Per Rikscha durch Südostasien



Der Reiseschriftsteller Thomas Bauer hat mir einen Vorschlag unterbreitet, den ich gerne angenommen habe.

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Redaktion,

seit mehreren Jahren veröffentliche ich Bücher über außergewöhnliche Reisen. Unter anderem bin ich dem Jakobsweg 2500 Kilometer zu Fuß durch die Schweiz, Südfrankreich und Nordspanien gefolgt und die Donau per Kajak bis zum Schwarzen Meer entlang gefahren.

Vom 26. Dezember 2007 bis zum 14. Februar 2008 werde ich eine Reise unternehmen, die noch weitaus ungewöhnlicher ist: Von der vietnamesischen Hauptstadt Hanoi aus werde ich dem Verlauf des Mekong südwärts folgen, um nach Phnom Penh zu gelangen. Von dort aus geht es weiter zu den Tempelanlagen von Angkor Wat und anschließend über Bangkok durch Thailand und über Kuala Lumpur bis nach Singapur.

Das Außergewöhnliche dabei ist: Ich werde diese Reise mit einer RIKSCHA durchführen.

Die Rikscha ist eines der traditionellen Fortbewegungsmittel in Südostasien. Sie ist umweltfreundlich und damit zukunftsweisend und bietet mir eine optimale Mischung aus sportlicher Herausforderung und Komfort (z.B. durch genügend Platz für Zelt, Rucksack etc.). Seit gut einem Jahr treten die Rikschas auch in Europas Großstädten einen Siegeszug an. Statistiken gehen von einer Vervielfachung des europäischen Rikschaverkehrs in den kommenden Jahren aus.

Für mein Vorhaben konnte ich vier namhafte Sponsoren gewinnen:

Das GOETHE-INSTITUT organisiert Vorträge und Veranstaltungen vor Ort. Insbesondere in Singapur - wo ich nach knapp 5000 Kilometern am 11.02. ankommen werde - ist ein besonderer "Begrüßungsevent" geplant.

Der GLOBAL NATURE FUND (GNF) ist eine global tätige Umweltstiftung mit Sitz in Radolfzell am Bodensee, die mich mit Pressemitteilungen und einer eigenen Internetpräsenz unterstützen wird. Auf meiner Reise geht es mir vor allem darum, auf die Umweltproblematik angesichts ökonomischer Großbauvorhaben aufmerksam zu machen und eine Aufnahme des Tonle Sap Sees in Kambodscha und des Songkhla Sees in Thailand in das internationale Living-Lakes-Projekt zu erreichen.


Die SMIKE AG mit Sitz in Luzern hat ein bahnbrechendes Konzept entworfen, um die Vorteile einer Rikscha (Stabilität, Platzangebot) mit denen eines Fahrrads (Leichtigkeit, Schnelligkeit, Wendigkeit) zu verbinden. Die Schweizer Firma stellt mir das SMIKE Easy zur Verfügung. Dadurch verfüge ich über ein Top-Produkt, mit dem ich die anspruchsvolle und nicht immer einfache Strecke (schwierige Bodenbeschaffenheit, Ausläufer des Himalaya in Nordlaos, unvorhersehbare Naturgefahren) meistern kann.


GLOBETROTTER, der größte Outdoorhändler Europas, wird mich sowohl während der Reise (durch Sachspenden) als auch danach (duch Publikations- und Auftrittsmöglichkeiten) unterstützen.

Gerne werde ich Ihnen etwa alle 5-10 Tage eine kurze REPORTAGE INKLUSIVE FOTOMATERIAL aus Vietnam, Laos, Kambodscha, Thailand, Malaysia und Singapur zukommen lassen und würde mich sehr freuen, wenn Sie dieses Material veröffentlichen würden.


Auf diese Weise würde meine Rikschatour, die in Südostasien auf sehr großes Interesse stößt, auch im deutschsprachigen Raum publik gemacht werden.

Sämtliche Materialien, auch die hier beigefügten, können Sie rechtefrei, auch in abgeändeter und/oder verkürzter Form, benutzen. Das schließt das Recht einer kommerziellen Nutzung explizit ein.

Auf meiner InternetseiteLiteraturnest finden Sie jederzeit weitere Informationen zu mir und meiner bisherigen Tätigkeit.

Über eine Publikation würde ich mich sehr freuen!

