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Der geistige Raum

Im wesentlichen wäre eigentlich nur der Raum nötig, eine entsprechende Anzahl von gut zugänglichen Regalen, ein Aufstellungsystem, das Grösse und Volumen der Bücher, deren Inhalte und deren Autoren berücksichtigt.
So die einfache räumliche Struktur einer Bibliothek. Das schafft vielleicht einen praktikablen und sicheren Aufbewahrungsort, jedoch noch lange keinen geistigen Raum.

Der Admonter Bibliothekssaal entfaltet im ersten Eindruck Pomp, Pracht und Prunk, alle Eigenschaften des Barocks, jener Kunstrichtung also, die die österreichische Kulturlandschaft so nachhaltig geprägt hat. Ein Gesamtkunstwerk wurde hier eingerichtet, daß die bildenden Künste, die Architektur und die Welt des Buches auf der Höhe jener Zeit in Eins zusammenzieht und damit ein multimediales Ensemble bildet.
Und doch dient alles der Präsentation des Buches, der vielen hier versammelten Bänden. Diese verschwinden nicht in der Tiefe der Regale, ihre aneinandergereihten Rücken sind in das Erscheinungsbild der Bibliothek einkalkuliert. Die strenge einheitliche Struktur der gereihten Bücher und des aus Paralleogrammen und Trapezen gefügten virtuellen Bodens bilden den substantiellen Körper des Raumes.

Dieser eigenartige Boden, der je nach Standort und Blickwinkel unterschiedliche räumliche Erscheinungsformen annimmt, hat mich einige Zeitlang beschäftigt.
Ich habe in einer Ausgabe von Keplers "Harmonici mundi", die auch eine Reihe virtueller geometrischer Strukturen beinhaltet, die Elemente dieses Bodens wieder gefunden. Und eben dieselbe Struktur fand ich an der Oberfläche eines Granaten, den ich mir aus einem dem Kloster nahegelegenen Gebirgsbach geholt habe. Die Struktur von Edelsteinen und von Halbedelsteinen spielte eine wesentliche Rolle im naturwissenschaftlichen Denken des Mittelalters. Sie drückten die Schöpfung in höchster Klar- und Reinheit aus und fanden in dieser Interpretaton auch Eingang etwa in die Ästhethik des Thomas von Aquin.

Nehmen Sie ein Buch zur Hand, öffnen Sie es mit dem Rücken auf Sie zu gerichtet, neigen Sie es etwa um 45 Grd, schauen Sie von oben drauf. Die oberen Buchkanten ergänzen Sie zu einem Trapez, das auf den Parallogrammen der Buchdeckeln aufsetzt. Diese Struktur stellen Sie sich nach vorne, nach rechts und links und nach rückwärts fortgesetzt. Damit können Sie sich der Struktur und der Erscheinung dieses virtuellen Bodens annähern.

Ich neige dazu, diesen Boden für einen wesentlichen Teil des Raum & Sinnkonzeptes zu halten. Der Boden ist nicht einfach eine Fläche, auf der man steht und von dem aus links und rechts und oben wahrzuhaben sind, der Boden bildet einen zusätzliche virtuelle Raumhülle. Man bewegt sich nicht auf dem Boden , sondern vielmehr (mit dem Boden) im Raum. Dieser Boden ist wesentliches Konstruktionselement des geistigen Raumes. Ich habe davon mehrere Videoaufnahmen gemacht. In einer Einstellung führte ich die Kamera in einer streng kreisförmigen Bewegung über diesen Boden und konnte damit regelmässige kubische Metamorphosen erzeugen, die, bedingt durch die Struktur des Bodens , ein vereinfachte Darstellung des menschlichen Körpers, also Rumpf und Entitäten, ergaben. Ich habe diese Videosequenz dann folgerichtig mit der Vitruvischen Beschreibung des menschlichen Körpers, besser bekannt durch Leonardes Darstellung der menschlichen Gestalt, eingeschrieben in Quadrat und Kreis, versehen.

