Konferenzbericht: Neue Medien in der Stadtteilarbeit


(1.Teil)
von Franz Nahrada, Hannover 4.9.2002

Wir leiden heutzutage an einer Konferenz-Inflation. Wieviele Prospekte und Einladungen muß ich liegen lassen zu events, die mich sehr Interessiert hätten. Deswegen habe ich mir gedacht:
wenn Du schon zur Konferenz "neue Medien in der Stadtteilarbeit" fährst, nimmst Du Deinen Laptop mit und berichtest. Streust ein paar persönliche Assoziationen ein und schaust wer es lesen mag. Was ich nicht vorhersehen konnte: die Message dieser Konferenz war sehr eindeutig und hat mir sehr viel Auftrieb gegeben. Das wo momentan sich viele meiner Projektideen zum globalen Dorf fokussieren, die Verknüpfung der Stränge Telekommunikation und Lebensraumgestaltung im katalysierenden Impuls einer neuartigen Bildungsinstitution, die mit neuen Medien und individueller Betreuung nach dem Muster der öffentlichen Bibliothek arbeitet und dabei Impulse zur Aufnahme globalen Wissens für lokale Handlungsfähigkeit gibt, war eigentlich bei vielen Leuten als Vision für die Zukunft der Stadtteilarbeit präsent. Das macht die Sache mitteilenswerter.

Zur Vorgeschichte: Ich kannte die Website www.stadtteilarbeit.de und fand vor allem die hier versammelten Texte recht brauchbar, doch als mich Wolfgang Prauser vom Kulturamt der Stadt Hannover im Sommer anrief und einlud, das Schlußreferat zu halten, kam das recht unerwartet. "Wir werden viele Praxisbeispiele geben, doch wir wollen auch in die Zukunft blicken" meinte er. Wer wollte da nein sagen, selbst wenn man eigentlich nicht weg kann?

Von der Stadt Hannover hab ich nicht viel gesehen, die Tagung fand im Stadtteil Kronsberg im Süden der Stadt statt. In gewissem Gegensatz zur Imagewerbung am Flughafen, die größte Messestadt Europas zu sein, stand die Notwendigkeit des mehrmaligen Umsteigens bei der Fahrt vom Flughafen zur Expo. Später erfuhr ich daß die Straßenbahnlinien nach der Expo wieder geändert wurden. Doch schon die Fahrt mit der Kronsberger Linie bot einen Vorgeschmack auf Kommendes, wie in einem modernen Flugzeug waren in geringen Abständen Multimediaschirme montiert, die lokale Reiseinformationen an die Straßenbahnbenützer mit allerlei Werbung und sonstigem Mischmasch darboten.

Was ich vor der Fahrt nicht wirklich realisiert hatte, ist daß Kronsberg quasi ein Bestandteil der Expo 2000 war. Hier führte der Weg zum Expo Gelände durch, hier wurde ein neuer Stadtteil im Zeichen heutiger technologischer Möglichkeiten und nachhaltiger Ziele errichtet. Interessant an Kronsberg ist die Mischung von verdichtetem Flachbau bei gleichzeitiger Weitläufigkeit und funktionalen Auflockerung, und die konsequente Nutzung der öffentlichen Verkehrsachse als urbaner Zentralraum.

Der Tagungsort, das Stadtteilzentrum KroKus, ist das Hauptprojekt Prausers: in einer unüblichen Offenheit liegen hier die Büros der lokalen Verwaltungsdienststellen zusammen mit einem öffentlichen Bildungs- und Tagungsangebot Tür an Tür. Die Referenten für Kulturelles, Soziales und so weiter orientieren sich mit ihren kleinen Büros auf einen großen Arbeitstisch in der Halle, den irgendjemand einmal "Dorfplatz" nennen wollte; darunter ist die (überraschend gut ausgestattete) Bibliothek, darüber der öffentliche Tagungs- und Seminarbereich, der auch von der örtlichen Volkshochschule und vielen anderen Trägern genutzt wird. Kronsberg ist ein Versuchsgelände für "vernetzte Stadtteilarbeit", so hieß auch die Tagung vor 2 Jahren, aus der sich unter anderem die Website "stadtteilarbeit.de" entwickelt hat. Und ich fände es spannend, auch in Zukunft immer wieder mal Blicke in dieses Zukunftslabor zu werfen!