Mit besten Grüßen

THOMAS BAUER

Mir ist klar, dass ich hier eine Productplacement Action gratis unterstuetze. Aber ohne die Sponsoren kommt der Bauer nicht auf und nicht ueber Strecke. Und das vernetzte Experiment mit Direktberichten von der Reise mache ich gerne mit. Sie, meine LeserInnen, habe ohnehin ihr kostenloses Lesevergnuegen und ich werde die Akzeptanz und Aufmerksamkeit, die dem Projekt zugewendet wird, anhand meiner Statistik ablesen koennen.

Die Berichte, die mir Thomas Bauer zusenden wird, werden jeweils dieser Seite hinzugefuegt . Sie koennen dann wie gewohnt vertikal im E-Journal Text & Bild Film scrollen. Nun noch die Biografie des Reisenden


Thomas Bauer

Im September 1976 wurde ich in Stuttgart geboren. 1998-2002 studierte ich Diplom-Verwaltungswissenschaft an der Universität Konstanz. Bereits während des Studiums war ich ein Jahr lang als Greenpeace-Mitarbeiter in Paris und zwei Monate als Journalist in Sydney tätig. Mittlerweile arbeite ich für das Goethe-Institut in München.

Mehrmals führten mich ausgedehnte Reisen insbesondere nach Osteuropa und durch Südamerika. 2004 ging ich zu Fuß vom Bodensee bis nach Santiago de Compostela und an die galizische Westküste. Zwei Jahre später folgte ich dem Verlauf der Donau bis zum Schwarzen Meer in einem Paddelboot.

1999 gründete ich die Stuttgarter Autorengruppe „Wortjongleure“. Ich bin Sänger der französisch-spanischen Musikgruppe „mariposa“, Mitglied des BVjA und der 42er-Autoren. Zehn Bücher sind von mir erschienen, zuletzt die beiden Reisebücher „2.500 Kilometer zu Fuß durch Europa“ über den Jakobsweg (Wiesenburg, 3. Aufl., 2007) und „Wo die Puszta den Himmel berührt“ über Ungarn (Herbig, 2007).

Ich habe mehrere Reiseanthologien herausgegeben, u.a. „Zwischen den Orten“ (2004, 2. Aufl., mit Juli Zeh, Michael Krüger, Stefan Beuse, Norman Ohler…) und „Zwischen Estland und Malta“ (2005, mit Tanja Dückers, Julia Schoch, Thomas Hürlimann…). In über 50 Literaturzeitschriften und Anthologien sind Veröffentlichungen von mir erschienen.

Am Stefanietag startet der Mann. Ich erwarte fuer Sie und fuer mich seine angekuendigten Berichte. Das kann bis in den Feber naechsten Jahres spannend werden.

PER RIKSCHA DURCH SUEDOSTASIEN

Ein Reisebericht / Teil eins: Von Vientiane nach Phnom Penh


© THOMAS BAUER

Ein gewaltiges Scheppern kuendigte den Lastwagen hinter mir an, der sich die schlaglochuebersaete Strasse von Vientiane nach Savanaketh entlang quaelte. Als das Ungetuem direkt neben mir war, drueckte sein Fahrer zur Sicherheit mit beiden Haenden auf die Hupe. Es haette ja sein koennen, dass ich den Sechzehntonner nicht bemerkt hatte. Immer wenn eine solche Hupe keinen Meter Luftlinie von mir entfernt ertoente, zuckte ich zusammen, waehrend ein Pfeifen in meine Ohren fuhr und mein Magen heftig um die eigene Achse rotierte. Im Strassenverkehr, das hatte ich fruehzeitig bemerkt, hoerte die asiatische Hoeflichkeit auf. Jede Strasse war in Wahrheit eine Rennstrecke. Es gewann, wer die lautere Hupe einsetzen und die kleinen Luecken im Verkehrsgewusel ausnutzen konnte. Ein Radfahrer bot grundsaetzlich die Moeglichkeit einer solchen Luecke, weil er immer noch ein paar Zentimeter nach rechts ausweichen konnte. Selbst wenn dort bereits der Strassengraben begann.

