Hermann Hendrich an Oswald Wiener


Fruehe Einsichten, ausgebliebene Antworten. Verlustige Bestaetigungen.

1969 erschien Oswalds Wieners Verbesserung von Mitteleuropa bei Rowohlt, nach Vorabdrucken in den manuskripten , herausgegeben von Alfred Kolleritsch in Graz. Wiener verknuepfte erstmals in Oesterereich Fragen der Informatik, der Kybernetik, der formalen Sprachlogik mit dem schwer zu definierenden Feld der literarischen Praxis.

Wiener schockierte nicht nur die traditionelle Wellt der Literatur und der Kunst mit scharfen und brutalen Sottisssen. Er stellte die Sprache und die Literatur generell in Frage. Er ging so weit, dass der Lyriker Reinhard Priessnitz gemeint hat, danach koenne man keinen Roman mehr abfassen.

Hendrich bemaengelt in seinem Schreiben an seinen Freund Oswald Wiener in weiser Voraussicht vor allem die Einengung der Rolle der Sprache und deren Formalisierung, die letztendlich zu einer Abkoppelung von der Wirklichkeit zur Errichtung eines Artefakts, eines sozialen technischen Konstruktes fuehrt. Anstelle des vielfaeltigen Erkenntnisumganges und der dynamischen Vermittlung tritt der Bioadapter, eine Idee, die Wiener nach einem Objekt von Walter Pichler weiterentwickelt hat. So moegen auch die fruehen Kasperlefiguren von Franz Ringel anzusehen sein, die wie Kraken an vielen Schlaeuchen und Plastikrohren an die Umwelt angebunden sind, sozusagen hoffnunglos verstrickt.

Tatsaechlich sollten wir den Bioadapter als Technoadapter verstehen. Nach nun mehr 40 jaehriger Entwicklung, die etwa zur Zeit der Veroeffentlichung Wieners in Europa Platz zu greifen begonnen hat, leben wir mit einem alles vernetzenden elektronischen kybernetisch, digitalen Konstrukt, dass die Welt im globalen Massstab erfasst hat, dessen Wachstum noch nicht zu Ende ist, dessen tatsaechlichen Konsequenzen noch immer nicht absehbar sind. Mit der Vernetzung waechst die Kontrolle und die Einengung.

Der KI Forschung ist es noch immer nicht gelungen, semantisch gesehen brauchbare Ergebnisse zu praesentieren. Die Vielfalt menschlicher Sprache, der Wahrnehmung und der Erfahrung in ihrer sozialen Interaktion wie im Rahmen des evolutionaeren Ganzen uebersteigt das formale Technokonstrukt bei weitem.

Allerdings, so wie Menschen sich gerne der normativen Sprachregelung der Dogmen, Ideologen und diversen Faschismen und Totalitarismen beugen, so unterwerfen sie sich blind wie bloed dem normativen Druck der vernetzten Technologisierung und der alles verschmelzenden Digitalisierung. Eine Dummheit, die von skruppellosen Geschaeftemachern und Politikern gerne taktisch wie strategisch genutzt wird.

Dafuer koennte eigentlich der Wienerische Bioadapter als Metapher stehen, ob nun zustimmend formuliert oder als kritischer Gegenentwurf.

Hendrich erkennt in der Uebersteigerung der sexuellen Erregung und in den Exstasen der Vernichtung, beides konstruktionstypische Charakteristika des Bioadapters die Entfernung des Menschen aus dem sozialen Zusammenhalts. Tatsaechlich entspricht diese dem hedonistischen Grundstrom unserer Generation, den der amerikanisches Soziologe Daniel Bell in seinen Ueberlegungen zu einer postindustriellen Gesellschaft Die Zukunft der westlichen Welt 1973 in den Vordergrund gerueckt hat.

Man kann durchaus eine Art Technofaschismus, nicht allein Technofetischismus, konstatieren, der in einem von der technischen Struktur, die auch die zwischenmenschlichen Beduerfnisse und menschlichen Begierden befriedigt, kuenstlich erzeugten Autismus der Einzelnen muendet.

Interesssant waere es, Vergleiche zu Aldous Huxleys Schoene neue Welt zu ziehen wie auch zu Brave Neo World revisited. Nimmt man noch Neil Postmans Das Technopol > Die Macht der Technologien und die Entmündigung der Gesellschaft, 1992 erschienen, hinzu, laesst sich eine historische Tendenz nicht mehr von der Hand der weisen.

Die kritischen Intellektuellen, so es die ueberhaupt noch gibt, werden nicht mehr umhin kommen, den Stellenwert der Unterhaltung als gesellschaftlich zentrale Kraft anzuerkennen. Helmut Eisendles Einsichten in seiner neuen Wunderwelt liefen ebenso bereits in diese Richtung.

Anzumerken waere noch, dass die solipsistische Grundauffassung Wieners wie auch der Wiener Gruppe durchaus dem kuenstlichen Autismus entegegenkommt. Die Annahme, man koenne einander nicht verstehen, fuehrt in die Vereinzelung und wirft den Menschen allein auf sich selbst zurueck. Dieses Treibgut wird nun generell von der Mega & Meta - Maschine erfasst und zufrieden gestellt.

Tatsaechlich findet sich in Oswald Wieners Solipsismus eine ganze Menge Skinner Behaveorismus.

Dem gegenueber steht eine Techno Elite, die sich in der kreativen Nutzung der Neuen Technologien und Medien durchaus qualitativ neue Freiheitsgrade verschafft hat.

Editor Franz Krahberger

Brief Hermann Hendrich an Oswald Wiener 1969






Oswald Wiener: Bioadapter > aus Verbesserung von Mitteleuropa




·^·