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Galenus, Medizinische Schriften

Gesamtausgabe. Venedig 1490.- Ink.73.11

Die ehemals zweibändige Edition der zahlreichen Galenus-Schriften, ist von dem Humanisten Diomedes Bonardus aus dem Griechischen ins Lateinische übersetzt worden waren; Philippus Pincius hat sie am 27. August 1490 gedruckt. Der erste der zwei Bände umfaßt 224 Blätter in respektablem Folio-Format, der zweite sogar 248 in gleicher Größe. Von dieser Galenus-Ausgabe, die auch noch für lange Zeit die einzige Gesamtedition bleiben sollte, sind weltweit 39 Exemplare nachweisbar, davon drei in Österreich; außer in Admont ist nirgendwo mehr eines in einer Klosterbibliothek vorhanden.

Galenus (die ursprüngliche griechische Namensform lautete "Galenos") war der letzte von den großen Medizinern der Antike, zugleich auch der fruchtbarste und vielseitigste Autor in diesem Fachgebiet. Er wurde wahrscheinlich um das Jahr 129 in Pergamon geboren und verbrachte den größten Teil seines Lebens als kaiserlicher Leibarzt in Rom, wo er im Alter von 70 Jahren gestorben ist. Von den mehr als 250 Schriften, die er verfaßt hat, ist nur etwa ein Drittel erhalten geblieben, zumeist Anhandlungen aus dem Gebiet der Anatomie und Physiologie. Ohne selbst ein schöpferischer Forscher zu sein, faßte er die Ergebnisse der griechischen Medizin zusammen und bemühte sich nach dem Vorbild des Hippokrates und im Geiste Platons, die wissenschaftliche Grundhaltung der Ärzte zu stärken.

Abt Gratia Dei hat seiner Galenus-Ausgabe allem Anschein nach einen ganz besonders hohen persönlichen Stellenwert beigemessen, weil er in jedem der zwei Bände nicht nur sein Wappen anbringen, sondern sich jeweils auch selbst in den beiden Titel-Miniaturen darstellen ließ. Auf der Titelseite des ersten Bandes ist er kniend vor der Madonna mit dem Kind dargestellt, während am unteren Rand der Seite das Stiftswappen in Verbindung mit seinem eigenen Wappenschild zu sehen ist. Fast noch eindrucksvoller stellt sich dem Betrachter aber das Bild auf der ersten Textseite des zweiten Bandes dar, die in ihrer gesamten künstlerischen Ausstattung etwas näher erläutert werden soll.

Am Beginn der linken Textspalte steht die in blauer Deckfarbe ausgeführte und weiß konturierte Initiale "Q(oniam)" auf Goldgrund; die Leisten des rechteckigen Rahmens sind je zur Hälfte in Rot und Blau gehalten und weisen gelbe Konturlinien auf. - Oberhalb der rechten Spalte ist in einer Miniatur von gleicher Größe, wiederum auf Goldgrund, der Abt im schwarzen Benediktinerhabit mit dem Krummstab im Arm und mit gefalteten Händen kniend vor Christus dargestellt, der hier als blutüberströmter Schmerzensmann, mit einem gelben Lendentuch bekleidet, zu sehen ist. Dieser trägt auf dem Haupt die Dornenkrone, und an seinen erhobenen Händen weist er die Wundmale vor. Hinter ihm steht ein Engel in gelbem Kleid mit rot-blauen Flügeln und hält das eine Ende des Lendentuches. Rahmen und Rankenwerk sind auch bei diesem Bild in jener Art ausgeführt, die wir schon an den beiden anderen Inkunabeln kennengelernt haben.

Ebenso wie auf der Titelseite des ersten Bandes finden sich auch hier am unteren Rand die zwei vorhin erwähnten Wappenschilde, von Rankenwerk umspielt, als gleichermaßen höchstpersönliche und auch als amtliche Repräsentanten des Abtes und seines Klosters. Der vom Betrachter aus gesehen rechts stehende Schild zeigt das uralte (und in seiner Bedeutung bis heute nicht restlos geklärte) Wappen des Stiftes Admont, einen von Rot und Silber (Weiß) gespaltenen Schild, dessen Hälften mit entsprechend farbgewechselten Rauten belegt sind. Der andere Schild ist ebenfalls gespalten, allerdings von Gold und Schwarz und mit einer völlig anders gearteten Belegung: Die vordere (vom Beschauer aus die linke, für den Schildträger jedoch die rechte und somit die "bessere") Hälfte zeigt hier einen halben schwarzen Adler, die hintere (also die "mindere") Hälfte weist einen goldenen steigenden Löwen auf. Die Bedeutung dieses Wappens, das Gratia Dei vom Kaiser 1484 verliehen worden war, läßt sich aus der Kenntnis seiner Lebensgeschichte unschwer erschließen: Die enge Verbindung mit dem Kaiserhof soll zweifellos in dem halben (Reichs-) Adler zum Ausdruck kommen, wobei die "kaiserlichen" Farben Schwarz-Gold noch zusätzlich in diese Richtung weisen, während wir in dem Löwen einen Hinweis auf die Herkunft des Prälaten aus dem Venetianischen erblicken dürfen. Somit spiegelt sich in der kunstvoll gemalten Wappenbordüre auf den Titelblättern des letzten von Gratia Dei angekauften Buches und damit im Buch selbst das Lebensschicksal dieses Büchersammlers, das wohl als ebenso ungewöhnlich gelten kann wie die Bibliothek, die es hier vorzustellen galt.

Johann Tomaschek

 
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