Vientiane ? Singapur, das bedeutete eine Reise von einer Welt in eine andere. Hier die angenehm schlaefrige Hauptstadt von Laos, deren Entwicklung aehnlich langsam zu verlaufen schien wie der Fluss des Mekong, der traege an ihr vorbei fliesst. Dort hingegen das in die Hoehe strebende, von klimatisierten Einkaufszentren durchsetzte Singapur. Beide Staedte repraesentieren einen Teil des heutigen Asien, und gerade der Spannungsbogen zwischen uralten Traditionen und ausuferndem Kapitalismus, zwischen buddhistischer Gelassenheit und glitzerndem Groessenwahn verleiht der Region einen besonderen Reiz. Vientiane ? Singapur, das war das verrueckteste Vorhaben, das ich jemals in die Tat umgesetzt hatte. Verrueckt vor allem deshalb, weil ich mir fuer die Reise ein ganz besonderes Fahrzeug ausgesucht hatte. Die Firma SMIKE aus Luzern war so freundlich gewesen, mir eine ihrer Rikschas zu ueberlassen. Voll bepackt wog sie sechzig Kilogramm. Einhundert Kilometer wollte ich damit im Durchschnitt pro Tag bewaeltigen.

Bereits waehrend der ersten Tage wurde deutlich, dass die Anwesenheit eines weisshaeutigen, langnasigen Europaers auf einem dreiraedrigen Gefaehrt die jeweilige Hauptattraktion des Tages darstellte. Kinder rannten zu Dutzenden neben mir her, Frauen winkten mir zu und Maenner riefen mir Gruesse und Anfeuerungen in einer Sprache hinterher, die sie fuer Englisch hielten. Wo auch immer ich Pause machte, bildete sich augenblicklich eine Menschentraube um mich herum. Alle wollten das SMIKE anfassen, den Reifendruck testen, mit der Sitzlehne herumspielen und das seltsame Ding begutachten, das die Kilometerzahl angab. Konnte einer der Anwesenden ein paar englische Brocken, tauchte grundsaetzlich eine Frage auf:

- ?Wo ist denn der Motor??

- ?Es gibt keinen. Ich will selbst von Vientiane nach Singapur fahren.?

- ?Komm schon, irgendwo muss doch ein Motor sein!?

Bei diesen Worten drueckte mein Gegenueber zumeist hoffnungsfroh auf dem Dynamo herum, bis er sich schliesslich kopfschuettelnd abwendete und auf sein japanisches oder thailaendisches Moped stieg.

Jeder Tag hielt eine Reise ins Ungewisse fuer mich bereit. Ich war umgeben von Menschen, doch praktisch keiner von ihnen beherrschte Englisch oder eine andere Fremdsprache. Ich wusste nicht, ob und wo ich essen konnte, wo ich mich gerade befand und wo wie lange es bis zur naechsten Unterkunft dauern wuerde. Am uebelsten waren die Kreuzungen. Sie tauchten unvermittelt auf und waren in den seltensten Faellen ausgeschildert. Als ich kurz vor dem Fischerdorf Pak Kading auf eine solche Kreuzung stiess, deutete ich nach rechts und fragte die Menge um mich herum: ?Pak Kading??. Ich erntete eifriges Nicken und zuckersuesses Laecheln. Schon wollte ich hoffnungsvoll nach rechts abbiegen, da beschloss ich, die erhaltene Auskunft zu verifizieren. Ich deutete nach links und fragte wieder: ?Pak Kading??. Eifriges Nicken und zueckersuesses Laecheln war auch hier die Reaktion, und mir wurde klar, dass mich keiner der Anwesenden verstanden hatte.

Mein treuester Wegweiser war der Mekong, der sich ? wenn ich mich auf dem richtigen Weg befand ? rechts von mir von Laos auf Kambodscha zubewegte. Auf diese Weise fand ich an meinem dritten Tag auch nach Pak Kading, ein pittoreskes Fischerdorf mitten im Uebergang. Noch waren die Dorfstrassen mit glutrotem Staub bedeckt. Noch schliefen Hunde auf ihnen, und Schweine lagen in den wenigen Schattenplaetzen. Noch lag der buddhistische Tempel, von Touristen unentdeckt, idyllisch am Ufer des Mekong, von dem aus das benachbarte Thailand zu sehen war. Noch versteckten sich Kinder hinter den Beinen ihrer Eltern, sobald sie mich erblickten. Doch bereits an den Raendern der Nationalstrasse, die das Dorf von West nach Ost durchschneidet, aenderte sich der Charakter. Hier, wo mehrmals taeglich vollklimatisierte Reisebusse Touristen in die laotische Hauptstadt befoerdern und sich Fernfahrer zum gemeinsamen Bier treffen, verlangten die Doerfler bereits den doppelten Preis fuer Wasser und Suessigkeiten, und wer es sich leisten konnte, der drehte seinen Fernseher mit der neuesten Karaokemusik stolz zur Strasse hin. Was wird wohl in zehn Jahren aus dem charmanten Fischerdorf geworden sein? Werden die Kinder, die sich nicht trauten, mich zu gruessen, dann mit Mopeds ueber geteerte Strassen fahren und sich die neusten Handymodelle von Nokia und Samsung ans Ohr halten, gekauft vom Geld der Touristen, die diesen Ort entdeckt haben warden? Und fiel mir ein echter Grund ein, ihnen diese Entwicklung zu verwehren?