Um das eigentliche Stadtteilzentrum liegen einige Kneipen, Supermärkte, ein erfreulich weitläufiger "Stadtplatz", der an die Marktplätze einer Kleinstadt erinnert und vielleicht auch ähnlich genutzt wird. Nach hinten geht es tatsächlich auf den Kronsberg, mit 131 Meter über dem Meeresniveau ist dieser zwar eine kaum wahrnehmbare Erhebung, dennoch eine rare Ausnahme im ansonsten recht flachen Umland und wird von den Einheimischen daher respektvoll "der Berg" betitelt. Irgendwo in der Landschaft steht ein Denkmal daß Kaiser Wilhelm hier eine Parade abgehalten hat. Angeblich haben nach einer feuchtfröhlichen Lokalrunde ein paar Kronsberger Pensionisten den Plan gefaßt, auf ihrem Hügelchen ein Gipfelkreuz mit Hüttenbuch aufzustellen. Als Reinhold Messner dann ihren Berg "bezwang", war das die Sternstunde des "Norddeutschen Kleinstgebirgsvereins". Es sind solche kleinen Skurrilitäten die einem vielleicht am nachhaltigsten in Erinnerung bleiben, die aber auch in der Thematik der Tagung selbst eine nicht unwesentliche Rolle gespielt haben.

An einem Punkt meines Referates war meine These, daß sich das "Globale", unsere Errungenschaften von Transport, Logistik, Kommunikation, neuen Medien etc. notwendigerweise das "Lokale" als Konterpart suchen muß, um überhaupt Kontur und Identität zu gewinnen und keine Geisterstädte zu generieren. Kronsberg schien mir trotz seiner modernen Monokultur durchaus vorgesehene Freiräume zu bieten, in denen das Lokale Wurzel schlagen kann. In den Gebäuden gibt es große Höfe mit attraktiveren Orten für geselliges Beisammensein als in den vielen anderen Wohnprojekten.

Untergebracht war ich mit einigen anderen Teilnehmern und Referenten im "Agenda 21 Haus", einer Art permanenten Bauausstellung mit eingebauten Gästeräumen. Eigentlich handelt es sich um ein neuartiges Hausbaukonzept, das von einem Deutschen Verband für Handwerk und seinen Industriepartnern angeboten wird. Das Konzept und seine Realisation hat die Anmutung von Tofflers "Dritter Welle": Die Industrie macht das Rohgerüst, lokale Handwerker stellen mit ihren Produkten das Innere jeweils nach den individuellen Vorstellungen des zukünftigen Bewohners zusammen. Das ganze insgesamt sehr kostengünstig und nachhaltig. Wer sich für das Konzept interessiert, findet eine genauere Beschreibung am Internet (agenda21haeuser.de). Schön war es, in solchen "Zukunftshäusern" auch wohnen zu können. Die Agendahäuser sind beliebtes und vielgebuchtes Quartier von Geschäftsreisenden. Der Herbergsvater ist zugleich Baumanager, Kontakter der beteiligten Handwerksfirmen, Fremdenführer. Daneben gab es in diesem Neubauviertel auch Privatquartiere. Alles Dinge, die man wohl in einem Wiener Stadterweiterungsgebiet vergeblich suchen wird. Eine "Kronsberger Route" führt zu 28 Stationen mit städtebaulichen Innovationen, darunter Deutschlands größte Passivhaussiedlung, eine eigene Umweltkommunikationsagentur, eigenen Fahrradstraßen und carsharing, eine interkulturellen Siedlung und und und....leider bedürfte all das eigener drei Tage, ich war zu müde um bei den Stadtteilführungen mizugehen.

Die Tagung selbst ging insgesamt über drei Tage, der erste Halbnachmittag gehörte den politischen Repräsentanten. Der Bürgermeister der Stadt Hannover (in Stil und Auftreten betont nicht Oberbürgermeister) ist überraschend moderat für die technologieverwöhnte Stadt der CEBIT und EXPO und betont, daß hier auch, mit dieser Tagung und ihrem Fokus, Hannoveranisches Neuland betreten wird.

Wolf-Dieter Lukas, Vertreter des Bundesministeriums für Bildung und Forschung hält eine Keynote "Anschluß statt Ausschluß". Sein Thema und auch sein Spezialgebiet ist die Digitale Spaltung.

