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Eine Antwort auf das Essay von Franz Krahberger „Künstlich, natürlich oder wie?“

© 1999 Hermann J. Hendrich

Die Replik Franz Krahbergers erscheint invers

Die Beschäftigung mit unserem Bewusstsein oder dem Denken in umgangsprachlicher Weise sollte nicht unbedingt abhängig gemacht werden von wissenschaftlichen Ansprüchen, im Gegenteil, wenn wir die Grundzüge der Denkarbeit von Oswald Wiener beachten, sind der Introspektion bzw der Selbsterfahrung wichtige Informationen über die Vorgänge in dem Teilbereich unseres Gehirnes, den wir bewusst nennen, zugänglich und entnehmbar. Über die mögliche Bearbeitung solcher Beobachtungen durch wissenschaftliche Instanzen entscheidet jedoch die Möglichkeit des Einzelnen, seine Erfahrungen in mitteilsamer Weise - also unter Verwendung definierter oder definierbarer Begriffe - darzustellen. Leider deutet uns der Autor am Ende des Absatzes 2 auf Page 1 nicht an, welches Modell (das Wesen es Gehirnes) er als richtig angesehen hat.

Ich versuche, so wenig wie möglich in Modellen wahrzunehmen. Bei Grillparzer habe ich einmal gelesen, dass die Sprache (also ihre modellhafte Abbildfunktion) den Blick auf die Wirklichkeit verstellen wuerde. Ein hochinteressante Ansicht, die dann in anderer Form wieder in Wittgensteins Philosophie in später Erkenntnis auftaucht. F.K.

Ich stosse mich an der Verwendung des Begriffes „Bewusstsein“ im Absatz 3 dieser Seite, denn wenn ich auch der Meinung bin, dass das Selbstverständnis und das Verständnis der Welt des Autors (wie auch meines) durch die gesammelten und vermittelten Inhalte (siehe das folgende), die gemachten Erfahrungen... bestimmt wird, so haben diese mit Sicherheit keinen Einfluss auf das Bewusstsein. Ich erkenne bei dieser kleinen Analyse, dass das Wort Bewusstsein wohl in zwei Bedeutungskreisen verwendet werden kann, einmal, als der Raum unseres Denkens und Fühlens, und andererseits, als der momentane „Erlebniskreis“. Zu Inhalten: wir werden doch nur Beschreibungen gelehrt, wir erschaffen dazu die sogenannten Inhalte, in Abhängigkeit unserer - ebenfalls indoktrinierten - Wertvorstellungen.

Unter "Bewusst sein" verstehe ich dem Begriff entsprechend eben wissendes Sein, wie auch immer dieses Wissen erworben wird. Wissen kann als analysierte und reflektierte Erfahrung angesehen werden. F.K.

Jedenfalls führt die Einstellung von Krahberger zu dem festlegenden Satz: „Das Interesse ist also wesentlich an der Selektion des Wahrgenommenen beteiligt.“ (Warum sich der Autor vom wissenschaftlichen Anspruch zurückziehen will? Ich sehe da keinen Grund!!)

Ziehe mich nicht zurück, sondern erhebe ebenso Anspruch auf subjektive Wahrnehmung. Das trennt die Möglichkeiten der Kunst von den Notwendigkeiten der Wissenschaft.
Die Ausschnittswahrnehmung und das Ausschnittsdenken ist charakteristisch für unsere Welt, deren Fülle von Information und Gegenständen das Erfassungs- und damit das Auffassungsvermögen des Einzelnen übersteigt. F.K.

Zu Absatz 7 auf Page 1: wie nehmen unsere näheren Verwandten im Tierreich ihr Gehirn in „Betrieb“, doch sicher nicht so. Wir nennen gemeinhin Information solche über die Sinne erfahrene Inputs, die sich in einem binär codiertem System abbilden und kombinieren lassen. Das Gehirn nimmt jedoch universell und unabhängig von unserer Art Sinneseindrücke wahr, deren Skalierung nicht binären Ordnungen folgt.