Die Sonne stand wie ein gelbes Auge am Himmel, als ich tags darauf in Nam Thone einfuhr. Wolken schienen hier Mangelware zu sein. Vermutlich befinden sich alle, wie so oft, in Europa und ganz besonders ueber Deutschland. Im Zickzack fuhr ich um Wasserbueffel, Hunde, Huehner herum, die sich auf der Nationalstrasse tummelten. Einmal mehr uebernachtete ich in einem Gaestehaus, das umgerechnet zwei Euro kostete und entsprechend eingerichtet war, naemlich: gar nicht. Immerhin verfuegte es ueber ein Doppelbett, auf das ich meinen ?Mosquito Dome? stellte, eine ausserst hilfreiche Konstruktion, leichter als ein Zelt und zuverlaessig bei der Abwehr von Insekten aller Art. Er hielt auch die Fledermaeuse fern, die in den Waenden hausten und nachts im Raum unherschwirrten. Auf gut Glueck betrat ich sodann ein Strassenrestaurant ? und dort traf ich endlich jemanden, der Englisch sprach. Ihr Name war Lham ? vielleicht auch Lang oder Lam. Sie kauerte auf dem Boden des Hauses, das wie immer alles in einem war: Restaurant, Verkaufsraum, Schlaf- und Wohnzimmer. Als sie mich erblickte, steigerte sich ihr Laecheln zu einem breiten Grinsen. ?Hello, I love you, what do you want??, floetete sie mir entgegen. Ich deutete auf gut Glueck auf irgendwelche Toepfe, in denen Fleisch und Gemuese bruzzelten. Es schmeckte vorzueglich; ich wunderte mich nur, warum alles so klein war. Eine Leber, die ich verspeiste, hatte beispielsweise nur die Groesse eines Fingernagels. Ich winkte Lham, Lang oder Lam zu mir und fragte sie hoffnungsvoll : " Chicken ? " - ?Rat!?, antwortete sie freundlich und zeigte mir einen Stock, auf den eines dieser Tiere gespiesst war. Ich hatte soeben Ratte mit Gemuese gegessen. Es hatte gut geschmeckt. Spaeter fragte ich Lham, Lang oder Lam, ob sie wisse, wo Deutschland liege. Klar wisse sie das, gab sie zurueck, Deutschland liege ?after ocean?. Hinter dem Meer also, das war immerhin eine zutreffende Beschreibung. Bevor ich zurueck zu meinem Zimmer mit den Fledermaueusen ging, fragte ich noch, ob hier jemals ein Tourist gegessen habe. Lham, Lang oder Lam strahlte mich an und schuettelte den Kopf. ?Booo?, liess sie vernehmen, was in diesem Land einer Verneinung gleichkam, ?you are first!?.










Teil zwei: Von Phnom Penh nach Bangkok


Knapp fuenfzehn Millionen Einwohner hat Kambodscha, und heute kam es mir vor, als haetten sie sich alle auf den Weg in die Hauptstadt gemacht. Rikschafahren in Phnom Penh, das wurde mir schnell klar, gehoerte zu den grossen Herausforderungen, die sich mir im Laufe meines Lebens in den Weg stellen. Eine Armada von Mopedfahrern knatterte um mich herum. Wie ein Wespenschwarm kam sie mir vor; geschickt nutzten ihre Mitglieder die wenigen Luecken aus, die sich vor mir auftaten. Am Strassenrand schepperten Fahrradrikschas ueber Schlagloecher, zogen Verkaeufer Garkuechen an verbogenen Holzstaeben hinter sich her. Und immer wieder spritzte unsere Formation auseinander, wenn sich ein Uraltlaster sprotzend seinen Weg durch den Tumult bahnte.

Man sieht Phnom Penh an, dass es vor wenigen Jahrzehnten vom Terrorregime der Roten Khmer evakuiert und weitgehend zerstoert worden ist. Direkt neben Hausruinen und vor Hinterhoefen, die aus nichts als Schutt bestehen, schiessen moderne Hotelanlagen aus dem Boden. Seit westliche Touristen Kambodscha als Reiseland entdeckt haben, verdoppeln sich alle sechs Monate die Eintrittspreise fuer Museen und weitere Sehenswuerdigkeiten in der Hauptstadt, ohne dass sich die jeweils entsprechende Gegenleistung in irgendeiner Weise veraendern wuerde.