Er beginnt mit einer Menge Statistik: Ende 2001 gibt es 30 Mio Internetbenutzer in Deutschland, seit 1998 220% immerhin Steigerung. Das Einkommen, Alter und Wohngebiet sind noch Einflußgrößen auf Internet-Nutzung, Bildung sowieso. 50% der Bevölkerung üben "Internetzurückhaltung". Die Studenten sind mit 93% die häufigsten, die Pensionisten mit 9% die seltensten Internet-Nutzer. Was sind Gründe für diese "Zurückhaltung"? Lukas zählt auf: immer noch hohe Kosten, komplizierte Technik, fehlende Anleitung und nicht nachfragegerechte Aufbereitung von Inhalten. Dabei denke ich mir, daß er die "Nachfrage nach Inhalten" und nach Kommunikation insgesamt unhinterfragt unterstellt. Könnte es sein, daß sich viele Menschen nicht einfach ohnehin "überinformiert" fühlen?
Lukas zitiert seine Ministerin: "Förderung von Bildung ist der beste Weg, einer Spaltung der Gesellschaft entgegenzuwirken", "Bildungspolitik ist auch Sozial- und Standortpolitik und vielleicht die beste Wirtschaftspolitik". Er möchte darauf hinaus, daß die zukünftige Funktion des Internet die Bildung ist.

Ist das Internet "Abbild" oder "Zerrbild" der Gesellschaft? Er sagt das Internet ist Zerrbild, "das Internet lebt vom Rotlichtmilieu".
Wirtschaftliche und soziale Bezüge zur gegenwärtigen Gesellschaft fehlen ihm weitgehend: "Die lokale Ökonomie ist ebensowenig im Internet angekommen wie der lokale Pastor". Diese Diagnose ist wohl nicht verkehrt.

Seine Auseinandersetzung mit der Neuen Ökonomie gefällt mir weniger: "Sie lieferte nur Kundenlisten, keine Produkte und Dienstleistungen." Das ist in seiner Pauschalität sicher falsch denke ich mir, sie liefert Produkte und Dienstleistungen, ohne nachhaltig präsent zu sein, ohne wirklich verläßlich dahinterzustehen. Christian Eigners Gedanken zur New Economy, die nichts vom Raum versteht, fallen mir ein. Lukas hingegen spielt weiter die beliebte Melodie "Old versus new Economy": er greift gerade das an, was historischer Fortschritt ist, denke ich mir: "Ökonomie zum Preis Null funktioniert nicht, das Internet läuft immer noch über Angebote die nichts kosten". Schade denk ich mir, wieder einer der das cluetrain manifesto (www.cluetrain.org) nicht gelesen hat und nicht sieht wie das Internet Kunden und Anbieter ins Gespräch bringen kann.

Immerhin ist das Gesamtbild erfreulich differenziert im Unterschied zum üblichen Hype: Informierte Gesellschaft? "Drowning in information, thirsty for Knowledge".
Electronic commerce? Er zeigt ein Balkendiagramm "Es passieren Kaum Geschäfte von B2C, die B2C Säule bleibt auch in den Prognosen kleiner." "Die Wirtschaft ist noch kaum im B2B Bereich angekommen, aber der Verbraucherbereich ist außer rotlicht noch viel weniger abgedeckt." Auch Gesellschaft und Staat sind im Internet nicht angekommen: Er meint, der Staat muß nicht nur Rahmenbedingungen setzen und eventuell auch die gleichberechtigte Teilhabe aller am Netz sichern, sondern auch selber Inhalte zur Verfügung stellen und sich "statt um die Wirtschaft zu kümmern" die Nutzung im öffentlichen Bereich vorantreiben. Soziale Bezüge müssen im Internet ankommen. "Denken sie ans Telephon: da war der Staat für die Telephonzellen verantwortlich" "Auch Bücher leiht man zunächst mal in der Leihbücherei aus".
Mir kommt das seltsam jenseitig vor angesichts der globalen Offensive, öffentliche Dienstleistungen zu privatisieren. So sehr die Position sympathisch klingt, bleibt sie gerade das Argument schuldig, warum die Wirtschaft gerade hier nichts zu suchen hätte.