Der obere Raum imganiert ebenso Weite, Öffnung, Ausblick. Über den abschliessenden Bögen der Bücherregale ist gemalte Illusionsarchitektur angesetzt. Seitliche Öffnungen und die grossen ovalen Aussparungen sollen den Eindruck einen Öffnung in das Blau des Himmels erwecken.
In diesem Blau des Himmels sind auch die allegorischen Figuren der sieben Fresken frei in den gemalten Lüften schwebend dargestellt.
Die ”Verschachtelung” und Komprimierung von Wissen und Darstellung ist eines der Themen, die die Beschäftigung mit dieser Bibliothek mit sich bringt.

Der Universalismus war sich immer der Vielfalt der Gegenstände bewusst. Ebenso war er sich bewusst, daß eben die Vielfalt, die Quantität der Qualitäten die Auffassung übersteigt. So sah er sich gezwungen, Einteilungen und Orientierungshilfen zu entwickeln, Metastrukturen zu eröffnen und das vielfältige Ganze in überschaubaren Ordnungs- strukturen unterzubringen, sozusagen in den menschlichen Verstand einzuordnen, bzw. den menschlichen Verstand den Gegebenheiten der Erkenntnis anzupassen. Die Vielheit in Einem, also in der göttlichen Einheit zu bergen.

Ich habe mich lange gefragt, warum in der Admonter Bibliothek, weder in den Fresken noch in Skulpturen eine Darstellung Gottes, jenes Wesens also, dem dieses ganze Ensemble huldigend dient, zu finden ist. Es gibt nur einen Hinweis auf IHN in Form eines kurzen hebräischen Wortes, der hebräischen Bezeichnung des Namens Gottes, der im Zentrum des zentralen Freskos der göttlichen Offenbarung angebracht ist, und damit den zentralen Punkt des gesamten Ensembles ausmacht.
In diesem Zusammenhang ist auch von Interesse, dass der elliptische Rahmen der Fresken, die auch als Sphären angesehen werden, sich im zentralen Fresko der göttlichen Offenbarung weitgehend der Kreisform annähert.

Thomas Leinkauf eröffnet uns in seinen 1992 erschienenen Studien zur Struktur der barocken Universalwissenschaft am Beispiel von Athnasius Kircher SJ (1602 - 1680) den geistesgeschichtlichen, wissenschaftstheoretischen und theologischen Horizont der barocken Weltanschauung und Weltbetrachtung.

Kircher zeichnet das Bild Gottes in Form einer der geometrischen Intelligenz. Kreis und Sphäre bilden die absoluten Metaphern kombinatorisch-analogischer Abgeschlossenheit. Der Kreis ist das geometrische Symbol der Vollkommen-heit, des in sich Abgeschlossenseins und der vollständigen gegenseitigen Vermittlung von Einheit/Identität und Vielheit/Differenz in der Peripherie in Einem.
Der Kreis war schon für das griechische Denken eine absolute Metapher der Kosmologie. Platon hat in seinem 10.Buch der Gesetze davon gesprochen, dass die alles durchwaltende und allem innewohnende Seele vermittelt dem Weltall eine sinnvolle, der Vernunft in ihrem Prinzip entsprechende, organisierende Bewegungsform, die vollkommene Kreisbe- wegung.
Die metaphysisch - theologische Implikation der Kreisform umfaßt nach Leinkauf jene Theologumena, die zu den verbindlichen Kategorien jeder philosophischen Prinzipiendiskussion zählten: Ewigkeit, Einsförmigkeit, Abge-schlossenheit, Autarkie. Die Vermittlung von Einheit (Zentrum) und Vielheit (Peripheriepunkte) im Kreis- und Sphärenschema ist für das christliche Gottesverständnis wichtig geworden. In den Metaphern Kreis und Sphäre drücken sich verschiedene Aspekte des christlichen Gottesbegriffes wie Ewigkeit, Trinität und Parusie, nach Platon die Anwesenheit, die Gegenwart und das Dasein der Ideen in den Dingen, aus.
Das Kreiselement ist selbstverständlich in Admont sowohl in der Form der Fresken, in der Raumgestaltung und mehrmals in der Symbolik des Schlangenrings, der Ewigkeit andeutet, zu finden.

