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10. Woher nimmt die Zivilisation das Gefühl für eine Gemeinschaft, was bewirkt dieses, wäre die Gemeinschaft ohne Bewußtsein tatsächlich oder nur ein nützlicher Atavismus ?


© Helmut Eisendle

Als er den steil aufwärts führenden Weg weitergeht, scheint es, als droht ihm der Weg unter den Füßen zu entgleiten. Er greift mit den Händen zu Boden und versucht den großen Felsen auf der rechten Seite des Weges zu erreichen, um sich abzustützen. Er lehnt sich schnaufend an den Felsen und blickt nach oben.
Wie sich das Leben ändert. Wenn ich zurück denke, in meinen Erinnerungen schwelge, als ich noch jung war und tat, was mich und andere bekümmerte, ein Mensch unter Menschen, einer wie viele. Bei näherer Betrachtung finde ich doch, daß seit jeher etwas unklar geblieben ist zwischen den Mitmenschen und mir. Es ist ein Unbehagen inmitten und zu den anderen, selbst im vertrauten Freundeskreis.
Ich versuchte zwar mich zurecht zu finden, Freunde zu suchen, denen ich mich offenbaren könnte, sie haben mir, soweit es ihnen möglich war, geholfen und es waren ruhige Zeiten gekommen, Zeiten, in denen die Überraschungen nicht fehlten, oftmals gleichmütig eintraten, mich aber auch traurig und müde gemacht haben, aber im übrigen mich stehen ließen als einen, ein wenig eigenartigen, zurückhaltenden Menschen.
Wie hätte ich auch das Alter erreichen können, wenn in mir nicht irgend etwas passiert wäre ? Wie hätte ich meinen Charakter entwickeln können, mein vielseitiges Leben, wie hätte es dazu kommen können, die Erfolge aus meiner nicht sehr glücklichen Anlage zu ziehen und so zu leben wie man es von einem Menschen erwartet ?
Zurückgezogen, mit meinen mehr oder weniger sinnlosen oder sinnvollen Tätigkeiten, mit dem Herstellen und Betrachten von Welten beschäftigt, so lebe ich, und doch habe ich dabei die Distanz und auch die Zugehörigkeit zu meinen Mitmenschen nicht verloren. Oft dringen Nachrichten zu mir und ich lasse auch hie und da von mir hören. Man behandelt mich freundlich, weiß von meiner Lebensweise wenig aber genug, nimmt es mir daher auch nicht übel, so zu sein wie ich mich gebe, ja, selbst junge Menschen, die ich da und dort treffe, die nächste oder schon übernächste Generation, von deren Kindheit und Entwicklung ich nichts wissen will, zollen mir Achtung. Ich lasse eben nicht außer acht, daß ich trotz meiner Eigenheiten, die ich nicht verheimliche, doch bei weitem nicht aus der Art der Menschen geschlagen bin. Es ist ja, wenn ich es bedenke und das tue ich von Zeit zu Zeit, mit der Gesellschaft zumindest in dem Land, in dem ich jetzt lebe, nicht schlecht bestellt. Es gibt, vielerlei Arten von Menschen ringsumher, ganz einfache Leute mit auf gewisse Tätigkeiten eingeschränktem Wesen; Erfolgreiche, welche Kultur als die ihnen zustehende Luxusgebärde betrachten, andere wiederum, die nichts mit Kultur am Hut haben. Mir sind letztere, auch wenn sie mich stören, gleichgültig, ich übersehe sie, obwohl ich öfter, als ich will, mit ihnen zu tun habe.
Eines aber fällt mir doch auf. Sie haben mit mir nichts zu tun, sie behandeln mich fremd und stumm. Auch wenn ein Thema mich äußerlich verbindet, sind sie anderer Meinung, weil sie weniger denken und zu eng in ihrer Welt verflochten sind. Jeder will tüchtig sein, immer einer, der seine Position bedeutsamer als die eines anderen sieht und alles unternimmt, einen Vorteil zu erhaschen. Für meine Welteinsicht haben sie keine Zeit und kein Interesse.
Die Menschen sind ein einziger Haufen, so groß die Unterscheidungen, die sich im Leben ergeben haben, auch sein mögen.