Überleitung zu seiner Tätigkeit: der Aktionsplan "Innovation und Arbeitsplätze in der Informationsgesellschaft des 21.Jahrhunderts" war ein ressortübergreifendes politisches Projekt. Fast alle Ziele wurden erreicht, vor allem die Schulen gingen ans Netz, was nun?
Das nächste Ziel heißt Internet für alle - doch wo ist der beste Zugang? In Pubs, wie Tony Blair meinte? Eher nicht. In Bildungseinrichtungen also. "Schulen haben am Abend zu. Sind auch nicht so ideal hinsichtlich Betreuung. Auch nicht die Arbeitsämter, die das zuständige Ministerium angeboten hat. Aber Deutschland hat ein relativ großes Netz von öffentlichen Bibliotheken." Klasse, denke ich. Die sind auf ähnliche Schlüsse gekommen wie wir in unserer "Bildung- und Begegnung" Initiative von unten(www.bildungsundbegegnung.at). Also wurde ein Programm bundesweit durchgezogen: Mediatheken in 1200 öffentlichen Büchereien, darunter 144 allein in Niedersachsen. allein 7 in HAnnover, insgesamt mehr als 3300 Surfplätze, Arbeitsämter machen dann noch 233 Standorte mit 2500 Surfplätzen, aber auch Jugendeinrichtungen mit 10.000 Surfplätzen. Das Ganze enthält NICHT die Maßnahmen der deutschen Länder und Kommunen, und ich denke mir daß diese Message auch unsere österreichischen Bundesstrategen erreichen sollte. Oder können sich die deutschen Politiker einfach besser verkaufen?

Das Programm "Bund online 2005" erinnert mich an Help GV.AT. Die deutsche Bundesverwaltung hat gezählte 350 internetfähige Dienstleistungen. Keine Ahnung ob das viel oder wenig ist und was die Beglückten sagen. Er zitiert eine Informationswirtschafts - Prognose aus den USA, in der 3% Einkaufen, 30% Kommunikation, 45% Bildung als Verteilung der Internet-Benutzung für 2012 prognostiziert wird: "In 10 Jahren wird Internet in erster Linie ein Instrument der Bildung sein: oder sollen wir besser sagen 'soll'?"- Er sieht darin eine Gestaltungsaufgabe nicht nur für Staat, sondern für viele Bildungsanbieter, gewaltige veränderungen des Lernens und Lehrens. Auch hier fehlt mir die Frage nach einer qualitativen Veränderung des Bildungsbegriffes. Sind wir nicht ohnehin vollgestopft mit Information?

IT in Schulen: Einerseits sind in Deutschland alle Schulen kostenlos am Internet (bis Herbst2001). Ein zentral verhandelter Durchbruch in Bonn. Grundausstattung für den Unterricht ist fast überall verfügbar. Aber: - zu wenig Computer stehen zur Verfügung, sind oft nicht einheitlich oder gar nicht vernetzt.
- Wartung und Administration bleiben - "oft im Do-it-yourself verfahren" - bei den Lehrkräften hängen. Sie übernehmen häufig IT arbeiten und vernachlässigen ihren Bildungsauftrag und die Eltern geben eine Menge mehr aus als vorgesehen und in der verfassungstheorie gedacht. (die einen haben die Lappys und die anderen nicht - soll der Staat die Augen zumachen?) - fehlen von Lernsoftware für alle Altersstufen und Fächer.
- Modellprojekte taugen weniger als Pilotprojekte, die mit vorhandenen Mitteln neues bewirken
- Ideal wäre, wenn jeder von zuhause auf Schulserver zugreifen könnte.

Nun ist in Deutschland das Schulwesen weitgehend Ländersache, worin besteht der Beitrag des BMBF?
- Entwicklung der Lehr- und Lernsoftware für alle Fächer. Verweist auf internationale Intel (!) Initiative zur Entwicklung von Unterrichrtsmaterialien. 170.000 (!!!) Lehrer wurden in Deutschland qualifiziert. (http://www.heise.de/newsticker/data/anw-30.07.02-003/) In D wurde ein verlag gefunden, der alle Beiträge kostenlos ins Internet stellt und "ein paar davon professionell aufbereitet". - so kann er (der verlag) auch sein geld machen. Er meint, Intel ist inside "mit der lehrerfortbildung oder ohne", verfolge also kein unmittelbares Geschäftsinteresse.
- Systemlösungen für die Computernutzung in Schulen (System, Software und Support)
- Unterstützung der verbesserung der Computerausstattung. Marktplatz für Sponsoren sowie Unterstützung der Regionalisirung, selbstorganisierten privaten Initiativen D21 und n21

IT In der Berufsbildung: die sind ein wenig voran, haben nähere Kontakte zu Wirtschaft. Entwicklung von lernsoftware, IT Weiterbildung statt Produktschulung. Telelernen im HAndwerk. Keine schmalspurigen"Internet berufe", sondern breite und solide IT Ausbildung.