Vermutlich ist kein Land der Welt derart fuer eine einzige Attraktion bekannt wie Kambodscha fuer die Tempelanlagen von Angkor. Angkor ist omnipraesent, man begegnet dem Begriff auf Schritt und Tritt. Es gibt Angkor-Kekse, Angkor-Bier und ein erfolgreiches Halbschuhmodell namens „Angkor Wat Explorer“. Jedes zweite Restaurant hat den Namen in irgendeiner Weise in seinen Titel integriert. Kambodschas oekonomische Entwicklung verlaeuft ruckartig und bleibt undurchsichtig; die Korruption ist im ganzen Land praktisch mit den Haenden zu greifen. Da ist es wohl symptomatisch, dass das Leibgericht der Kambodschaner „Amok“ heisst und aus einer Mischung an Zutaten besteht, die westliche Gaumen kaum enschluesseln koennen.

Wenn es nur eine Strasse geben wuerde, die diesen Namen verdiente! Mit jedem Tag, den ich im Dreck und Staub unterwegs war, war ich verblueffter, dass ich noch immer ein Fahrrad unter mir hatte. Mit zwanzig Stundenkilometern krachte mein SMIKE in badewannengrosse Schlagloecher. Der Beiwagen vollfuehrte tollkuehne Bockspruenge, wenn ein Stein oder ein Stueck Holz unter sein Rad geriet. Auf den Abschnitten mit Wellblech wurden wir beide durchgeruettelt wie bei einem Schuettelfrost. Von oebn bis unten besudelt gelangte ich schliesslich nach Poipet, die letzte kambodschanische Stadt vor der thailaendischen Grenze. Mein Zustand passte indessen gut zu jenem der Stadt. Poipet strengt sich an, um sein Image als schmuddeliger Suendenpfuhl aufrecht zu erhalten. Statt beispielsweise in Strassenbaumassnahmen zu investieren, zog man vor zwei Jahren neben den aufgereihten Bordellen einen immensen Kasinokomplex hoch, dessen gepflegte Glasfront heftig mit den Bettlern und Minenopfern kontrastiert, die junge Thailaender vor der Eingangstuer um ein paar Baht bitten.

Was fuer ein Wechsel fand hingegen statt, als ich nach Thailand gelangte! Unmittelbar nach der Grenze begann die Zivilisation, und nach den Entbehrungen der vergangenen zwei Wochen sehnte ich sie herbei. Ehre sei den thailaendischen Strassenbauern, denn sie haben ganze Arbeit geleistet! Gelobt seien die Oreo-Kekse (ganz besonders die mit Erdnussbutter), die ich ab sofort wieder am Strassenrand kaufen konnte. Ein dreifaches Hoch auf den real existierenden Kapitalismus, der diese Errungenschaften ermoeglicht hat!

„One night in Bangkok, and the world’s your oyster“, sang ich lauthals, waehrend ich der Hauptstadt entgegen fuhr. Es war gar nicht einfach, den naeselnden Gesang nachzuahmen, den ich immer wieder unter Einsatz meiner Fahrradklingel mit Queens „Bicycle Race“ kombinierte. Ab hier hatte ich keinerlei Probleme mehr, etwas Essbares aufzutreiben. In Thailand scheint eine Haelfte der Bevoelkerung permanent damit beschaeftigt zu sein, fuer die andere zu kochen. Bangkok erforschte ich schliesslich ganz dekadent per Taxi. Wie ueblich verlangte der Fahrer fuer die vierstuendige Fahrt einmal „Nicht-der-Rede-wert“, was ich mit „So-gut-wie-nichts“ als Trinkgeld anreicherte. Einer der Vorteile, in Muenchen zu wohnen, ist, dass einem praktisch alle anderen Orte auf der Welt guenstig vorkommen.