Das sind jedoch konkrete Hinweise auf intelligente Wahrnehmungsformen. Ich will jetzt einmal gar nicht von der Fähigkeit des Werkzeuggebrauchs, also z.Bsp.Einführen von Holzstäbchen in Termitenhaufen durch Schimpansen, reden. F.K.

Die Diskussion über unseren Abstand vom Tier berührt die Kulturtechniken und die Herstellung von Artefakten, aber das Selbstverständnis dabei herbeizurufen erscheint mir überflüssig. Noch sehr wenig wissen wir über unser eigenes Selbstverständnis, noch viel weniger über das der Tiere. Das „Ich-Selbst“ ist natürlich die Gegebenheit der jeweiligen Person, auch meiner, die gerade da tippt, aber wie sieht dieses aus bei einem Wolf oder Bär?.

In jüngeren amerikanischen Forschungsprojekten werden die Grenzen zwischen Tier und Mensch immer mehr verwischt. Ist auch gut so in Zeiten der Bedrohung der Schöpfung, wenn diese auch eine Eigenschöpfung der Natur sein mag. F.K.

„Über die Unterscheidung von Natur und künstlichem...“ irgendwie erscheint mir die Sache umgekehrt. Wir als Menschen haben die Natur in dem obigen Sinn nur durch unsere „künstlichen“ Filter sehen können, gleichgültig, ob als Maisbauern oder Weimarer Landschaftsgärtner. Natur als solche war unserer Art immer ein Feind, eine Fülle von gefährlichen, todbringenden Umständen, die man nur mit ausserordentlichem Geschick oder Zauber zum kurzen Vorteil wenden konnte. Deshalb erscheint mir eine Unterscheidung von natürlichem und künstlichem im Rahmen der Menschheitsgeschichte als falsch, denn das Faktum Mensch gründet sich eben auf dieser Trennung, aus dieser Entfernung der „Einbettung“, der Erkenntnis wie sie sinnvollerweise im Alten Testament beschrieben ist. Es ist die Bedingung unseres Menschseins, dass wir natürliches und künstliches = menschliches unterscheiden können. Wurde die Kunst nach dem Vorbild der Natur auch von den Künstlern so diskutiert? Ich denke da an Leonardo.

Einer meiner Prosatexte heisst „Humbolts Reise“, und damit signalisiere ich schon sehr deutlich, dass mir am unverstellten Blick auf die Natur etwas liegt. Weise in diesem Zusammenhang auch auf Monod hin. „Zufall und Notwendigkeit“ F.K.

In der Folge auf Page 2 dieses Essay taucht dann auch noch der Begriff „natürliches Denken“ auf: darf ich bitten, was das nach dem vorherstehenden zu bedeuten hat? Vielleicht sollte es eine Anspielung auf dass Denken des Nationalsozialismus (Der Mythos des 20. Jhdts) sein, aber dort heisst dieses Denken doch anders.

Das "sogenannte natürliche Denken" ist tatsächlich eine nicht unwesentliche Anspielung auf die Nationalsozialisten, die dem Natürlichen das Entartete gegenüberstellten, bzw. ein Konstrukt des Entarteten, dass sich bereits um die Jahrhundertwende in den Schriften Max Nordaus und seiner Angriffe gegen Baudelaire fand, weiter ausbauten. Das sogenannt Natürliche war ein Teil nationalssozialer Kunst- und Kulturauffassung wie auch ihrer politischen Vorstellung, die im tötlichen Rassismus ihre extremste Ausformung fand.
Nordau wiederum konnte sich auf den von Darwin geprägten Begriff der krankhaften Degeneration berufen. Das in Wien noch heute gehörte Schimpfwort "Sumpfpflanzen" steht da wohl im mittelbaren Zusammenhang.
Ich will jedoch ob dieses historischen Missbrauchs das an der Natur orientierte Wahrnehmen und Denken nicht völlig negieren. Das würde dann z.Bsp. die besten Teile der deutschen Romantik betreffen. Ebenso Humboldt, Adalbert Stifter, Rosseau, usf. Ebenso impliziert ökologisches Denken natürliches Denken.
Nicht nur die Natur und der Bezug auf diese wurde von den Nazis schändlich missbraucht. F.K.