Resume:


1. Digitaler Spaltung begegnen - Teilhabe in Nutzung und Gestaltung, bester Weg durch Förderung von Bildung
2. Gemeinsames vernetztes Handeln von Bund Ländern und Kommunen - "Global Denken - lokal (sprich bottom up und in sozialen bezügen) handeln.
3. Nicht nur Bildung, sondern auch Kultur gehört ins Internet.
4. soziales Umfeld mit lokalen Bezügen müssen sich im Netz wiederfinden. "Noch ist dem Internet kein wirklicher Sinn gegeben"

Die Frage nach der Unterstützung von Communities z.B. für Open Source Lernsoftware wird nicht verstanden "Dafür haben wir kein Konzept". Schade.

Access Denied - Stoplerssteine und Barrieren auf dem Weg in die Wissensgesellschaft

Stefan Welling - Forschungsgruppe Telekommunikation Bremen Computerunterstütze Jugendarbeit /Community Informatics

Stefan Welling ist ebenfalls Spezialist für "Digital Divide" und beginnt mit Internet-Nutzerstatistiken. 1/5 täglich, 1/3 der Bevölkerung mindestens 1x die Woche
Immer noch ungleichverteilung, zusätzlich Männer-Frauen, Ost-West ungleiche Bildungsverteilung (doppelt soviele ex-abiturienten wie ex-hauptschüler)
Auch er nimmt Bezug auf die "Internetverweigerer": "rund ein drittel der bevölkerung artikuliert, in den nächsten Monaten nicht online gehen zu wollen"

der Spruch "das ist ja einfach" - gelte nicht für jeden. ein barrierefreier Zugang sei nicht Allgemeingut und hänge von Orientierungsinformationen ab; Kompetenz- und Wissenserwerb sei Kapitalabhängig, nicht bloß im wirtschaftlichen Sinn, sondern im Sinne "verschiedener Kapitalien" (Bourdieu):
* ökonomisches Kapital: relativer Armutsbegriff 50% unter Durchschnittseinkommen;
* kulturelles Kapital (inkorporiert/wo Kinder aufwachsen, was gelernt wird, wie gelernt wird vs. institutionalisiert/Titel und Schulabschlüsse.): 4 Millionen funktionale Analphabeten hätten besondere Probleme mit dem online-zugang.
* soziales Kapital: Netzen, Beziehungen, wechselseitige Erwartungen und Verpflichtungen, Vertrauen, Normen; Der soziale Nahraum und die ihn umgebenden Netzwerke "rahmen" die Etablierung sozialer Beziehungen und die Entwicklung von Medienpraxen.
Familiäre lebensformen - Haushalt
informelle Netzwerke
organisierte Netzwerke
als konzentrische Kreise
Wichtig sei dies vor allem, weil:
Die Internetnutzung und -aneignung findet vor allem Zuhause statt nur 3,6% im Internet Café
"Bedeutung und Sinngehalte des Internets definiert und artikuliert der Haushalt auf Basis einer moralischen Ökonomie"....
individuelle Entscheidungen...Tätigkeiten unterschiedlicher Bewertungen und Erwartungen, geknüpft an Biographien...
Sicherung der Reproduktion, Erfolg hängt von der Erreichung von identität und Autonomie als sozialer Zusammenhang ab.
"Domestifizierung neuer Medien"...Haushalt ist an Bewältigung prinzipiell konservierender Prozesse gebunden. So sei es zum Beispiel unüblich, daß Kinder ihre Eltern lehren etc.

Nach diesen allgemeinen soziologischen Ausführungen über ihre Hintergründe kam der Übergang zur eigentlichen Stadtteilarbeit:
DOPPELTE Bedeutung neuer Medien für Sozial-Kultur und Bildungseinrichtungen:
- Effektivere gestaltung der betriebsorganisation und Kooperationen
- neue Angebote an Nutzer und Nutzerinnen

Er schätzt daß es ca 5-6tausend Zugangs- und Lernorte /ZULOS) in der Bundesrepublik gibt; das Portal digitale-chancen.de listet über 4000 einträge in seihner Datenbank)
2/3 wenden sich an alle Zielgruppen 1/3 an Jugendliche, Senioren etc über 40% aller Zulos in öffentlichen Bibliotheken gefolgt von Internetcafes 21,7% und Jugendeinr 17%
In 2/3 der Zulos ist die Verwendung des Internet unentgeltlich

Das Angebot der ZuLos ist verbesserbar und ausbaubar
- technische Infrastrukturprobleme lösen (jeder Euro für hardware bedingt einen folgeeuro für Support)
- Nutzungsangebote ausweiten und verbessern.
- Zusätzliche Finanzierungsmittel erschließen. Wenn weggegangen wird von der regelfinanzierung hin zu projektfinanzierung, ist die frustration vorprogrammiert.
- Die berühmten "private public partnerships" "sehen wir kaum bis gar nicht".
- Es ist notwendig Qualifizierungslücken schließen bei MitarbeiterInnen.
- Es gibt eine krasse Unterversorgung sozial benachteiligter Nachbarschaften, sozialer brennpunkte.