Nantopol Limpatyakrom, so der Name meines Taxifahrers, der gross auf einem Pappschild stand, das er um den Hals trug, fuehrte mich souveraen durch ein Gewirr von vierspurigen Autobahnen, ueber groessenwahnsinnige Brueckenanlagen hinweg und in vollgestopfte Einbahnstrassen hinein. Ich hatte gut daran getan, die thailaendische Hauptstadt nicht per Rikscha zu erkunden. Nach einem Tag voll fremder und extremer Eindruecke suchte ich eines der uebelsten Hotels der Stadt auf, das sich geografisch guenstig am Suedrand befand. Von hier aus sollte es morgen weitergehen. Anderthalbtausend Kilometer fehlten noch bis Singapur. Anderthalbtausend Kilometer in zwei Wochen; das war wohl das, was man ein „ehrgeiziges Programm“ nennt.

Fotostrecke

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Dritter Teil: Von Bangkok nach Singapur


Hitze. Schwuele Hitze. Hitze wie ein nasses Handtuch in der Sauna.
Hitze, die vom Boden aufsteigt, von den Huegeln herabkriecht.
Hitze, die sich um mich legt wie eine Zwangsjacke.
Hitze, die alle Poren der Haut oeffnet und herauszieht, was darunter ist.

Seit ich Bangkok verlassen hatte, wurden die Bedingungen um mich herum zunehmend tropisch. Kokosnuesse fielen neben der Strasse zu Boden.
Linkerhand erstreckten sich kilometerweit Gummibaumplantagen. Mehrmals taeglich ringelte sich eine Schlange die Strasse entlang. Und meine Kekse teilte ich waehrend mancher Pause mit Makaken, die aus den angrenzenden Waeldern gekommen waren.

Auch die Menschen, denen ich begegnete, veraenderten sich auf dem Weg nach Sueden. Die Maenner trugen Rebellion im Blick, schauten mir herausfordernd in die Augen. Die Frauen gruessten mich mit Augenaufschlaegen; ihre Kopftuecher wehten im Wind, wenn sie auf ihren Mopeds an mir vorbei fuhren. Die Verkaeufer bewegten sich ungleich zackiger als im Norden. Niemand verbeugte sich mehr, wenn er etwas sagte. Der Buddhismus verlor mit jedem Kilometer an Kraft. Das islamisch gepraegte Malaysia kuendigte sich an.

Eine Sache sollte jedoch in ganz Thailand gleich bleiben – egal ob ich mich im buddhistischen Norden oder im islamisch gepraegten Sueden aufhielt. In Deutschland stellt die Hupe eines Autos oder Motorrads ein Warnsignal dar, das eine akute Gefahrensituation anzeigt. In Thailand ist die Hupe hingegen ein vielseitig einsetzbares Multifunktionsinstrument. Sie wird betaetigt, um andere Verkehrsteilnehmer zu begruessen und zu verabschieden. Ein thailaendischer Autofahrer hupt grundsaetzlich, bevor er ueberholen will, waehrend er ueberholt, und nachdem er ueberholt hat. Er hupt ausserdem, wenn er selbst ueberholt wird, und generell vor, in und nach einer Kurve. Die Hupe erfreut sich des Weiteren in diesem Land grosser Beliebtheit als Blinker- und als Bremsersatz. Und etliche Verkehrsteilnehmer, davon war ich taeglich fester ueberzeugt, betaetigten dieses Instrument schliesslich, um sich davon zu ueberzeugen, dass das wichtigste Teil ihres Fahrzeugs noch funktionierte.

Schwitzend, mit dem staendigen Laerm in den Ohren, erreichte ich Malaysia. Hier aenderte sich erstmals das Wort, das mir die Kinder auf meinem Weg hinterher riefen. Statt ”Falang”, Langnase, wurde ich ab sofort ”Madsale” genannt. Diese Bezeichnung gilt fuer alle westlichen Auslaender und geht zurueck auf das englische “Mad Sailor”. Weder die britischen, noch die portugiesischen und hollaendischen Seefahrer, die das malaysische Malakka einst als Handelshafen nutzten, waren dem Alkohol abgeneigt – und pflegten nach ausufernden Gelagen alberne Dinge zu tun.

Ueber eine dreizehn Kilometer lange Bruecke, die laengste in Suedostasien, erreichte ich die Insel Penang. Seit jeher ist dieses Fleckchen Erde ein beliebtes Auflugsziel deutscher Touristen. Hermann Hesse und Karl May waren hier gewesen. Insofern machte es Sinn, dass mich die Malaysisch-Deutsche-Gesellschaft zu einem Vortrag ueber meine Rikschafahrt eingeladen hatte. Eine Bruecke zu meinen fuenfzig Zuhoerern baute ich, indem ich auf ein international verstaendliches Mittel zurueckgriff: Auf Humor. Ich demonstrierte den Farbunterschied zwischen Ober- und Unterarm, berichtete von meinen Kommunikationsschwierigkeiten in Thailand und schilderte plastisch, wie ich in Suedlaos Ratte gegessen hatte. Dabei merkte ich, dass es mir gut tat, die Eindruecke, Begegnungen und Erlebnisse meiner Reise auf diese Weise Revue passieren zu lassen. Der Vortrag stellte zudem eine gute Uebung dar: In Singapur sollte ich, abermals in Englisch, eine aehnliche Veranstaltung vor ueber zweihundert Zuhoerern halten.