Im folgenden trete ich den Ausführungen des Autors bis zum Absatz 7 auf Page 3 bei, und vermerke dort lediglich, dass ein Gehirn sicher nicht verharren kann, weil es sich um ein komplexes dynamisches Gebilde handelt, das keine Verweilung kennt. Wir kennen die Situation, in der wahnhaft die umgebende Realität im Bewusstsein abgebildet wird: hier hilft keine Philosophie.

Schon im folgenden verschleiert uns Krahberger die Tatsachen unserer Weltgebundenheit. Nicht der Melancholiker zitzelt an der Wahrnehmung der Wirklichkeit, und wird einer Grausamkeit - ich nehme an die Beiläufigkeit der Welt ist gemeint - oder einer Rationalität - voraussichtlich die Folgen von Ursache und Wirkung - unterliegen, sondern unser Kopf selbst, das Ich, ist es, was diesen Weltschmerz hervorruft, weil in uns eingelegt worden ist, dass wir die mögliche Wirkung unseres Tuns extrem überschätzen.

Ich habe nicht die Absicht, zu verschleiern. Ich habe nicht nur einen konkreten, sondern auch realen Verstand, einen früh existentiell mitprägten, der mich die Weltgebundenheit merkbar verspüren lässt, verschweige aber auch nicht, dass mir die Welt des Geistes und der Kunst einiges zu bieten hat, und die hat tatsächlich viel mit unserem Kopf zu tun. Ebensowenig bestreite ich den über Jahrzehnte hinweg wiederkehrenden melancholischen Blick, der mich dann die Welt im interessanten, wenn auch seltsamen Licht schauen lässt. Vielleicht ist es aber bloss eine eigenartige Stoffwechselstörung. F.K.

Bezüglich der Bemerkung in Absatz 7, Page 4, ab „Konkrete Poesie...“ bin ich nicht ganz der Meinung, dass sich Bewegung erst nach einer Übertragung auf computer-gestützte Medien einbringen lässt, um damit den zeitlichen Rahmen zu erweitern. Bereits der Film (Marc Arian, Gerhard Rühm) hat diese Erweiterung mit manuellen Methoden geschafft.

Mit Verlaub gesagt, ich will weder die Arbeiten von Herrn Adrian oder die Gerhard Rühms nicht schmälern. Sehe aber auch längst nicht mehr ein, warum permanent für die Wiener Gruppe Reklame gemacht werden soll. Die digitalen Medien sind eine Möglichkeit, die konkrete Poesie zu expandieren. Nur wird das leider viel zuwenig genutzt. Zwei Beispiele, eins von Blittersdorff und eins von mir finden Sie im Electronic Journal in der Rubrik art.site. F.K.

Es wäre auch interessant zu erfahren, wie die neuen Präsentationsmodelle (gemeint sind wahrscheinlich -formen) unser Wahrnehmungsverhalten ändern. Die erste Malerei odder Zeichnung auf einer Felswand vor 60.000 Jahren hat diesen Schnitt mit der Natur durchgeführt, und mir erscheinen Videobilder oder ein virtueller Raum nicht mehr an Künstlichkeit zu bieten, wohl mehr an technischem dahinter.

Nun das kann nur Ergebnis von work in progress sein. Meine Ergebnisse halte ich weitgehend im E Journal fest, u.a. „Babylon Projekt“ und Exakteres wird noch folgen. Auch dieser gemeinschaftliche Diskurs um Eisendle künstliches Gehirn zählt zu diesem Experience Processing.F.K.