Den absoluten göttlichen Grund repräsentiert die Punkt- Einheit. Sie ist das absolute Zentrum, sie ist der Grund alles Hervorgehens. Kircher bestimmt diese Entfaltung der Einheit in ihr vollkommenes Bild, das imago puncti intimi als kugelfšrmigen, in allen Punkten absolut gleichen Wirkraum des Prinzips. Nehmen wir an, dass dieser zentrale Punkt des Freskos der göttlichen Offenbarung, durch einen schlichten hebräischen Schriftzug , der den Namen Gottes zeigt, repräsentiert wird.

Kreis, Punkt-Einheit, Kugelform sind einerseits universelle Hülle sichtbarer Schöpfung und andererseits Übergangssphäre zur unbegreiflichen Gottheit. Die Geometrisierung der Gottesvorstellung lässt sich von den platonischen Formen herleiten. So nimmt es auch nicht wunder, daß ein aufgeklärter Künstler-Architekt, Etienne-Louis Boullee (1728-1799) die Kugelgestalt zur Verherrlichung Isaac Newtons, für den Entwurf des Cenotaphe a Newton, 1784, weiterhin beibehält.

Zwischen 1851 und 1862 zeigt der englische Geograph und Kartograph James Wyld (1812 -1897) The Great Globe, eine 12 m im Durchmesser grosse Kugel, die innen hohl und begehbar ist. Auf der Innenfläche der Kugel ist das Abbild der Erde aufgemalt, während die Aussenfläche mit den goldenen Sternen des Firmaments verziert ist. In zusätzlichen Räumen wurden Landkarten, Globen, Atlanten und geographische Ansichten gezeigt. Des Äussere ist ins innere verkehrt. So wird dieses Panorama zu einer anschaulichen Metapher unserer Kreis und Kugelsymbolik. (Siehe Stephan Oettermann, Das Panoroma )

Die nötige symbolische Geschlossenheit des Raumes wäre aber nichts ohne den Boden. Und dieser Boden bildet aus der Zweidimensionalität heraus eine dreidimensionalen Illusions-Raum aus, der dem Betrachter Stufen vorspiegelt, die jeweils in die Höhe streben, hin zu den Bücherborden, hinein in die Tiefen des Bibliotheksraumes.
Die Einheit manifestiert sich in der Vielheit als Vernetzung des Vielen, als in sich gestufter Zusammenhang (catena rerum) und als dynamische Naturgesetzlichkeit. Die Catena rerum, die Kette der Dinge zeugt nach Leinkauf davon, dass das Eine im Anderen unter den Bedingungen des Anderen es selbst ist und umgekehrt. Das Unterste einer je höheren Seinsstufe ist im Höchsten der anschließenden niedrigen Stufe und zugleich das Höchste der niedrigen im Untersten der folgenden höheren Ordnung. Mit dem Begriff der catena ist der Topos der scala Jacobi, der Jakobsleiter verbunden, von der wir wissen, das sie uns zur Erkenntnis und letztendlich zu Gott führt, daß diese in der Genesis beschriebene Treppe Himmel und Erde verbindet.

Diesen Topos hat auch Ludwig Wittgenstein noch in seinem tractatus logico-philosophicus 6.54 verwendet. Ich erwähne dies hier, weil Wittgenstein diesen Topos in Zusammenhang mit dem Unaussprechlichen, mit dem Mystischen, also jenem Bereich, der an das Göttliche rührt, nutzt.

Auch die Teilung der Grundelemente des Bodens in Drei, die als Ganzes etwas ergeben, dass viel grösser als die Summe seiner Teile ist, lässt uns an die dreifaltige Ordnung des göttlichen Urgrunds denken.

Wir wissen aus der Theologie des Athanasius Kircher in der Übertragung von Thomas Leinkauf, das seiner Vorstellung nach Gott zwar in der Welt wirkt, das die Welt in ihm jedoch nicht enthalten ist. Die Welt ist nichts ohne Gott und Gott selbst ist substantiell alles ohne Welt, da er ihr absoluter Grund ist. Alles was die Welt ist, ist das positiv verstandene Nichtsein Gottes, dass sich für uns symbolisch als unzugänglicher Punkt manifestiert.