Die sich anschliessende Strecke zwischen Kuala Lumpur und Malakka fuehrte mir eindrucksvoll vor Augen, wie multikulturell Malaysia ist. Hinduistische und chinesische Tempel, Kirchen und Moscheen liess ich auf beiden Seiten der Strasse hinter mir. Manchmal befanden sich die Gebaeude von drei verschiedenen Weltreligionen in derselben Strasse, in Sichtweite voneinander. Einmal mehr waren die klimatischen Bedingungen etwas fuer Schlangen und Insekten. Fuer einen Rad fahrenden Mitteleuropaer war es gefuehlte zwanzig Grad zu heiss, und die Tatsache, dass sich die Luft bereits kurz nach dem Aufstehen anfuehlte wie ein heisser Wadenwickel trug nicht wesentlich zur Leistungssteigerung bei. Ich entschloss mich, jeden Tag eine lange "siesta" einzuhalten. In einem Restaurant kurz vor Malakka ass ich kleingeschnittene Haifischflossen mit einer Sosse aus reichlich Knoblauch, Soja und salziger Fischpaste. Abgerundet wurde mein Festmahl durch Eier der Roten Waldameise.

Als ich Malakka erreichte, waren die Strassen voller Loewen und Drachen. Reihen roter Lampions zogen sich von Haus zu Haus. Comicfiguren schmueckten die Schaufenster. Ueberall wurden mir paarweise Orangen entgegen gehalten. Das Spektakel wird “Chinesisches Neujahrsfest“ genannt und wuerde die Stadt vier Tage lang in Atem halten. „Willkommen im Jahr der Ratte“, begruesste mich der Inhaber des Hotels, in dem ich Unterschlupf gefunden hatte. Dieses Tier schien mich waehrend meiner Rikschatour dauerhaft zu begleiten.

Ich erreichte Singapur am Morgen des elften Februar. Wie eine Verheissung erhoben sich seine Wolkenkratzer vor mir, waehrend ich zwei Zollbeamten drei Mal versichern musste, dass ich in den vergangenen sechs Monaten nicht in Afrika gewesen war und sie darum keine Angst haben mussten, dass ich den AIDS-Virus in ihre Stadt brachte.

Der Tachometer meines SMIKE zeigte dreieinhalbtausend Kilometer an. Ich hatte geschafft, woran ich bis zuletzt gezweifelt hatte: Ich hatte diese Strecke in nur vierzig Tagen vollendet. Es war das ambitionierteste Vorhaben gewesen, das ich je in die Tat umgesetzt hatte. Immerhin besass ich zuhause nicht einmal ein eigenes Fahrrad.

Eigentlich bin ich ja gar kein Radfahrer.

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MIT DER RIKSCHA VON VIENTIANE NACH SINGAPUR. 3500 KILOMETER DURCH SÜDOSTASIEN.

Acht Wochen lang ist GI-Mitarbeiter Thomas Bauer mit einer Rikscha in Südostasien unterwegs: fuenf Länder, 3500 Kilometer, unzählige Eindrücke. Wir haben vor der Reise ein Gespräch mit dem Weltenbummler geführt:

Wie entstand die Idee zu dieser Reise?

