Unterwegs mit CNN


© Malte Olschewski

Zur Ideologie von Cable News Network: Go beyond borders!

Etwa dreissig Mal in der Stunde erschallt im Programm von CNN wie ein Befehl der Ruf: Go beyond borders! (Geh über die Grenzen!) Das amerikanische Cable News Network versteht sich als ein Weltensender oder als globales TV, dem alle Grenzen, alle Nationen und ihre Geschichte suspekt und daher nicht berichtenswert erscheinen. Go beyond borders! Wo es Grenzen gibt, muss es auch Nationalitäten oder gar Völker geben. Man proklamiert die eine und einzige, die politisch korrekte Welt. Geschichte kann dabei nur stören, doch ohne sie bleibt vieles unverständlich. CNN hat den Globus mit einem Netz von Sendestationen, Korrespondenten und Reportern überzogen, die alle am Zukunftsbild einer einheitlichen, US-dominierten und vom Kapital beherrschten Welt arbeiten.

Bei der Berichterstattung über die Kettenreaktion in der arabischen Welt wurde die antihistorische CNN- Perspektive besonders deutlich. Die Ereignisse in Tunesien, Ägypten und Libyen aber sind ohne einen Rückblick auf die Geschichte dieses Raumes nur schwer zu verstehen. Bei CNN erfuhr man kein Wort über die Machtergreifung des nun gestürzten Präsidenten Zine Ben Ali. Im Jahr 1987 war Ben Ali als Volksheld und Retter Tunesiens gefeiert worden, da er das Schaupiel um den senilen und geistig verwirrten Staatschef Habib Burgiba (1903-2000) beendete. Dieser hatte seit der Unabhängigkeit regiert und war damit ebenfalls zu einem Volkshelden geworden. Parteien, Demokratie und vor allem die Nachfolgefrage hielt er für unnotwendig und überflüssig. Der Oberste Kämpfer (Combattant Supreme) -so sein Titel- entwickelte in seinen letzten Amtsjahren einen bizzaren Personenkult, der seine fortschreitende Demenz bewies. Alle Männer mit einem Hoden sind genial ! So lüftete er ein persönliches Geheimnis. Schliesslich stürmte Verteidigungsminister Ben Ali an der Spitze eines Komittees aus Ärzten und Offizieren Habibs Karthagopalast. Leider gibt es keine Infomationen über diese Szenen. Burgiba wurde für geisteskrank erklärt, doch der Oberste Kämpfer wollte nicht sterben. Noch 13 Jahre randalierte der renitente Greis in einer streng bewachten Altersresidenz. Was er da alles angestellt und geäussert hat, hat man bis heute nicht erfahren. Ben Ali war an seine Stelle getreten. Er übernahm Burgibas Einheitspartei Neodestour (Neue Verfassung). Er taufte sie um. Es war jetzt die Versammlung konstitutioneller Demokratie (RCD), die ihm seitdem in gefälschten Urnengängen die Wiederwahl gesichert hat. In seiner Gier war Ben Ali schlimmer als Burgiba, da er für die weit verzweigte Familie seiner Frau üppige Sorge tragen musste.

>>> Welch ein Drama ! Welch eine Story ! Welch einzigartige Gelegenheit, das Phänomen der Macht darzustellen: Habib und Ben Ali. Auf Geldscheinen ist das Datum des habibischen Sturzes gefeiert worden. Allein bei CNN war davon nichts zu erfahren. Doch bei CNN hiess es unablässig: Step into the bigger picture! (Tritt in das grössere Bild!) <<<

Im Falle Ägyptens trat CNN auch nicht in das grössere und vor allem geschichtliche Bild. In ein paar wenigen Sätzen erfuhr man gerade noch, das Anwar Al Sadat der Vorgänger Mubaraks gewesen war. Nur schwer laesst es sich verschweigen, dass Präsident Sadat 1981 in ordernsübersäter Brust bei einer Parade von Moslembrüdern erschossen worden war. Sein Vizepräsident Hosni Mubarak überlebte den Anschlag und trat die Nachfolge an. Jeweils ein paar Sekunden in Schwarzweiss war auf CNN auch Sadats Vorgänger, Gamal abdel Nasser, zu sehen. Seine Ideen und sein rednerisches Talent galten dem Zusammenschluss aller arabischer Staaten. Damals lauschte man auch am Radio von Casablanca bis Basra den Reden des panarabischen Helden. Die militärische Niederlage gegen Israel 1967 konnte er mit seiner Wortkraft vergessen machen, doch er starb Jahre später an einer Krankheit. Seinem Nachfolger Sadat gelang 1973 im Yom Kippur-Krieg gegen Israel ein Unentschieden, worauf er sich den tödlichen Frieden von Camp David mit Abtretung des Sinais leisten konnte. Er war der Rais, der Herrscher und der Pharao.