Die göttliche Geometrie führt uns an die Grenzen unserer menschlichen Ordnung. Sie zeigt uns unsere Begrenztheit in ihrer unendlichen Manifestation. Diese Manifestation des unendlichen und quasi göttlichen Bereichs kann nicht mehr mit menschlichen und weltlichen Abbildern vermittelt werden. Es bedarf der Abstraktion und der illusionistischen Annäherung. Die Ausstattung des Bibliotheksbodens eröffnet eine Parallele zur religiösen Kunst des Islam, zur Funktion des Ornaments, in dem sich die geheimen Formeln der Gottheit ausdrücken und wiederspiegeln.

In gewisser Weise spiegelt der Boden auch eine Vorstellung göttlicher Schöpfung wieder. Alles was in der Welt ist, ist aus der Virtualität Gottes entstanden, so die christliche Vorstellung. Am Anfang war das Wort....
Die Virtualität dieser Bodenanlage ist etwas, das eine dynamische dreidimensionale Ordnung aus der Ebene der zweiten Dimension heraus schafft. Natürlich bedient sie sich der Illusion und der Täuschung des betrachtenden Auges.

So gesehen ist die Bodenanlage eine Metapher der sich in die Unendlichkeit entfaltenden göttlichen Schöpfung. Wir werden bewusst an den Punkt bzw. Ebene des Nicht Mehr Verstehens herangeführt, vom Gegenstand in die Welt der Ideen, an den Rand der menschlichen Erkenntnis, an dem Wittgenstein niederschreibt, das über das, von dem man nicht sprechen könne, man darüber schweigen müsse, bis sich nach Kirchers Vorstellung jener Vorgang der göttlichen Mitteilung wiederholt, und den Menschen das Licht einer neuerlichen göttlichen Offenbarung erkennen lässt.

Bertrand Russel schreibt in seiner Geschichte der Philosophie, dass Theorie ursprünglich so etwas wie Schaulust bedeutete. Man könnte meinen, dass der Barock mit allen Mitteln der Kunst die Schaulust wieder herstellen möchte. Das "conubium virtutis ac scientiae", das Eheverlöbnis von Tugend und Wissenschaft ist jedoch vor allem eine artifizielle Inszenierung.

Es wird nicht der Gegenstand gezeigt, es werden Zeichen, Ikonen und bildliche Metaphern eingesetzt die auf eine weitere Wirklichkeit hinweisen. So sind die Fresken auch als ein kombinatorisches Spiel von Metaphern und Abstraktionen und nicht von Wirklichkeiten anzusehen.
Thomas Leinkauf erkennt in der Grundtendenz der barocken Zeit eine spielerische Variante.
"Das spielerisch kalkulierende Kombinieren von Elementen zu Arrangements von kleinen, innerweltlichen Mikrokosmen, die in ihrer Abhängigkeit vom Deus calculans dessen geniale Schšpferleistung imitieren und in ihre Abständigkeit vom ungeordneten, unkalkulierbaren faktischen Sein dessen konstitutiven Mangel post lapsum momenthaft (Feste, Triumphzüge) oder in lokaler Isolation (Schloss- und Gartenarchitektur, Kunstwerke) ergänzen, ist eine wesentliche Signatur der Zeit. Das spielerische Konstruieren von durch kombinatorische Prozeduren geprägten Alphabeten, Anagrammen, Gedichten, das unmittelbar aus einer Verarbeitung lullistischer Prinzipen entspringt und häufig (bei den ernsten Autoren) nur den Nachweis von deren Nichtanwendungs-bezogener Stimmigkeit in sich liefern, steht in innerem Bezug zu der kompensatorischen Grundhaltung dieser Zeit, die existentielle Unsicherheit und semantische Überkomplizierung durch solche Freiräume besänftigen wollte."

