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ELFENBEINE


© Christoph Vivenz

1

Worte des Filigrans
Geflechts
Flechtwerk der Stille
und stillen Striche
der Finger über Glätten
mit sanften Hügeln
der Liebe
und letzten Momenten
des Lebens
Ich vergehe bedroht
von deinen Blicken
die mich veräußern
Ich schwinde
in deiner Hände Flut
greifende Lemuren
gänzliche Not enthüllst
du mir

2

Ein Schluß unserer Augen
die Wahrhaftigkeit
ist selten gespürt
Wir spüren ein Dämmern
hören leises Rascheln
es ist uns gehörig
solang wir nicht wissen
nur fühlen
und nehmen in uns
das Gebein
heimlichen Tags
sein Strahl vermag

3

Eine, die ich liebe
Elfenbein in deinen Augen schimmert
das ist lange vor meinem Verstand
dagewesen
Oder Bernstein
Gold
Mond - ich bin darin allein
Mond: Vergib mir die Sonne
aus der ich meine Sinne beiße
die sich in dir spiegelt
sie weiß mir die Milch

4

Morgenluft
Morgenduft
verschimmernde Gläser
ein tauiger Rasen
ein winkendes Schilf
ein zweigender,
in Winden sich
wiegender Baum
mein Gott,
der geht über's Meer
Wolken verhängen
dein Gut
deine Güte

5

("Lucifer")
Pfeile aus den Wässern
der Hölle
da Ohren uns schmerzen
wie sind wir vertan
unter unser'm Lärmen
Irrende Lichter
wollen nur verstehen
folgen ihrem
ungesicherten Pfad

Die Allgemeinen
Wir sind die Verhaßten
die wirklichen Mörder
wir raffen und
streben nach mehr
das Nichts ist
und sich löst
unter der Säure
unserer Hände
unser Atem
nebelt alles Feine
Reine ein
Wir hüllen es mit Gift
und finden den Kokon
nach den Beutezügen
hohl
Wir haben mit Hunger
uns selber geleert
Wir sind
uns're eigenen Huren
die über andere klagen
I.a. I.a. I.a. ... Rhabarber

KLINGSOR oder Nachtgesang

Klingen,
Klingen in den Wind hinein
Ich rieche Stille,
Sehe Farben,
Höre Helle.
Hat ein Hang,
Ein seelenvoller kleiner Klang,
Uns so tief beschwert.
Lauten,
Lauten von der Nacht erdacht;
Ein Stern vom Himmel gewunken.
Ich harre Wolken,
Lebe Ästeknarren,
Durchwühle unsichtbare Farben;
Spüre diese Dunkelheit.
Es hat ein Zug,
Ein luftloser,
Sich um unsere Stirn gedreht
Und sich
In unserem Bereiten
Durch unsere pupillenweiten Augen
Eingeweht.

Nachtgesang.

Ein unverwirrter Monoton
Berennt unvergoren
Unser starres Warten,
Tieft uns ab
Und holt uns ein
. Windschilf,
Wie wir brechen.
Ich suche Frage,
Finde Antwort,
Kenne Stimme,
die mich hält.
Hat ein Hauch,
ein spürbar feiner Hauch,
Einen Lippendruck
Auf unseren Schultern
Gelassen.

AUSGANG

Ich besinne mich
Ich gehe possierlich
mit über mich grübelnden Gedanken
Schwanger ist die Seele
Das Morden unter meinen Jahren
hebt an mich auszudeuten
Springe tot mit jedem Wort
Ich weiß nicht
was das heißt
als Freier war ich geboren
wenn ich dies denke
schwingt das Blut noch im Lot
Ich entsinne mich
Ich schwebte verglühend
über den Tiefen meiner Geister
noch unter den toten Häuten
wo ich mit Blindheit geschlagen
Nicht kenne ich Umkehr
Es kommt der Drang
Es gesellt sich der Morgen
Dämmert rasch ein Kniefall
verbirgt meine Lust
vor dem ewig wiederkehrenden Tag
Ich entspinne mich
Ich reiße mit Glut die ich meine
das Antlitz aus der Fassung
verriebene Verletzung
über allen Leib
Der Kopf gewinnt sich aus dem Sieb
Hieß ich mich Mensch
was konnt ich verstehen
Nun greife in die Einzelteile