>>> Welch ein Drama ! Welch eine Story ! Welch aktuelle Gelegenheit, das Phänomen des Panarabismus samt seiner Geschichte darzustellen. Auch die Hoffnung, die ägyptische Offiziere beim Vormarsch Rommels bis El Alamein gehegt hatten. Der Anschlag auf Sadat liegt gut gefilmt in jedem TV- Archiv. In den Sekunden nach den Schüssen sind freilich nur in Deckung gegangene Hosenböden erkennbar. Diese Aufnahmen waren auch bei CNN kurz zu sehen. <<<

Libyen ist ein Sammelsurium von Stämmen, in dem die historische Senoussi-Bruderschaft den Vorrang beansprucht. Nach dem Zweiten Weltkrieg haben die Siegermächte das italienisch dominierte Land dem Führer der Senoussis, Idris, als Königreich übergeben. 1969 putschten unter dem Eindruck Nassers junge Offiziere, unter denen Muammar al Gaddafi (*1942) durch besondere Brutalität auffiel. Er erledigte im Laufe der Jahre alle Konkurrenten durch Mord oder Hinrichtung. Libyen mit seinen damals drei Millionen Menschen war ihm bald zu klein. Daher betrieb er Fusionspläne mit Ägypten, Tunesien und schwarzafrikanischen Staaten, die aber alle gescheitert sind. Allerdings kommandierte er oder einer seiner Söhne eine Söldnertruppe aus dem Tschad. Er unterstützte auch verschiedene Terrorgruppen in Europa und begann ein Atomprogramm. Das liess er bald wieder sein, um seine Milliarden aus dem Öl weltweit in Banken, Stiftungen und Beteiligungen zu investieren. Vom Westen wurde er wegen seiner bizzaren Ideen und Auftritten oft verspottet. Bei Auslandsreisen begleiteten ihn ausgesucht hübsche Leibwächterinnen. Er mied dabei Hotels und liess oft ein Beduinenzelt als vorübergehende Residenz aufstellen. Eine ukrainische Krankenschwester mit ausladender Oberweite war oft an seiner Seite, was zu Spekulationen führte, wonach sich der Dikator fallweise an ihrem Busen nährte.

Seine sieben Söhne tollten als Playboys aus der Wüste und jenseits der Gesetze durch ganz Europa. Der intelligentere von ihnen, Saif, hatte Österreich als Spielplatz erkoren und auch prompt Freundschaft mit Jörg Haider geschlossen. Kärntens Landeshauptmann eilte dreimal nach Libyen, um im Regierungszelt des Diktators Abschlüsse zu tätigen, die derzeit von der Justiz untersucht werden.

Arbeit ist von allen Stämmen des Landes immer als unwürdig verachtet worden. Daher auch das ungeheuerliche Kontingent von rund 1,5 Millionen Fremdarbeitern in Libyen bei etwa fünf Millionen Einwohnern. Nun flüchten sie in Massen, denn sie scheinen den kommenden Bürgerkrieg zu ahnen.

Eines muss Gadaffi lassen: Er hat die vielen Beduinenstämme durch Drohungen, Geldzahlung und anderen Vergünstigungen im Gleichgewicht gehalten und mit wechselnden Führungspositionen beschwichtigt. Nun ist dieses Gleichgewicht zerbrochen. Es drohen ein Bürgerkrieg und eine Teilung des Landes. Die Stämme im östlichen Libyen -- die Misurata, Abu Lail, Awaqir, Zuwaya und andere -- haben sich gegen die Zentralherrschaft erhoben. Gaddafi wurde von seinem Heimatstamm, dem Al Quadhafa im Zentrum, sowie von den Warfalla und den Al Magarihara im Westen, unterstützt. Schlüsselstellen im Militär hat Bruder Oberst, wie er sich nennen liess, immer an Angehörige dieser Ethnien vergeben.

Westlibyen hat bessere Truppen und bessere Waffen. Der wüste Sohn aus der Wüste will nicht flüchten. Er will bis zum Untergang kämpfen, Selbstmord inklusive. Er will anders sein als Ben Ali und Mubarak. Eine westliche Militärintervention wird es nicht geben, denn dabei würden Soldaten der NATO als Geisel genommen und möglichweise getötet werden.