Dieses spielerische Kombinieren machen sich die Künstler, Inventoren und religiösen Auftraggeber zunutze, um den kombinierenden Gott omnia in omnibus, discors concordia, catena rerum, panspermia und dessen Wirken in der Welt symbolhaft und andeutungsweise darzustellen. Und es war da sicher auch ein lustvolles und einen hohen Rang von Bildung kündentes Deuten der Metaphern, Allegorien, Ikonen und deren Zusammenhänge. Wir können diese Ensemble auch als eine Art philosophisch-theologische Maschinen, als Anlagen ansehen, die den Diskurs der Inhalte und deren Kontext herausgefordert haben. Sie waren wohl so etwas wie ein Tempel der Weisheit und der Wissenden, wie ihn etwa auch Goethe im zweiten Buch der Wanderjahre des Wilhelm Meister beschreibt.

Wir erleben ein kunstvolles Wechselspiel das sowohl der Ehre und der Grösse Gottes dient, das der Ehrfurcht vor der Schöpfung wecken soll, und zu sittlichem und wissenschaftlicheHandeln anleiten will.

Die zentrale Stellung des Freskos der göttlichen Offenbarung legt auch die Ordnung der weiteren Fresken fest. Eins- Aurora oder das Erwachen des Geistes- und sieben - Die Künste und die Kunstfertigkeit - haben gegenüber dem zentralen Fresko allein schon räumlich eine periphere Position. Sie weisen im Kern zurück in die griechische Mythologie, in eine animistische Naturvorstellung, die die Naturgewalten mit göttlichen Wesen beseelt sieht und erfährt. Der Mensch erlebt die göttliche Allmacht in der in umgebenden Natur. So sind zum Beispiel Poseidon und Aurora Metaphern für Erscheinungsformen der Natur, für die Naturgewalt des Meeres und des belebenden Lichtes. So gesehen bildet die Natur, als umfassender Ausdruck der göttlichen Schöpfung den Horizont der göttlichen Zentraldarstellung. Aus ihr, aus der Bewusstmachung des Schlafenden, aus der Erweckung des Morpheus durch Aurora, durch die Morgenräte entsteht das Wissen um die Natur und im weiteren um die Allgegenwärtigkeit Gottes und der im zugeordneten Attribute, die wiederum das Verhalten der Menschen regeln, in gute und böse Handlungen unterscheiden lässt.
Die von Altomonte für die Freskierung verwendete Farbenpalette erinnerte mich an die Farben der tatsächlichen Morgenröte, jenes spektral aufgelösten Frühlichtes, dass von der Farbe ähnlich dem Regenbogen, flach und parallel zum Boden im Morgen erscheint. Man kann es nur im mediteranen Süden sehen. Ich habe es in der Carmague gesehen. Altomonte war es mit Sicherheit bekannt, verbrachte er doch einige Zeit mit seinem Vater in der Werkstätte des grossen neapolitanischen Barockmalers Francesco Solimena.
Die am südlichsten und nördlichsten angebrachten Fresken weisen in die vorchristliche Zeit, hin zu den antiken Quellen humanistischer Kulturvorstellungen, sie werden davon geradezu dominiert. In den Fresken sechs, fünf und vier bestimmt die christliche und wissenschaftliche Ikonographie.
Zwei - Philosophie und Geschichte - und drei - Geistliches und weltliches Recht - vermitteln eine eigentümliche Verwebung ziviler Wissenschaften und griechischer Mythologie, die jedoch wesentlich zum Charakteristikum des Humanismus zählt.

Man kann davon ausgehen, daß das Admonter Bibliotheksfresko der Ideologie des Barock entsprechend eine harmonische Verbindung von Humanismus und christlichem Dogma festschreibt.

Die unterschiedlichen Ebenen werden nicht als einander wiederstrebende Gegensätze vorgeführt. Sie ergänzen einander. Die griechische Mythologie wird zur Metapher der natürlichen Schöpfung, der menschlichen Fertigkeiten und Fähigkeiten, der Notwendigkeiten des Gemeinwesens und der damit verbundenen Ordnungsgeister.

