Ein Abenteurer mit Tiefenwirkung


Auftauchen nicht vergessen : Der Meeresforscher und Filmemacher Hans Hass feiert seinen 90. Geburtstag.

© Jürgen Claus

Der Artikel ist am 23.1.2009 in der Sueddeutschen Zeitung; Muenchen, erschienen. Mit freundlicher Genehmigung des Autors nun im Electronic Journal.

Wer Hans Hass kennt, wird kaum überrascht sein über diesen Auftrieb. An seinem 90. Geburtstag an diesem Freitag will er bei der Düsseldorfer "boot" aufkreuzen, wahrscheinlich umlagert von einer Vielzahl seiner Anhänger. Im Berlin der frühen vierziger Jahre hatte er mit dramatischen Schilderungen der Unterwasserjagd bereits den Grundstein für einen späteren Welterfolg gelegt. Heute noch faszinieren seine Filme Millionen Taucher weltweit. Es gab eine Zeit, da hatte er sich, um dem Rausch der Tiefe zu entgehen, auf einer Aluminiumtafel notiert: "Auftauchen nicht vergessen!" Damals wurde noch mit Sauerstoff aus einem Luftsack unter Wasser geatmet. Hans Hass hat alle Techniken der Anpassung an den Unterwasser-Planeten mitgemacht, mehr noch: Er hat den Kompass aus der Horizontalen um 90 Grad nach unten gedreht.

Alles fing damit an, dass der junge Wiener Anwaltssohn 1937 beim südfranzösischen Théoule mit einem überlangen Speer den Fischen nachjagte. Vom Tauchen wollte man seinerzeit nichts wissen, erste Artikel musste er in Angelsport-Zeitschriften veröffentlichen.

Seine Doktorarbeit in Biologie - "die erste mit Hilfe eines autonomen Schwimmtauchgerätes ausgeführte wissenschaftliche Untersuchung" - holte er nach einem Bombenangriff in Berlin 1943 aus einem Safe der Universität heraus. Ihn selbst fischte man später zweimal "praktisch fast tot" aus dem Meer, wie er lebhaft erzählt.

Direkte Naturbeobachtung, Feldforschung unter Wasser war sein Ziel. Dazu brauchte es ein Schiff, das er mit Vorträgen und Filmen finanzierte. Er kaufte 1943 von Graf Felix von Luckner dessen berühmtes Schiff Seeteufel, baute es als schwimmendes Forschungslabor für Taucher um und verlor es bei Kriegsende in Stettin.

Mit dem erfolgreichen Unterwasserfilm "Abenteuer im Roten Meer", 1950 gedreht, auf der Biennale in Venedig preisgekrönt, legte Hass den finanziellen Grundstein für ein neues Forschungsschiff. Man spielte mit Unterwasser-Lautsprechern einen Wiener Walzer in die Tiefe, und die Fischschwärme schienen im Dreivierteltakt zu tanzen. Das Publikum war begeistert.

Die junge Wienerin Lotte Baierl, die er im gleichen Jahr in zweiter Ehe heiratete, hatte genug Courage, auf Haie direkt zuzutauchen - legendäre Filmszenen. Zusammen mit ihr brachte es Hass zu Weltruhm.

1953 erwarb er sein eigenes, lange erträumtes Schiff, die Xarifa. Den 1927 gebauten Dreimastschoner, 50 Meter lang, 8 Meter breit - Vorbesitzer war der amerikanische Nähmaschinenkönig Singer - hatte er in Kopenhagen ausgemacht. Die Segelmasten waren abgeschnitten, das Schiff war zum Kohlentransporter degradiert.

Die neue PR-trächtige Karriere der Xarifa begann nach einem kostspieligen Umbau mit einer Forschungsfahrt 1953 zu den Galapagosinseln. Der Herzog-Filmverleih bestand auf einem Spielfilm, der in allen großen Filmtheater laufen sollte. Der Text passte sich dem an: "Endlich nähert sich das Boot in brausender Fahrt der Felswand, wo Lotte getaucht ist. Lotte ist am Ende ihrer Kräfte. Sie kann sich der Haie nicht länger erwehren. Alles scheint verloren. Da gelingt es Hass, niederzustoßen und die blutgierigen Bestien zurückzutreiben. Mit letztem Atem schwimmen die beiden empor."
Die acht Wissenschaftler, Techniker, Filmleute an Bord mussten mit der zwölfköpfigen Besatzung alle Arbeiten multifunktional verrichten. Um Farbfilme unter Wasser zu drehen, setzte Hass riesige wasserdichte Filmscheinwerfer ein, zwei Generatoren mit je 30 Kilowatt an Bord lieferten den Strom über Kabel von 500 bis 700 Meter Länge. Hass tauchte, filmte, sprach in Mikrophone über und unter dem Wasser.