WENN

Wenn
du jetzt hier
wärest,
du Irgenddu,
und wolltest
du mich
töten,
wenn
ich Arme
hätte,
mich zu stürzen
nur, zu fühlen,
festgehalten;
hinweg
mit aller Kälte,
die Wärme nur,
und wäre es
die eigenen Blutes
Lebendigkeit,
pulsierende Lebendigkeit
die mich wegnähme
weit von hier,
höbe
aus der Schwerkraft,
sänke
in Geborgenheit.
Wenn
du jetzt nur
kämst, jetzt
mit festem Willen,
ich würde
nicht mehr
glauben,
daß Lieblosigkeit
krank macht.
Ich würde
vergessen
all die siechen Tage,
in deren Mitte
ich gestorben bin

Betrachtung

Ein Mann, der einem Mann den Mann ausschlägt.
Ein Mann.
Essen
Fressen
Aufessen
Einen Mann aus der Haut ziehen.
Aufreißen wie ein Geschenk.
Freischälung, abschaben.
Zerfledderung.
Aufriß von hinten nach vorn.
Eine Spannung erzieht Sehnen.
Seelenzerrung,
die Zehrung auf dem Weg.
Ein Mann, der eine Frau umarmt,
die sich seiner erbarmt.
Verhärmung in der Gewalt,
daß man einander umarmt.
Komplexe Menschengestaltung.
Ein Mann, der einem Mann mit Worten die Zähne ausschlägt.
aber:
Essen, Fressen, Völlern, Saufen
Ersäufen
Kein Atmen ohne Augenschlag.
Essen, Fressen, Vögeln, Kitzeln, Kotzen, Aufzehren
Auszehren
Wir springen in Gedanken
im Tanz der Qual
Verbrüdern
Ein Mann, der einer Frau die Weichteile entblößt,
ist ein Mann, der eine Frau an den Haaren zum Altar zerrt.
Aber wer muß verstehen, was er hebt
was er zieht
was er fühlt
was er stirbt
was er zerteilt, entzweilegt, losläßt, in den Staub stößt, niedertritt,
um es aufzuheben,
um es erschlaffen zu lassen,
die Wärme sich ausgießend.
Komm, wühle:
wühle, Inneres
Innereien
eint
der Rausch des Einsamen
Ein Mann, der einem Mann einen ausgerenkten Arm zurechtrückt,
ist ein Mann wie derselbe Mann, der seinen Magen spürt.
Aufrichten. Aufregen
Verstehen. Aufgehen
Verwinkelung beachten
in den Raum dehnen
ausstrecken
aufblasen
aufschreien
die Errichtung (das Volk wirft mit Pflastersteinen)
Eine Frau, die einen Mann beherbergt,
wirft ihn eiligst wieder hinaus.
wirft ihn auf
wirft ihn auf
wirf ihn auf
wirf ihn aus!
Aber:
Verköstigung, Einspeisung
Aufnötigung
Eindrängnisse
Eindringlichkeit
Dringe den Eindruck
Eine Frau, die eine Frau überstreift, übergeht, streichelt, daß sie einfriert aus Gewohnheit,
ist eine Frau, die einen Mann vielleicht einmal genossen hat.
Vergehung
vergangen
was zu erinnern
woran kann man sich erinnern
warum kann man nicht stehen
warum -
Aus: Fragen
Rückkehr: der Kontext bricht sich
der Kontext setzt sich
selbst
Vergiß nicht das Bild!
Jeder Zeitverlust ist Verlust von Substanz.
Man rennt sich ständig gegen Wände
entgegen
in die Quere
hinterher
Stückwerk
Der Faden zerbricht mitten im Raum
wie ein Vorhang im Tempel
mitten entzwei
inmitten entzweit
ein Mann, eine Frau
eine Frau, ein Mann
ein Mann, ein Mann
eine Frau, eine Frau
Stücke Mensch
in Verleibung
Einverleibung schafft Neues
Stücke Werk: aus Substanzen
Verschwendung,
daraus,
nach Verlusten ein Umbau
Rüstzeug zu zeugen
und Kinder
ein Mann, eine Frau
eine Frau, ein Mann
ein Mann, ein Mann
eine Frau, eine Frau
gestimmt
Bestimmter geht es nicht
Bestimmt