Die Darstellung der Zeitvorstellung in Form von Kronos und deren Gegenüberstellung der christlichen Eschatologie ist noch gesondert zu reflektieren. In der griechischen mythologischen Vorstellung vollzieht sich die Wiederkehr des ewig Gleichen, die Schlange, die ihren Schwanz verschluckt und damit in einen unauflösbaren Zeit- kreislauf gerät, während dem die christliche Vorstellung einer finalen endgültigen Verwandlung zu strebt.

Von wesentlichem Interesse ist auch die Verschiebung der Metaphern bzw. der Bedeutungen. Während im mythologischen und wissenschaftlichem Bereich Analogien zur natürlichen und zur menschlichen Welt auftreten, verschwinden diese im göttlichen Bereich völlig. An ihre Stelle treten die göttlichen Tugenden, die dem Menschen zur Pflicht auferlegt werden, die die Grundlage einer theologisch fundierten Ethik bilden, deren Verletzung eben Sünde bedeutet.Die Repräsentanten der göttlichen Offenbarung in Form der Propheten, der Evangelisten, der Kirchenväter füllen das vierte, zentrale Fresko aus. Sie sind die Verkünder des göttlichen Willens und die Bewahrer der wahren Schriftlichkeit. Gott ist nur mehr in einem kurzen hebräischen Wort angedeutet.

Auch in Zusammenhang mit den zivilen Wissenschaft wird klar gemacht, daß weltliches Recht vor Gott allein nicht genügt.
So steht dem Fresko der Jurisprudenz, in dem zu beiden Teilen weltliches und kirchliches Recht wie auch als mythologische Verankerung des Rechts Pallas Athene versammelt sind, das Fresko der Theologie - fünf - symmetrisch gegenüber, bezogen auf die Siebenteilung des Gesamtfreskos.

Menschenrecht ist also nicht Gottesrecht und Menschenwelt ist nicht der göttliche Bereich. Und dieser göttliche Bereich ist auch keine Analogie für irgendwelche Naturerscheinungen. Das ist wohl die am schwersten zu verstehende Botschaft, die uns der christliche Glaube vermitteln will. Athanasius Kircher hat uns bereits klar gemacht, das Gott ausserhalb der Welt ist und doch alles, das innerhalb der Welt ist, von ihm stammt.

Die Anordnung der Fresken stellt also eine hierarchische Ordnung von Wissensgebieten dar, die in der Positionierung eine Wertung vornimmt.
Die Wertung ist eindeutig. Natur steht am Rand. Dem folgen die menschlichen Fertigkeiten, die Sprache und die Künste, die Philosophie, die Naturwissenschaften, die Gesellschaftswissenschaften. Erst im Übergang über die Ethik und das Recht entfaltet sich der zentrale göttliche Bereich.

Das der benediktinischen Wissenschaftstradition im medizinischen Bereich am nächsten stehende Fresko dürfte wohl das Fresko VI "Die Medizin" sein.
Alexander von Humboldt schreibt in seinem Kosmos Band 2, daß die nestoranische Schule von Edessa die naturwissenschaftliche Untersuchung der Heilstoffe aus dem Mineral- und Pflanzenreich erweckte. Diese medizinische Schule diente den Benediktinern von Monte Casino und Salerno als Vorbild zur Einrichtung ihrer medizinischen Schule und Forschungen.
Der Inhalt des Freskos VI ist wesentlich der Heilkräuterkunde, der Botanik, der Chemie gewidmet. Ebenso findet sich hier emblematisch die Gesteinskunde und die Mineralogie. Mathematik, Physik, Sternenkunde, Geographie, Arithmetik und Baukunst runden den wissenschaftlichen und technischen Kreis ab. Der Schwerpunkt des Freskos ist jedoch eindeutig der Kräuterheilkunde gewidmet.

In diesem Zusammenhang könnte auch das Naturalienkabinett des Stiftes Admont betrachtet werden, das die benediktinsche Tradition der naturwissenschaftlichen Auseinandersetzung in sammelnder Weise fortsetzt, ohne jedoch weiter Gewinn für die medizinische Aufgabenstellung daraus zu ziehen.