Kein Lebewesen lebt meiner Ansicht nach, so entfernt voneinander wie die Menschen, keines hat so viel unübersehbare Unterschiede, ja, legt Wert darauf welche zu haben, wie wir, Unterschiede in Auffassungen über das, was sie betreiben, letzten Endes die Art der Beschäftigung, des Denkens und des Herstellens von etwas. Unsere Welten, die wir erzeugen, sind keine gemeinsamen Welten. Die Originalität war und ist unser Traum. Jeder muß anders sein, anders als der andere, sonst ist er verloren ein Epigone, ein Schüler, ein Abhängiger, einer, der irgendetwas stiehlt, ein Dieb, und wenn es ein Herz ist. Das Prinzip anderer Lebewesen ist doch oft es gleich zu machen wie etwa ein Ameisenvolk oder die Bienen, die streng organisiert ihren Rollen gerecht werden. Wir unterscheiden uns vor allem, wenn die Karriere, der Ehrgeiz es bedingen. Wir, die eine Gemeinschaft, die sich Staat oder Nation nennt, sind, gerade wir leben weiter voneinander getrennt, in eigentümlichen schon für den Nachbarn unbegreiflichen Zuständen und Gegebenheiten, trotzdem uns fügend in eine Gesellschaft.
Alles was sie, die Gesellschaft will, ist als uniforme Gebärde gegen uns, gegen unsere Individualität gerichtet. Wir sind anders, wollen etwas anderes. Manchmal eine neue Welt, weniger Sicherheit, mehr Eigenleben in der Welt, Abweichung zur Rettung des Individuellen. Je mehr wir Aufmerksamkeit erregen, desto verdächtiger sind wir den anderen und damit dem Staat, in dem wir leben und immer lebten, nachdem wir ein Teil von ihm sind.
Wie schwierig diese Dinge auch sind, etwas, an dem keiner gerne rührt, auch wir wollen unser Leben selbst bestimmen; In einem Gebilde von Gemeinschaft. Wir verstehen unser Bewußtsein besser als das einer übergeordneten Gemeinschaft. Wir wollen nicht nur überleben, wir wollen mehr.
Warum sind wir nicht wie die anderen, warum leben wir nicht einträchtig als Teil eines Staates und nehmen das, was die Eintracht stört, stillschweigend hin, akzeptieren kleine Fehler eines Systems, kleine Brüche in der großen Rechnung und warum blieben und bleiben wir nicht dem zugekehrt, was gemeinsames Glück bedeutet ? Warum trieb und treibt uns etwas gegen die anderen, warum ? Ich erinnere mich an meine Jahre in der Jugend. Damals war ich in einer jener unbeschreiblichen Stimmungen wie man sie eben nur als junger Mensch erlebt. Etwas raste in mir, alles machte mich neugierig, ich meinte, daß große Dinge um mich geschehen, die aber nur ich zu bemerken schien, denen nur ich meine Aufmerksamkeit schenkte und die nur für mich geschehen waren, Dinge, die vergessen und übersehen worden wären, wenn ich sie nicht beachtet und meinen Geist bemüht hätte. Es waren Phantasien eines Jungen, die sich mit den Jahren verflüchtigen sollten. Aber damals war ich ganz in ihrem Bann.
An sich war es vielleicht nichts Außerordentliches, Jahre danach habe ich solcherart Dinge oft genug erlebt und erfahren, aber damals traf es mich mit dem unverwischbaren Eindruck der Erkenntnis und des ersten Mals.
Ich war damals lange durch eine Dämmerung gelaufen wie durch einen Tunnel; an dessen Ende sah ich ein Licht und wußte nicht, ob es das Ende eines Zuges, der mir davon gefahren war oder das Licht, das von draußen kam.
Ich sah in einer Gesellschaft, zu der ich Zutritt hatte, einen Menschen, der sich kaum von dem unterschied, der ich heute bin.
Als ich vor ihm stand, war er wie ein Denkmal, das sich zu bewegen begann, sich von seiner steinernen Form ins Leben begab. Vor mir war einer aus Fleisch und Blut, eine Zigarette rauchend, vorsichtig nach oben gerichtet, damit die Asche nicht auf den Boden fiele. Als ich vor ihm stand und ihm vorgestellt wurde, er meine Hand drückte und ich mich entschuldigte, um einen Aschenbecher zu holen, er dankbar lächelte und mich fragte, was ich wohl werden wollte, ich mich benahm wie einer, der vor einer schwierigen Prüfung stand, um zehn oder mehr Jahre jünger als ich damals als Junger gewesen war, als andere zu ihm hintraten und ihn ehrwürdig begrüßten und er notgedrungenerweise sich von mir abwandte, wußte ich, daß ich am richtigen Platz in meinem Leben stand, plötzlich, durch einen Zufall gefügt. Ich wollte einmal, wenn ich alt sein würde, so sein wie er.
