, wehleidige Patienten sind höchst unerwünscht), als die gottvergessenen Vertreter eines angesehenen Standes (an oberster Stelle in der Beliebtheitsliste bei der Bevölkerung) mithelfen, die mit geschwollenen Beinen auszusondern (als wir davon natürlich rein gar nichts wußten) (geheim! strengstes Stillschweigen bewahren!), denn Verordnungen sagen noch gar nichts, gedruckte Sätze sagen noch gar nichts, ganze Kampfbücher sagen noch gar nichts, Rassenvorschriften sagen noch gar nichts, die nächtlichen Transporte, Aushebungen, Verhaftungen, Deportationen, Akten und Fakten, lebende Zeugen sagen einfach überhaupt nichts (also, Zeugin, entscheiden Sie sich: war es ein jüdisches Kind oder ein arabisches: der Angeklagte ist ein ehrenwerter Mann: and yet, he is an honourable man), alles schon dagewesen, immer wieder dagewesen, stets neben uns gewesen, immer noch unter uns gewesen, wer wird denn so kleinlich sein (überhaupt, wer wird denn gegen die Menschenrechte sein!), als dies alles geschah und während dies alles sein darf (denn die wirkliche Gefahr ist immer ganz wo anders!), ging Schwester Restituta durch den Operationssaal (aber nicht mehr lange, das verspreche ich euch), ein Gebet auf den Lippen. Sie zählt die Sekunden, sie zählt den Pulsschlag, sie wachet und betet und wartet und handelt.
In einer Zeit, als so und so viele Priester, Ordensleute und Katholiken (Protestanten, Bibelforscher, Zeugen jehovas) vernichtet, zerstört, gequält (von ihrer Kirche verlassen, von ihrem Bischof verlassen, aus ihrem Orden entlassen, aus der Kongregation entlassen, aus dem Kloster entlassen), nahm Helene Kafka, ein echtes Wienerkind, einen Bleistift zur Hand und schrieb mit schrägen, gleichmäßigen Schrifftzügen, mit lateinischen, gotischen Lettern (waren die Lettern lateinisch oder waren sie gotisch, Frau Zeugin!), schrieb ihren Brief (An die katholische Jugend) (der Aufruf ist nicht schlecht geschrieben, er hat psychologische Wirkung, geheim. Staatspolizei).


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