>>> Welch ein Drama ! Welch eine Story ! Welch ein Abgrund! Welch eine Gegenheit, endlich die Rolle der Stämme in der arabischen Welt darzustellen. Bei CNN freilich war kein Wort darüber zu erfahren. Sogar die Bruderschaft der Senoussis und König Idris wurden nur mit ein paar Worten erwähnt. Dies, obwohl in fast jedem Bild der Opposition die alte Königsflagge wehte. <<<

Platz und Zeit wären vorhanden gewesen, denn CNN sendet rund um die Uhr. Gibt es nichts Neues zu berichten, so wiederholt CNN vergangene O-Töne und Beiträge. Und immer wieder die überheblichen Slogans: We are taking You to the center of the story… Taking You beyond that, what You already know! Gleich Trommelfeuer kommen diese Befehle aus dem TV Führerstand von der Kommandobrücke des Weltensenders. Was man oft genug wiederholt, das wird geglaubt: Shaping the world to surprise… Drawing a line cross continents… Rule Your world… Straight from the source…See how they connect…

Eine längere und zusammenhängende Story ist hier unmöglich, denn immer wieder wird mit sich überschlagenden Graphiken die Sendeleiste Prism / World Headlines / oder / I List / unterbrochen. Es müssen ja auch die Sponsoren geschaltet werden. Es sind dies vor allem Fremdenverkehrswerbungen für die Golfstaaten, für Südkorea, Indien und Südafrika. Keine Länder Europas. Dies und das wird von Banken gesponsert: Follow the money / Azizibank in Afghanistan / Africas biggest bank: Zenith / Invest in Ukraine / Invest in Azerbeidschan / usw. usf. Oft ist GLO der Sponsor, ohne dass man erfährt, was diese drei Buchstaben bedeuten.

Ununterbrochen bewirbt der Sender eigene Moderatoren, deren Auftritte arrogant, auftrumpfend bis peinlich wirken. Besonders schlimm und mit fuchtelnden Händen: Profit from his experience… Rule Your world… Oder: Piers Morgan: Come and live the experience… Oder Becky Anderson: See, how they connect… Drawing a line across continents…. Sämtliche Moderatoren wirken gleich feucht, abgeleckt und politisch korrekt. Die Sprache dieser Fernsehpapageien hat eine hohe Geschwindigkeit, die das Fehlen von Inhalten verdeckt. Sie reden nicht, sie plappern drauf los. Sie sprechen nie das Publikum an, sondern immer nur die Moderatoren : Jes, Kristie!...OK Kristie, I would say…. Sie mögen als erste an Ort und Stelle des vordergründigen Geschehens sein, aber es ist kein einziger Satz, der zum Nachdenken anregen würde. Oft schildern die Reporter, was sowieso im Bild zu sehen ist: Das ist ein schwerer Verstoss gegen die erste Regel der Fernseh- Dramaturgie: Erzähle nicht, was sowieso im Bild ist!

Da alles live bzw. in Realzeit ist, sind den Reportern in wenigen Fällen kritische Worte über die USA und Israel entkommen. Oft folgt dann sehr schnell die Entlassung durch die Chefs von CNN: Vor allem Kommentare zum Nahostproblem mit einem anti- israelischen Hauch haben sich als Schleudersitz erwiesen. Daneben gab es auch genug Falschmeldungen. CNN-Star Peter Arnett erfand einen Gifgaseinsatz in Laos. Die schnatternde Perserin Christine Amanpour erschien doppelt geeignet: Als Reporterin über Iran und als Gattin des ehemaligen US-Regierungssprechers Rubin. Viele falsche oder zweifelhafte Informationen CNN's sind auch durch die Eile zu erklären, mit welcher Reporter ins Zentrum des Geschehens gehetzt werden. Sie müssen überall und in allen Krisen als erste ankommen. No one remembers, who came second ist ein Wahrspruch des Weltensenders. CNN ist wegen fehlenden Hintergrunds eher langweilig, eintönig und kaum zwanzig Minuten auszuhalten.

Doch die ebenfalls rund um die Uhr sendende Konkurrenz Euronews gräbt immer öfter tief nach, um den Hintergrund auszumalen. Streckenweise gibt es unter dem Titel No Comment nur Bilder des Geschehens und keine Kommentare. Wo Krieg oder Revolten geschehen, ist CNN mit seiner Finanzkraft bei Ankunft des Reporters am Schauplatz schwer zu übertreffen.

Ob man nun von der endgültigen Niederlage des einen oder des anderen Despoten zehn oder zwanzig Minuten früher erfährt, scheint eine Notwendigkeit vergangener Jahre zu sein. Schneller als das Internet kann auch CNN nicht sein. Daher sinken bei CNN die Zuschauerzahlen. Der Weltensender geht mit seinem ahistorischen Schema der Bedeutungslosigkeit entgegen. New frontiers in world business werden sich nicht mehr ausgehen.

Medienbaustein


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