Hätte ich nicht gewußt, daß es Menschen wie ich waren und daß ich zu ihnen gehörte, obwohl ich nicht genau wußte, wer von ihnen wer oder was er war, und doch waren es Menschen, die ich zwar nicht kannte, doch aber ungesehen achtete, ich wäre weggelaufen. So aber blieb ich stehen. Er, das lebende Denkmal, sprach das, was man eben spricht, er schwieg oder plauderte, und doch verzauberte er den Raum, wo das stattfand, mit einem eigenartigen Flair.
Alles, was er sagte, hatte plötzlich für mich Bedeutung. Sein Halten der Zigarette, das Niederstellen des Glases, seine Gebärden und Gesten, die Wendungen seines Kopfes, seine Augen, der frische Blick aus seinem alten Körper, alles hatte in meiner Wahrnehmung etwas von Besonderheit. Auch der letzte, der hinzukam, so unauffällig und jung wie ich selbst, der ebenfalls den Kontakt zu den anderen mehr mied als pflegte, erstarrte vor ihm, dem Alten. Wie ich, schien auch er zu spüren, daß wir nichts waren, eben unsichere Etwas im Vergleich zu ihm und seiner großartigen, nicht aber hervortretenden Sicherheit. Wir umgaben ihn wie man einen Gott umgibt. Und er genoß diesen Akt, auch das war zu spüren.
Nun standen wir im Kreis um ihn. Ohne daß die anderen es bemerkten, lag über uns eine Wolke der Gemeinsamkeit und der Besonderheit, die sich langsam auf uns niederließ.
Mir schien und ich war absolut sicher, daß es so war, man merkte, wer und was wir waren. Es waren zu einem gegebenen Anlaß einige Menschen zusammen gekommen. Und einer, nämlich ich, unsicher und ohne Bedeutung, war dabeigewesen.
Was für die anderen unbedeutend war, weil sie es nicht bemerkt hatten, war für mich doch eine Unglaublichkeit.
Ich behielt es im Kopf, bildete Urteile und in mir auch Vorurteile, träumte, schien es öfter als mir recht war noch einmal zu erleben, etwas, was es vielleicht gar nicht gegeben hatte.
Nun, was ich tat, ich, ein junger Mensch, nahm man mir nicht übel, einem Jungen, ohne Reputation verzeiht man schnell, weil man ihn nicht ernst nimmt und nehmen muß. Ich aber habe etwas behalten und bin mit ihm älter geworden. Es hat mich geprägt. Ich entwickelte meinen Blick für die Dinge, nie mehr frei von dem, was damals mein Bewußtsein geprägt hatte.
Alles was meiner Phantasie förderlich schien oder was sie gestattete, benützte ich. Auch unter den anderen. Mitten unter ihnen.
Der Augenschein lehrt mich, daß Zivilisation, wenn sie mit den behaupteten Regeln sich entwickelt und funktioniert, Kultur und Gemeinschaft erzeugt und zwar in solcher Art, in solcher Menge, an den Orten, zu den Zeiten wie es die Gemeinschaft und der einzelne nötig hat, wie es die Zivilisation in ihrem Regelsystem verlangt.
Das nehme ich an und hin. Meine Frage aber ist: woher kommt die Kultur einer Gemeinschaft, was bewirkt sie, wäre sie ohne Bewußtsein tatsächlich oder nur ein nützlicher Atavismus ? Eine Frage, die man nicht versteht, verstehen kann und auf die man bestenfalls antworten kann: wenn es unser Bewußtsein, unsere Zivilisation nicht gäbe, gäbe es etwas anderes. Gemeinschaft ist eine Gebärde, der Name einer Wirkung. Und das Bewußtsein darüber auch.
Oder Gemeinschaft ist eine Idee von Wirklichkeit ?
Wenn ich zum Beispiel frage: Woher nimmt die Zivilisation die Idee der Gemeinschaft, kümmert mich dabei eine Zivilisation, wenn sie ohne sie auskäme ? Es liegt mir völlig ferne, das Schicksal einer kulturlosen Zivi-lisation zu überlegen. Mich kümmert die Gemeinschaft. Gar nichts sonst. Denn mehr oder weniger zählen für mich nur die Menschen. Mit wem kann ich noch Gespräche führen in der weiten Welt über eine neue Welt ?