Reisen und Schreiben sind zwei Sachen, die ich gerne mache und die für mich auch zusammen gehören. Das zu kombinieren ist das, was ich immer machen wollte. Im Jahr 2001 bin ich den Jakobsweg von Konstanz aus entlang gelaufen. Das war meine erste außergewöhnliche Reise, über die ich dann auch ein Buch veröffentlicht habe. Im letzten Jahr war ich in Südamerika und bin mit dem Kajak die Donau bis zum Schwarzen Meer entlang gefahren, bin also durchaus ein bisschen abenteuererprobt. Jetzt wollte ich eine neue Region kennen lernen und bin dann auf Südostasien gekommen und habe mir gedacht: Warum nicht mal durch die Länder reisen, die sonst von den Touristen eher links liegen gelassen werden. Die Reise geht daher nach Laos und Kambodscha, wo man noch ursprüngliche Landschaften finden und Begegnungen mit Leuten machen kann, die nicht jeden Tag einen Westler sehen. Da ich ein Buch über die Reise schreiben will, sollte noch etwas Außergewöhnliches dazu kommen. Also nicht einfach mit dem Zug oder dem Bus durch die Gegend reisen, sondern mit etwas anderem. Außerdem sollte es eine sportliche Komponente haben, wie die Kajak-Tour oder der Jakobsweg. So kam ich auf die Idee mit der Rikscha. Ich dachte mir: Warum nicht was ganz Abgefahrenes und Besonderes machen und mit einem Gefährt reisen, das in der Region eine lange Tradition hat und das auch ein bisschen einen Link schafft zu den Leuten vor Ort? Die Vorbereitung der Reise hat dann ungefähr ein halbes Jahr gedauert.

Wie viele Kilometer wirst Du im Schnitt pro Tag zurücklegen?

Wenn ich alles genauso durchhalte, wie ich es mir vorgenommen habe, sind es ungefähr 80-90 km am Tag, also durchaus ambitioniert. Es gibt keine allzu großen Steigungen., außer im Norden von Laos ist es relativ flach. Aber ich weiß natürlich nicht, wie die Straßen sind und die Beschilderung. Ich habe zwar ziemlich gute Karten, aber es gibt einige Unwägbarkeiten. Wenn es aber hart auf hart kommt und ich irgendwo im Dschungel stecken bleibe, gibt es mehrere Möglichkeiten, ein bisschen abzukürzen.

Stehen auch Goethe-Institute der Region auf der Reiseroute?

Ja. Ich möchte Stationen machen in den Goethe-Instituten in Singapur, Kuala Lumpur und in Bangkok. Die Leiterin der Sprachabteilung am GI in Singapur, Felicitas Habouz, hat einen Vortrag am 11.02.2008 organisiert. Der ist schon von der Auslandsvertretung angekündigt und bildet den Endpunkt der Reise. Dort werde ich einen Vortrag mit Bildern für deutsche Schulklassen halten. An den anderen Instituten ergibt sich dann vielleicht auch die ein oder andere Veranstaltung, aber ganz genau kann ich noch nicht sagen, wann ich an welchem Ort sein werde.

Was ist das für eine Rikscha, mit der Du unterwegs bist?

Meine Rikscha hat alle Vorteile eines Fahrrads: Sie ist wendig und schnell, hat aber mehr Platz und ist stabiler. Sie sieht aus wie ein sehr stabiles Fahrrad mit einem bisschen dickerem Rahmen und einem kleinen Beiwagen rechts daneben. Die Rikscha kommt von der Firma Smike, das steht für „Smart bike“ und ist eine ganz neue Entwicklung. Sie fährt sich wie ein Fahrrad, hat also eine Neigetechnik. Das heißt, ich kann mich normal in die Kurven legen und der Beiwagen bleibt dabei immer waagerecht. Das ist vor allem für den Gepäcktransport prima, außerdem ist die Rikscha ziemlich schnell, weil sie nur 30 kg wiegt und eine 8-Gang-Schaltung hat. Der Ladenpreis beträgt rund 3000 Euro, aber die Smike AG in Luzern hat mir die Rikscha für die Reise kostenfrei zur Verfügung gestellt. Es hätte auch die Möglichkeit gegeben, die Rikscha mit einem Elektromotor auszustatten, aber das habe ich aus Stolz natürlich abgelehnt.

Schon eine Idee, wohin die nächste Reise gehen könnte? Ich habe einen Haufen Ideen im Kopf. Wenn ich mehr Zeit hätte, könnte ich die locker mit Reisen ausfüllen. Momentan gibt es zwei große Ideen, von denen ich aber nicht genau weiß, wann ich sie realisieren kann. Die eine Idee ist, die Reise von Sindbad nachzusegeln. Das wäre schon ziemlich genial, wenn das klappen würde! Das zweite wäre wieder eine Flussreise, diesmal entlang des Brahmaputra, der in Tibet auf 5000m Höhe entspringt. Das muss einer der letzten mysteriösen Orte auf der Welt sein. In 60 km Umkreis entspringen die fünf größten Flüsse Asiens und die Landschaft ist ganz irre und unzugänglich. Das sind aber Ziele für die nächsten fünf Jahre.

Die Fragen stellte Joerg Schumacher


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