LITANEI

Aus der Luft
Aus dem Finger
Aus der Hand
Aus der Zehe
Aus dem Fuß
Aus dem Auge
Aus dem Mund
Aus der Zunge
Aus dem Rachen
Aus der Stimme
Aus dem Schlunde
Aus dem Hals
Aus dem Leib
Aus dem Blut
Aus der Luft

beginne mich
beginne mich
beginne mich
beginne mich
beginne mich
verkünde mich
initiiere mich
besinne mich
bedinge mich
verbinde mich
infiltriere mich
betrinke mich
verwirre mich
gedichte mich
zerknirsche mich
erinnere mich
becirce mich
verliebe mich
verdiene mich
verlebe mich
bestimme mich
erübrige mich
verliere mich
erinn're mich
bewinsle mich
verwünsche mich
verwinde mich
entrinde mich
vernichte mich
verrinne mich
verschwinde mich
Koinzidenzen
akkumulieren
vollendetes Schweigen
hintertreibend
knirscht
kehlig zu der Laute
in manchen Mündern
Fieberträume
die uns mahlen
daß es reißt
aus allen Gliedern
kracht
Erbeten ist
ein starrer Blick
ein gespannter Leib
einwärtiges Auge
ein gestrecktes Glied-
maß, daß
dem was kommt
Gebotenheit ersteht
bereit die Welt
in einen Gang
zu setzen
und zu bluten
reinen Geist

Tägliche Schluchten

Hirn. Geschirrrascheln. Klirren von Fetzen.
Schritte. Schreiten durch den Schlamm.
Müll der Wohnung schlürft den Gang.
Hosenbeinentzücken. Ritzender Verschluß.
Strahlen nasses Blitzen. Rieselt der Rausch.
Nieder bäumen Schaum und Schleimesfluß.
Spüle entrichtet klärenden Hauch. Schuß.
Hustet gleich ein Wasserhahn. Feste Stöße.
Hell rasseln Wasser. Warmes Gleißen.
Feuchten Gliederhände so sie laben.
Willentliche Schliere, ein Reiben der Lauge.
Lust verbrennt in Feuchtigkeit heller.
Bürsten zurren auf den Schaum auf den Zaun.
Zähnend saugen Weiße, Gurgel röhre Mund.
Schlucken bloß nicht sabbernd was daran.
Rausch das ab in Güsse ab hinaus zu spülen.
Röhren greifen auf, das sprudelnd Strudel macht.
Stoßen in Unterwelten Reste von Wäschen.
Entseuchten Mundhohlheit, Achselinnenkeit.
Schwimmendes Schlagen ab Flüsse und Türen.

Glassplitter


von Spiegeln
Glas wie von Spiegeln
zersiebt durch ein Brett
sprich nicht daß nicht hörst
wie von Spiegeln
wie von niemals blinden Spiegeln
ist es Glas
ist das Glas
splitternd in/aus Kopf
hör mich an
daß ich sage
splittert auf das Glas
von Spiegeln
Spiegel
wundern Wunden nicht
steigen auf
wenn du sie triffst
stich fest Glas
stich fest das
spül Splitter
gegen dich/sich
aus tritt der Span
nach den andern einer
einer nach dem einen
jeder aus sich selbst
Klistier aus Kristall
dringt dir ein/aus
dringt herein
trinkt aus deinem Leib
den Fluß das Glas
erstarrter Fluß in Spitzen
in Schneidebrennern
dieser Art spiegelnd
brennend ist derart
Blendung unerspart
fenstert Spiegelglas
schichtet Spitzen
splittern Dornen
Seele spiegelnd
fester in der Art
härter in der Art
stachelnd
stärker in der Art

An einem stillen Ort vergraben
deine Haut, daß sie sagt
wes Wesen darum spannt
verschwendend seinen Stoff
Bleibt so nackt wie tot
und Zeichen über Erz
Dein Stamm so Frucht er trägt
nistet an dem Grabe
rauschen seine Blätter
mit jedem ersten Wind
Mit einem Stoß dinge
deine Lust – wer spürt
Geistes Sproß
daß der Gott der Liebe tagt.

Na, na, na die Verdauungsübung!

