Bild Divina proportione
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Von dem Mass und Verhältnissen des menschlichen Körpers, vom Kopf und seinen übrigen Gliedern

Die Natur, die Dienerin der Gottheit, ordnete, als sie den Menschen bildete, sein Haupt mit allen notwendigen, allen andern Teilen entsprechend seines Körpers entsprechenden Verhältnissen an. Und aus diesem Grund richteten die Alten, nachdem sie die angemessene Anordnung des menschlichen Körpers erwogen, alle ihre Werke, insbesondere die heiligen Tempel nach seinem Verhältnis. Denn in ihm fanden sie die zwei hauptsächlichsten Figuren, ohne die es nicht möglich ist etwas zu bewerkstelligen, nämlich die höchst vollkommene Kreislinie und von allen gleichen Umfangs die vom größten Inhalt, wie Dionysius in seinem Werk von den Kugeln sagt. Die andere ist die gleichseitige quadratische. Und dies sind diejenigen, die von den beiden Hauptlinien, nämlich krummer und gerader, hervorgebracht werden. Hinsichtlich der Kreislinie offenbart es sich, daß, wenn ein Mensch sich auf dem Rücken liegend ausstreckt und, soweit es möglich, die Beine und Arme wohl auseinanderstellt, der Nabel genau der Mittelpunkt seiner ganzen Lage ist, derart, daß, wenn man einen hinreichend langen Faden hat, und die eine Spitze von ihm im genannten Nabel befestigt und die andere rings im Kreise herumführt, man genau finden wird, daß er gleicherart den höchsten Punkt des Kopfes und die Spitzen der Mittelfinger der Hände und die der großen Zehen der Füße berühre, welches die zur wahren Definition des Kreises von unserem Euklid im Anfang seines ersten Buches aufgestellten erforderlichen Bedingungen sind. Auch das das Quadrat wird erhalten, wenn gleichermaßen die Arme und die Beine ausgestreckt und von den äußersten Enden der großen Zehen der Füsse bis zu den Spitzen der Mittelfinger der Hände die geraden Linien derart gezogen werden, daß von der Spitze der großen Zehe des einen Fußes zur anderen Spitze des anderen Fußes ebensoviel sei wie von der Spitze der Mittelfinger der Hände zu genannten Spitzen der großen Zehen der Füße und genau so viel auch von der Spitze der besagten Mittelfinger der Hände, wenn man von der einen zur anderen Linie zieht, wenn die Arme genau gerade ausgestreckt; und ebensoviel beträgt genau die Höhe oder Länge des ganzen Menschen, wenn er wohlgebildet und nicht ungeheuerlich, was so stets vorausgesetzt wird, wie Vitruv sagt.

Text von Luca Pacioli: 1445 -1510 Mathematiker / Professor u.a in Florenz, Venedig und Rom

Illustration: Leonardo da Vinci

 
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