Alle Antworten der Fragen, die ich stelle oder die Gemeinschaft stellt, kommen aus einer anderen Welt als jene, in der ich lebe. Wenn ich nun dieses Wissen und Zweifeln an die Öffentlichkeit bringen würde oder wollte, wenn alle das wüßten und fragten, was ich nicht weiß oder wissen will, weil ich davon leben, wäre die Welt anders.
Sehe ich den Sinn des Menschenlebens, ahne ich eine Tiefe und erwarte, daß das Ich die Antwort gibt.
Ich verstehe die Gemeinschaft, wenn ich mich und mein Ich, ein Verhältnis zu mir und den anderen zu verstehen beginne. So haben alle das Wissen über die anderen gemeinsam wie das Nichtwissen über sich.
Mit den Fragen belaste und belästige ich nur mein Ich.
Wie lange werde ich es ertragen, daß die Gesellschaft, die ich mir ins Bewußtsein gebracht habe, schweigt ?
Ich kann ihr doch leicht antworten, leichter als ein anderer. Hört sie mich aber ?
Ich werde ein Mensch sein bis zum Ende.
Das ist die Antwort, die nichts enthält, aber alles beweist.
Es ist nicht auszuschließen, daß es allen so geht.
Wir widerstehen allen Fragen, aller Verantwortung, selbst der eigenen, umgeben von einem Bollwerk des Schweigens und Zweifels, das wir selbst erzeugen.
In letzter Zeit blicke zurück und sehe mein Leben in seinem Verlauf. Über ihn habe ich eine Welt gesehen, mich in diese hineinbegeben, alles - wie ich meine - zu Gunsten meines Ichs. Ich habe eine Selbstständigkeit erlangt, die mich einerseits stark gemacht, das Überleben ermöglicht, mich von den Menschen entfernt, nicht aber entfremdet, hat. Mehr oder weniger habe ich alles erfahren, was vor mir war und zum Vorteil meines Ichs benützt. Und bin trotzdem auf mich angewiesen. Ich denke, so geht es vielen.
So schlimm steht es also um uns nicht. Wir sind kein Haarbreit außerhalb der Welt, sondern haben eine Welt innerhalb der größeren erbaut.
Hätte ich allerdings durch meine Zweifel nicht die Erschütterungen meines Inneren erreicht, die zu empfinden in mir oft Entzücken ausgelöst haben, wenn es sich nicht so verhalten hätte, hätte ich nicht mehr erreichen können.
In einem wunderbaren Zustand bin ich beschäftigt, meiner alten Welt neue Farben zu geben. Ein Zustand, an den keiner glaubt, wenn wir nicht mit unseren Ichs seine Notwendigkeit beweisen würden. Und die Wahrheit ? Die beste Lüge ?
Wenn ich sage: Ich leugne die Wahrheit, so stehe ich mit dieser Behauptung innerhalb der Pole Wahr und Falsch, da ich behaupte, daß es Wahrheit nicht gibt: ich will also diesen Satz wahr haben. Der vollkommene Widerspruch: der Inhalt des Satzes wird durch den Satz selbst widerlegt. Jeder Satz ist demnach falsch, weil derjenige nicht wahr sein kann, der die Möglichkeit leugnet, etwas könne wahr sein.
Das Fragen ist eine Eigentümlichkeit von mir, einer, der die Spur der richtigen Fragen und Antworten verwischt.
Ein Geheimnis wird bewahrt, das Geheimnis um die Gemeinschaft und den Einzelnen. Nein, unter den Fragern finde ich keine Partner, und bei den Alten, zu denen ich jetzt gehöre, keine Weisheit. Die Gemeinschaft hat keine Regeln. Sie aus der Ferne, von außen zu verstehen, ist so unmöglich wie aus der Nähe. Wenn man in ihr etwas verstanden hat, entsteht erst das eigentliche Dilemma, ihr einen Nutzen zu geben, um etwas in der Welt zu bewirken. Dieses Bewußtsein trifft ein Leben, mein Leben. Fast jede Stunde gibt es Ziele und auf jedem Fleck der Erde besondere. Daß das Leben aus sich selbst verläuft, kann man behaupten, auch ich, dessen Träume von Tag zu Tag mehr schwinden.
Und diese Träume, welchen Zweck erfüllen sie ?