Fontanellende Geschöpfe wir dir mir

Unter dem Nachtgarten
wo Semiramis nicht Macht
hat schmachtet dein Ziel
gekeilt in seine Objekte
voll hitziger Scham du
kannst es pflücken hängen
seh'n daß Sterne
untergeh'n friedlich fast
so hat der Vodka nicht
Recht zu fluten Weichen
des bewußten Guts wo
der Kater seine Sünden
seine läßlichen Krallen
in wunde Seele schlägt
und Ritzen hintersetzt
Blutröte wie sie benetzt
wie sie dir Gaben bietet
die schmecken nach Rost
in dem ein Herz verhäkelt
gib dem Mohr den Rest
und hab still zu bedeuten
ein Ich im halben Träumen
Hat ein Ende sich bangig
anders als schließlich verhehlt

Das Ding hat keinen Namen

Trink Frauen,
Mann zur Melke geführt.
Hat Welken das Aug
im Schnabel.
Wenn der Tag
nicht aufhört.
es hat sich ausgepackt.
Geht baden der Mensch
trieft.
Scheuer Lappen.
Er bestochen
in ein Winden.
Wirft Luft gegen Wind,
Die Wand.

Der Turm.
So schwarz lockt er seine Vögel.
Komm nach Haus. Etwas stinkt.
Die Schwärze. Das Gemäuer.
Mörder, ihrer wie viele in hier.
Der Turm.
Gehörend fällt er nieder langsam.
Jahre über hundert Male lang.
Bist du zum ersten Mal gekommen.
Wohin das gut geht, weiß Verließ.
Taugend mein Gemüt der ich steh.
Wächter, steinernd alt gleich Holz
Das Kiesel ward und nicht gestoßen.
Der Turm.
Stimmt sein Singen schwingend.
Der Bergfried als der Wiegehalm.
Die Risse sind zu lesen. Eine.
Geschichte. Keilt Spekulanten.
Kommt, lasst euren Dreck, Zeit,
Sie kämmt die Zinnen, feg mich aus.
Getreten unter Sonne, gerbt. Gleich.
Was ist. Versonnen. Glück ist Regung.
Spring in einen Düsterhof.
DER TURM.
Was war das, ein Riß durch einen Knall.
Anstimme Sinne mit Stille mein Wort.
Wie gut, dass ich vergessen.
Flüsternd, Geometer schielen Mauern an.
Kalt. Kühler. Tor verschließt. Knarren
Kann die Gänsehaut erfassen. Kroch
Ein Nachtalb aus den Fugen. Mondhin.
Schleichendes Gewerben. Spuk ist hart.
Ist Wallen der Stein. Das bleibe Weilen.
Komm, da kroch's.
Dem Turm

Aus dem Finger, aus der Hand, aus dem Fuß, aus dem Blut, aus dem Auge, aus dem Hals, aus dem Orangensaft meines Lebens fährt mir die Monotonie mich bestimmender lautlicher und physiognomisch-gestischer Gebilde, in ihnen vergeht mir die Zeit meiner Qualen, meiner Freuden, Illusionen. Geeignet sei eine ineinander schmelzende Ansammlung von Blicken auf dieses Obschon-Dasein:
Christoph Vivenz, geboren 1970, Wiener und Antigeschöpf, ein Wiener Performanzpoet auf freiem Fuß und köstlich anzusehen, ein postmoderner Verwurf seiner Zeit. So studiert er auch Psychologie, Philosophie und Deutsche Philologie, Geschichte, Pädagogik und das Leben, seine Diplomarbeit ist das Begehren. Zuweilen nach Bluthochzeiten sich Sehnender, und doch ein ganz normaler Briefkastenbeschwerer. Mag sein, hat er Talent zum Nachtwächter in Streichholzfabriken. Hochstilisierter Waisenknabe, vielgeprügelt und als Armleuchter gut brauchbar gemacht, unterstellt er seinen Pfad nichts anderem als dem Pathos der Heiligkeit, weihräuchernder Lyrik, Kurzprosa, absurder Melodramolettomatik, wachsverschmolzener Deklamabilität, das Besäufnis von Worten, die alle das gleiche sagen. Gelegentlich erwartet er seine Verklärung.

Der Autor ist Mitglied der Gruppe mord.s.lust®.

Kontakt:

Christoph Vivenz
Sautergasse 26/28
A-1170 Wien
Tel.: 043/1/489 25 97
E-Mail: a8900157@unet.univie.ac.at


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