(Ich muß an diesem Punkt an das Projekt "Blue Line Televillage" in Compton/Los Angeles denken. Dort habe ich selbst erlebt, wie ein Telezentrum in einem extrem heruntergekommenen Teil von Los Angeles zu hochinteressanten Formen von "virtuellem Ausbruch aus dem Ghetto" geführt hat. (http://www.siembab.com/bltv.htm). Was wohl daraus geworden sein mag? Nun gut, bei uns gibt es ja keine Ghettos....)

Stefan Wellig erzählt weiter, daß sich um einen Zugangs- und Lernort auch leichter der Kern eines regionalen Bildungsnetzwerks bildet. Solche Bildungsnetzwerke bilden attraktive Vorteile:

1.Größere Transparenz des Lernangebotes und höhere Durchlässigkeit der Bildungsbereiche.
2. Kosteneinsparungen durch gemeinsame Infrastrukturnutzungen
3. Verbesserung der Angebotssituation als ganzes durch übergreifende Qualifizierungsangebote.

Er beschreibt die Angebote der Stiftung Digitale Chancen

xx ServicePortal für die Betreiber von ZULOS
xx Informationsportal für Bevölkerung
xx Unentgeltliches Schulungskonzept für die Computerunterstützte Projektarbeit
xx Barrierefreies Internet

In der Diskussion tritt das Bedürfnis nach Vertiefung zutage :

1. >warum halten wir eigentlich die neuen Medien für ne tolle Sache? Wenn der eine sagt Internet >ist mehr Rotlichtmillieu, warum soll man sich dafür stark machen.

2. >Wissen als Befähigung zum sozialen handeln. Wie ist das qualitativ zu beschreiben??

3. >Ein guter Diskussionsprozeß von einigen Praktikern der Jugendarbeit, der das mit dem "funktionalen Analphabetismus" ein wenig relativiert: Schüler lernen Rechtschreibung durch Chatten. Übergänge zur selbstständigen recherche. oder andere positive Beispiele: Jugendliche als Co-Trainer in Bremen/dramatische Verbesserung im Verhältnis zu alten Menschen.
Fazit: Stefan Welling hat sein Vortragsziel erreicht und die Teilnehmer gleich zur Wahrnehmung "digitaler Chancen" provoziert.

Der letzte Redner des Einführungstages, Dr. Herbert Scherer vom Verband für Sozial kulturelle Arbeit in Berlin spricht über "Globales Netz und lokale Aktion". Seine feinen Beobachtungen stehen in schönem Kontrast zu den verallgemeindernden Beobachtungen vorher und lassen an einzelnen Beispielen und kurzen Beobachtungen sehr viele paradoxe Wahrheiten über die neuen Medien durchscheinen.

Fängt an mit einem Gedicht (er wollte den vorschnellen Euphoriestandpunkt dämpfen indem er ein Goethe Gedicht maschinell von deutsch über englisch nach französisch wieder auf deutsch übersetzen läßt- aber war dann schon ganz schön überrascht von der Leistungsfähigkeit der Übersetzungsmaschinen)

Weitere Geschichte über eine Suchmaschine: er sucht ein Mietauto, findet ein Autohaus mit Dumpingangebot. In der realität war das eine kleine Klitsche: "Das Medium Internet übernimmt keine Garantie und Haftung für die Wahrheit der dargebotenen Information. Aber gibt auch den Kleinen eine Chance.
War ehrenamtlich im Aufbau des offenen Kanals Berlins tätig. seit 1990 Geschäftsführer des Verbandes für Sozial-Kulturelle Arbeit Berlin, Nachbarschaftshäuser. Seit 1993 Jugendmailbox und seit 1996 Jugendserver Spinnenwerk.

Neue Medien in den 80er Jahren meinte eigentlich das Privatfernsehen. Heute ist damit der Computer und im speziellen das www gemeint.

"Die neuen Medien veralten sich zu den alten medien wie der Buchdruck zur handschriftlichen Vervielfältigung von texten im Mittelalter"

Brechung von Monopolen: KANN weitestreichende Auswirkungen haben. Hängt von unserer Mitarbeit ab. (Stadtteilarbeiter). Es gibt Gegenkräfte.