Das führt uns zur Betrachtung des Begriffes virtuell. Neben der allgemeineren umgangssprachlichen Bedeutung von „scheinbar“ hat das Wort in der Mathematik und Atomphysik einen vertieften Sinn bekommen, wobei zur Erklärung oder Berechnung einer Folge von Ereignissen, z.B. in Teilchenbeschleunigern, ein virtuelles Teilchen angenommen wird, das zwar nicht beobachtet werden kann, dass aber die Ereignisfolge erklären hilft. In ähnlicher Weise verwendet die Mathematik die virtuelle Grösse epsilon bei der Berechnung statischer oder dynamischer Gleichgewichte u.v.a.m.
Ausgehend von diesem Gebrauch des Wortes muss ich festhalten, dass ein Videobild des Grizzley niemals virtuell sein kann, weil es objektiv vorhanden ist. Dass wir den lebenden Grizzley in seiner freien Wildbahn da lieber nicht selber beobachten wollen, ist uns wohl zu verzeihen. Ebenso ist Information im allgemeinen Sinn nicht virtuell, sondern real, weil sie sich in allen ihren Formen durchaus mit unseren mathematischen Werkzeugen untersuchen lässt. Also darf ich bitten: entlassen wir die Begriffe virtuell und Virtualität aus dieser Unterhaltung und suchen wir andere, besser geeignete für die Darstellung unserer Gedanken über die mediale Welt.

Da bin ich wirklich völlig anderer Meinung wie mein Kommentator und hier versteht er auch wiederum meine bewusst - also wissend - herbeigeführte spielerische Gegenüberstellung von künstlich und natürlich nicht. Selbstverständlich ist der Video Grizzley ein medialer Kalauer, aber das soll auch so sein. Wie in den Barockkirchen die Religion zum virtuellen Alltagskalauer in den schwebenden Figuren der Deckenfresken geworden ist, so ist uns auch die wahre Lebenswelt auf den Monitoren vergoren und wird von vielen bereits wirklicher als die Wirklichkeit selbst genommen. Sie bringen eigentlich auch die die meisten Stunden ihres Lebens bereits vor dem Video Altar zu, vor Avataren, die die Wirklichkeit substituieren. F.K.

Virtuell - also scheinbar - sind eben solche künstliche Umgebungen, die durch ihren hohen technischen Standard an Stereo-Bild- und Tondarstellung, oft auch in Zusammenhang mit dynamischen Einflüssen auf unseren Körper, uns unseren Aufenthalt im Weltraum, am Mars oder inmitten Gulliver’s Zwergen so suggeriert, dass wir für eine gewisse Zeit dieses künstliche Gebilde als Wirklichkeit annehmen.

Lesen Sie bitte meinen Text Little Nemo & Alice - Instant Dreams. Finden Sie im "Babylon Projekt". F.K.

Eine Anpassung des Menschen an Artefakte findet nach meiner Überzeugung in dem beschriebenen Sinn noch nicht statt. Unsere Entwicklung hat zwar die Erzeugung von Werkzeugen und die Sprache gebracht, aber keine Möglichkeit, sich an künstliche Umgebungen biologisch anzupassen.

Das glaube ich sehr wohl und weise in diesem Zusammenhang auf den Kulturhistoriker Lewis Mumford und dessen „Mythos Maschine“. Sie müssen sich einmal klar werden über der Veränderung Ihres Verhaltens durch die Nutzung des Computers. Gelingt bei konsequenter Selbstbeobachtung. Empfehle auch die Lektüre von Sherry Turkle, o.Prof. des MIT, "Leben im Netz", erschienen bei Rowohlt 1998. Donna Haraway spricht bereits seit längerer Zeit vom gekoppelten Cyborg. F.K.

Ich möchte vorschlagen, dass sich weitere Diskussionsbeiträge zu dem Thema „Ist mein Gehirn künstlich“ im Anschluss an den Essay von Helmut Eisendle die Begriffe künstlich (von Menschen gemacht) und virtuell (scheinbar) in ähnlicher Weise einsetzen wie ich es beschrieben habe, oder ihre eigene Definition im Text mitteilen.

Über eine endgültige Festlegung der Begrifflichkeit, vor allem darüber, ob dies überhaupt möglich ist, wird tatsächlich noch zu reden sein. Einseitige Festlegungen werden zwar akzeptiert, doch sind diese nicht verbindlich. Wir wollen keine 2.Wiener Schule begründen. F.K.


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