Bild Das jüngste Gericht
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Das jüngste Gericht zählt zur zentralen finalen teleonomischen Vorstellung der christlichen Religion. Es verknüpft die Auferstehung und das Ende der Welt und weist die endgültige Überführung des weltlichen in den göttlichen Bereich. Danach existiert weder der Mensch noch die Welt. Alles ist aufgegangen in Gott und in der dualen Negation, der Hölle.

Ein individuell bezogene Vorform des Jüngsten Gerichts ist das Gericht über die Seelen der Verstorbenen.

So stellt Stammel den wiedererstandenen Wanderer als einen teilweise in ein Leichentuch gehüllten Jüngling dar, dessen linker Fuss auf einer gekippten Grabplatte ruht. Auf dieser Grabplatte ist ein Totenkopf, eine zerbrochene Kerze und die Signatur des Bildhauers Stammel eingraviert.

Über dem Haupt des Jünglings schwebt Christus in seiner finalen Wesensform des Weltenrichters.

Neben dem rechten Fuss der zu richtenden Seele hockt ein kleiner Teufel, der vom Buch des Lebens mit den darin aufgezeichneten guten und bösen Taten niedergedrückt wird.

Der nach oben zu Christus weisende Putto, der in Höhe des rechten Oberarmes des Jünglings positioniert ist und der durch das Buch geduckte Teufel, die dadurch erzeugte aufwärtsstrebende Bewegung, lassen annehmen, dass das Gericht für den Jüngling günstig entscheiden wird und ihm der Himmel offensteht.

Es stellt sich nun Frage, wer die verdammte Seele ist, die mit dem Tier in der nächsten Skulptur der vierteiligen Figurengruppe zur Hölle fährt.

Man kann dies dahingehend beantworten, dass die Entscheidung bewusst vage gehalten ist, um dem Betrachter in der Nachdenklichkeit über sein eigenes Tun und sein mögliches Ende zu halten.

 
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