Nach der zweiten Xarifa-Filmexpedition, die 1957 über die Malediven und Nikobaren bis Singapur führte, zog Hans Hass schließlich ein Resümee. "Ich war nur der Manager des Ganzen", klagte er. Die wissenschaftlichen Ergebnisse, die den promovierten Biologen zutiefst faszinierten, blieben außen vor, beziehungsweise den anderen Expeditionsteilnehmern vorbehalten.

Um die jährlichen Unterhaltskosten von 400.000 Mark einzuspielen, hätte er pro Jahr 13 Filme á 60 Minuten oder 26 Halbstundenfilme abliefern müssen.

Hier zeigt sich auch der Unterschied zum neun Jahre älteren Jacques-Yves Cousteau, dem "Kommandanten": Cousteau war mit seinem 1951 gekauften und umgebauten Schiff, der Calypso, notfalls auch bereit, Fracht zu bewegen, um seine Mannschaft zu halten. Wichtiger noch: Cousteau erhielt staatliche Unterstützung, so ab 1955 vom Unterrichtsministerium in Paris, und zudem Geld von der National Geographic Society. Hass dagegen musste vier Fünftel seiner Kosten über die Filme einspielen.

In seinem Bericht zur zweiten Xarifa-Expedition beschreibt er das traumhafte Erlebnis des Tauchens und des Auftauchens: "Das Gefühl, wieder ins Leben zurückzukehren, gleicht einer bewusst erlebten, sich lawinenhaft entfaltenden neuen Geburt. Die Luftblasen platzen auseinander, perlen, torkeln trunken, tanzen hinauf zum Licht. Eine dieser lebenstrunkenen Blasen ist man selbst."

Er war erst 41 Jahre alt, als er die Xarifa 1960 an einen italienischen Großindustriellen verkaufte. Hans Hass hatte neue Pläne. Er zog sich zunächst völlig vom Meer zurück und begann eine zweite Karriere.
Ihn interessierte nunmehr "Das verborgene Gemeinsame", wie sein späteres Buch im Untertitel hieß - eine komplexe evolutionstheoretische Studie, in der es um den Lebensstrom und die Energieflüsse von Organismen geht. Hass erfand für seine These den Namen "Energone" und forschte zehn Jahre an seinem Projekt. 1978 setzt er eine Prämie von 100.000 Mark für die Widerlegung seiner These aus. Das Geld ist bis heute nicht ausgezahlt.

Hans Hass, der 1977 von der Universität Wien den Professorentitel erhielt, hat sich mit seiner wissenschaftlichen Arbeit bei den Tauchern nicht beliebt gemacht: Die Kollegen haben seine Hinwendung zur Wissenschaft glatt übersehen. Für sie ist Hass, wo immer er auftaucht, der geniale Erfinder unzähliger Tauchtechniken, der film- und fotobesessene Abenteurer der sieben Meere, der Kapitän Nemo der Unterwasserexpeditionen. Schließlich kehrte er auch mit neuen Filmen in die Unterwasserszene zurück. Er besuchte die Riffe, die er Jahrzehnte zuvor als Pionier aufgenommen hatte. Es war nun eine andere Welt. Auch durch seine eigenen Erfolge war die Unterwasserwelt Hunderttausenden Tauchern zum Urlaubsziel geworden.

In der Frühzeit des Tauchens erlebte der Poet und Filmemacher Jean Cocteau zusammen mit dem Tauchsportpionier Yves Le Prieur die Unterwasserwelt und sagte entzückt: "Sie haben mir eröffnet, was die Zukunft bringt. Die Fürsten Ihres Königreiches sind Leonardo und Jules Verne." Diesen Entdeckungen ist das Lebenswerk von Hans Hass gewidmet.


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