Damals hat der Buchdruck das Wissen der Welt verfügbar gemacht und die revolutionäre Umgestaltung der gesellschaft ermöglicht. Ohne Buchdruck keine Reformation, keine öffentliche Meinung, keine Demokratie.

Dabei ist der Buchdruck die Speerspitze der alten medien. Der Medien die einigen wenigen gehören und von ihnen verbreitet werden. Jetzt aber unterliegen die Medien einer völlig neuen Gesetzmäßigkeit: selber suchen und die eigene Sicht der Dinge ungehindert in einem weltweit zugänglichen medium zu verbreiten.

Dieses Medium hat seine Vorgeschichte. Der Wesenswandel kultureller Äußerungen im Zeitalter der Reproduzierbarkeit wird ja schon bei Benjamin thematisiert. Nun ist die digitale Kopie keine Kopie mehr, sondern geklontes Original. (Witz mit Wimpernzange: "sieht aus wie künstlich". Mein Busen sieht schon so gut aus wie ein Silikonbusen: Was ist dann noch Original, was ist dann noch der Gegenstand auf den wir uns beziehen?)

Wahrheitsfrage: Weltweit bekannt sind Manipulationen bei Stalin. Jetzt gibt es enorme Möglichkeiten der digitalen Bearbeitung. Fazit: Wir sollten uns vom Gedanken der objektiven Wahrheit zugunsten einer Fülle von Patchwork-Wirklichkeiten verabschieden. Das fällt uns leichter, wenn wir erkennen wie sehr das frühere "gemacht" und gelogen war.

Die Öffnung des Meinungswesens...die Aufwertung des einfachen Lebens - für bislang ausgeblendete Sichtweisen von Individuen oder Gruppen: Hier beginnt der bezug zur Stadtteilarbeit. Wieder eine Rückblende auf das Aufkommen der portablen Videogeräte: Bilder, die aussahen wie Fernsehen: damals wollte man Gegenöffentlichkeiten schaffen. "Das Medium war zwar demokratisiert, aber es gab kaum Orte wo die Medien Massen erreichten". Produktion für kleine Zielgruppen. Erst der Kabelkanal Ludwigshaven 1984 brachte einen Durchbruch (Privatfernsehen der Zeitungsverleger)
"Inhaltlich nix neues, dennoch war es ein urknall" . Offener Kanal: Chance der Artikulation - Vehikel für Rollenwechsel.

Möchte Ergebnisse nicht vorwegnehmen: sondern ein paar Appetithäppchen geben:

1. Zappen Ade - oder: die Zukunft der offenen Kanäle liegt im Internet

Zappen ist Paradigmenwechsel im Medienkonsum, unumkehrbar. Wir wollen uns nicht von Programmachern zu einem Konsum anleiten lassen, sondern selbst auf die Suche nach dem besten Programm machen.

Tauschbörsen
Suchmaschinen zeigen das neue Benutzerverhalten.
Und das entspricht am ehesten dem Interesse der Inhaltsproduzenten, die eine Zielgruppe erreichen wollen und nicht Quoten. Haben meist, ohne zeitliche Beschränkung eine bestimmte Gruppe im Ziel. Wenn ichs brauche, nicht wenns gesendet wird.
Das Internet ist ein größerer offener Kanal als sich das die Väter der idee vorgestellt hätten.
Weniger Bedarf an Sendezentralen, sondern eher mehr an Unterstützungsstrukturen. Medienwerkstätten.

Ist das gewollt daß jedermann sich verbreiten kann?
Es gibt doch eine Menge Verhinderer:

2. "Das Intendantensyndrom"

Einen Sender machen wollen- bestimmen was das Programm ist - erzeugt schlagartig lauter kleine Monopolisten: alle stürzen sich auf den Jugendschutz als Medium ihrer Gelüste.
Scherers eigene Position: Nichts verbieten, sondern die Jugendlichen dafür zu begeistern was wir für gut finden.
Seit ein paar Tagen ist er davon überzeugt, daß die Verhinderer keine Chance haben. "Google hat erfolg, weil es nicht manipuliert, weil es ein sehr ausgefeiltes Verfahren hat, die Websites zu bewerten". "Ich hab mal eine Suchmaschine getestet und ich landete bei "sex" bei herrn jesus. da stand 99999 mal "sex" auf der Seite. Google hingegen bringt nur das hinauf, was am meisten genutzt wird."
Soll heißen: "diejenigen sind am erfolgreichsten, die sich an den wirklichen Interessen der Menschen orientieren."
(Persönliche und skeptische Anmerkung: nach meiner Rückkehr von Hannover traf ich einen sehr umtriebigen Erfinder aus Salzburg, Roland Mösl. Tatsächlich zeigte er mir daß Google mittlerweile größer ist als alle anderen zusammen. Seine Hauptgebiet ist derzeit die Beschäftigung mit Verfahren, das Google-Rating automatisch zu erhöhen und "um breite Wort- und Begriffsfelder zu kämpfen". Man findet ihn unter "Suchmaschinenspezialist" in Google. Das ist für mich auch ein Argument dafür, daß uns Suchmaschinen niemals die Bewertung werden abnehmen können, daß wir eigentlich sowas wie digitale Klöster zur Ordnung und Sortierung und zur Pflege der wildwachsenden Wissenslandschaften brauchen. Aber das ist eine andere Geschichte ! zurück zu Herbert Scherer:)