Eine weitere Kontextebene ergibt der antike mythologische Bezug. Die für die Renaissance richtige Beobachtung H.Blumenbergs hat für Leinkauf ebenso Gültigkeit im hochbarocken Denken:
”Die Berufung auf die Unveränderlichkeit der Natur war eins der stärksten Argumentationsmittel der Renaissance. Auf ihrer Vorraussetzung beruht sogar der literarische Rückgriff auf die Texte der Antike. Sie gewährleistet die Möglichkeit, die neuerdings erschlossenen Schriften der Antike nicht nur zu lesen und zu verstehen, sondern sich ihrer Geltung zu versichern, als wären sie in der Gegenwart geschrieben. " Und so dürfte die Präsenz griechisch, römischer, also antiker Philosophen, Dichter und Wissenschafter im Konsolbüstenprogramm der Admonter Bibliothek, die das Studium ihrer Werke anmahnen, auch zu verstehen sein.
In diesem Zusammenhang möchte ich jedoch anmerken, dass Kircher demgegenüber einen fortschrittlichen Standpunkt wissenschaftlicher Erkenntnis einnimmt, deren Erweiterung er aus einer permanenten Offenbarung Gottes herleitet, der erst in neuerer und neuester Zeit neue Weiten der Welt geoffenbart und sichtbar gemacht hat. Kircher postuliert so einen Fortschritt und eine Erweiterung der Erkenntnismöglichkeiten, wenn auch abhängig von der Form göttlicher Offenbarung.

Das Wechselspiel von Wissenschaft und Ethik, den humanistisch mythologischen Hintergrund und die vier letzten Dinge, die letzte Entscheidung über die menschliche Seele finden wir auch in Johann Wolfgang Goethes Faust, allerdings in negativer Verkehrung des Verlöbnisses mit der göttlichen Vernunft in den teuflischen Pakt. Das Thema des Urteils über den menschlichen Wandererist wohl eines der wichtigsten und zentralen im Barock und seiner wechselvollen, von Gewalt und Seuchen heimgesuchten Geschichte.

Sowohl in Sicht auf Goethes Faust wie auch auf das Admonter Programm, also auf die gesamte Inszenierung des Bibliotheksraumes und seiner Inhalte ist die zentrale Metapher barocken Weltverständnisses, das "theatrum mundi" von grosser Bedeutung. Die Welt erscheint auf den Menschen als handelnde und betrachtende Person hingerichtet. Sobald der Mensch die Welt als ”Theater” begreift, erschließt sie sich ihm als eine ”künstliche” Welt. Sie gibt sich als geschaffene, erschaffene und nicht als naturhaft gegebene zu erkennen. Die von Matthäus Merian begründete Chronik der Zeitereignisse, die jährlich von 1633 bis 1738 erschien, heisst dann auch folgerichtig Theatrum Europaeum.

Hier in Admont wie auch in Goethes Werk vollzieht sich das Ende des Barock und die Hinwendung zur Klassik. Das auratische Frühlicht, das von Bartholomeo Altomonte durchgehend erzeugt wurde, könnte auch vom Licht der Aufklärung und der neuen Vernunft künden. Doch noch tun sich die Admonter Mönche damit schwer. Die Enzyklopädie des Denis Diderot, die wir ebenfalls im Bestand der Admonter Bibliothek vorfinden, ist bis heute nicht gebunden worden. Andererseits, das Bildnis von Charles Darwin ist selbstverständlicher Bestand der Naturalienssammlung.

Die Knüpfung der Naturwissenschaften an die Theologie hat sich als unhaltbar erwiesen. Mehr als 350 Jahre hat die katholische Kirche gebraucht, um den Verfechter der physikalischen Wahrheit, Galileo Galilei frei zu sprechen, zu rehabilitieren. Weder er noch der Märtyrer der Wahrheit und in Christo, Giordano Bruno haben jemals den göttlichen Anspruch und den göttlichen Willen geleugnet. Doch sie verfochten auch das Recht, den eigenen Augen und der eigenen Erkenntnis und vor allem effizienter wissenschaftlicher Methode zu trauen.


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