3. "Hotline" Über das weitgehende Scheitern eines verfrühten Experimentes

Jugendarbeiter haben relevante Politiker in berlin dazu gebracht, öffentlich Fragen von Jugendlichen zu beantworten (Mailbox). Wenige Fragen, mit manchmal sehr aufwendigen Antworten. Ein Jugendlicher stellt eine Frage und der Erfolg war daß der Apparat sich in bewegung setzt. HAben dann einen Fußballplatz oder eine Förderung gekriegt. (Nur Thomas Krüger (damals Jugendsenator, heute leitet er die Jugendzentrale für politische Bildung) formulierte Antworten aus dem Unreinen). Eigentlich unerhörte Chancen für die politische Bildung - war aber nicht erfolgreich....

4. "Der Kunde als König" ein weiteres Scheitern in der Frage der kritischen Konsumenten?

Datenbank mit Bewertungen. sozialer Einrichtungen.
Jetzt gibt es "DooYoh" eine Bewertung von Konsumgegenständen!!
Sozialtest durch die Nutzer.

Einige Kapitel überspringt er, wird sie hoffentlich in seinem online-Referat ausführen:
immerhin erfahren wir die spannenden überschriften

5. Die Babylonische Verstrickung (interkulturelle Aspekte)
6. "Zusammenfinden was zusammengehört"reale und virtuelle Communities
7. Gleich und Gleich
8 Gegensätze ziehen sich an (alt und Jung)

Ein Enkel bringt seiner Großmutter emailschreiben bei. Ist sehr mühsam...aber ein gewaltiges Lebenselixier. ad Stefan Wellings Bemerkungen zum konservativen Mindset im Haushalt: "Vater Sohn ist ein Problem, aber Oma Enkel ist eine Riesenchance".

Dann führt er aber dnoch noch ein kleines Kapitel aus. Das hat mit Bildung und Lernen zu tun und bleibt gut in den Köpfen haften:

9. Heimwerker und Pfadfinder.

"vom Zwerg Allwissend zum neuen Kommunikationshelfer"

Scherer sieht, ganz in Anknüpfung an Toffler, eine Analogie zur Do it Yourself Bewegung: wir fingen an Dinge selber zu lernen weil wir uns das Delegieren an Spezialisten nicht leisten konnten. Das Verhältnis des Einzelnen zum Wissen der Welt ändert sich dadurch aber dramatisch. Wir bedienen uns schon laufend selbst, siehe zappen. Dann brauchen wir aber vielleicht neue Berufe.
Der Lehrer sollte nicht mehr so tun, als vermittle er den Schülern das, was er weiß. Eher sollte er sich nach dem Bild des Scouts sehen, der vorausgeht im Dschungel. Der Sozialarbeiter der soziale Beratung macht wird sich mit dem Kunden zusammen setzen und gemeinsam recherchieren; die Klienten befähigen und ermächtigen, mit diesen Dingen umzugehen. weitere Beispiele
Job center am Arbeitsmarkt: technische Möglichkeiten für Arbeitssuchende - "sind viel sinnvoller als Bewerbungstrainings".
Bezirkscenter: Behörden wollen zu den Bürgern kommen. neue Beratungskonzepte.

Ach ja denke ich, doch unser electroniccafe mit Bürgerservice (www.electroniccafe.at) werden wir wohl dennoch nicht realisieren können - bis sich das alles nach Floridsdorf durchspricht wirds noch lange dauern.....
So endet der erste Tag und wir sind im Thema....ob ich noch dazu komme, meine elektronische Mitschrift vom 2.Tag zu realisieren, bei dem es um viele spannende örtliche Projekte ging, aus denen ich mir drei rausgesucht habe, weiß ich nicht. kommt vielleicht auch auf die Rückmeldungen an....


 
 


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