Ich war oftmals begeistert über den Fortschritt und die Kultur, mit dem Effekt eines Spiegels, auch wenn es ein Zerrspiegel der Wirklichkeit war. So entwickelte ich eine Grammatik der Sinne und darüber eine Welteinsicht, ein Instrument der Verwertbarkeit.
Unsere Generation ist vielleicht verloren, weil sie an Kultur glaubt, sie aber nicht verteidigt. Und doch ist sie unschuldiger als die davor, die von allem, was die Welt bewegt hat, abhängig war. Von den Religionen, den Kriegen, die Not. Sie waren Opfer. Wir sind Zeugen und Täter.
Aber die Zwangslage unserer Vorfahren, die wir leichthin als Schuld sehen, ist in Zeiträumen geschehen, die erbärmlich waren, in einer fremden, finsteren Welt.
Nun ist aber auch mein Denken über Kultur und Gemeinschaft in Unordnung gekommen, ich lasse nach, ich ermüde, ich betreibe mechanisch mein Geschäft und stellen keine Fragen mehr.
Freilich war es ein Rollenspiel in der Gesellschaft, in diesem Haufen von Menschen, das mich weitergetrieben hat.
Ich finde in der Gemeinschaft eine merkwürdige Vereinfachung der Welt und der Dinge. Sie lehrte mich, daß allein sie mein Ich in die Welt zu setzen imstande ist. Freilich ist es wahr, daß sie Kultur hervorbringt, unter Umständen als Dekoration. Daran kann kein Zweifel sein, aber so einfach, wie es sich darstellt, ist es nicht. Wir sind nicht die Tiere, die Kultur erfunden haben, um zu behaupten, wir seien Menschen. Das Opfer des Ichs ist eine Bedingung, eben, die, sich dem Kollektiven zu unterwerfen, auch indem man es, das Ich, unerbittlich betont.
Man ist im Grunde immer erfolglos. Erfolg ? Ein mehr oder weniger meisterlicher Irrtum. Nichts stimmt. Je heftiger eine Ordnung gefordert wird, desto rapider ist die Unordnung, die sie schließlich aufführt. Würde einer die Idee liefern können, müßte alles allen klar sein und alles wäre in strahlendster Ordnung. Vermutlich. So aber sind alle Ideen geradezu ein Malheur.
Denken und Gedanken.
Das Denken über Kultur und Gemeinschaft ist außerstande, anzukommen. Anders gesagt, es ist nur in der Verwandlung bei sich; um es selbst zu bleiben, muß das Denken über Kultur wieder und immer wieder den jeweiligen Gedanken aufgeben. Das Denken erfährt sich in den Zweifeln. In Wahrheit ist Kultur und Gemeinschaft nicht zu fassen. Sie ist die Flucht, die ständige Flucht vor der oktroyierten Welt. Sich in der Gemeinschaft zu bestätigen, heißt sich produzieren und sich mit der Welt anlegen.
Der Menschen, also auch ich, ist ein heimlicher Narziss, und wenn er es zugibt, friert er. Seit meiner Geburt ist mein Ich gegen Angebot und Nachfrage getauscht worden. Seit damals hat sich die Wirklichkeit verflüchtigt. Alter und Anerkennung scheinen die letzten Waffen zu sein. Die Frage nach Gemeinschaft und den Sinn der Kultur ist eine Blindenfrage.
Gemeinschaft hat keinen Sinn.
Sie ist sinnlich.
Ihr Bestreben, dieses und jenes zu erfinden, dient der Beruhigung des schlechten Gewissens der Zivilisation.
Jeder lügt, wenn er hinter sich ein Dahinter behauptet. Wie es die Bischöfe und Päpste mit Vorliebe tun. Ein Dahinter zu haben, gehört nicht zur Würde der Gemeinschaft, sondern ist ein Spiel. Etwas dahinter zu haben, heißt seinen freien Willen aufzugeben und sich auszuliefern an eine höhere Macht. Gemeinschaft, die etwas will, das heißt, nicht schon selbst die Sache wert ist, ist eben keine. Der Glaube, Götter hinter sich zu haben, der einst den Urteilen und den Meinungen eine Kraft verlieh, gegen die nichts aufkommen konnte, entwertet sie heute. Was immer und überall den Glauben aller fand oder gefunden hat, scheint nunmehr nicht mehr viel Gewicht zu haben. Jene besondere Art von Gewißheit, die aus dem Zusammenklang der Meinungen oder dem Zeugnis einer großen Zahl von Menschen aufsteigt, trifft nunmehr auf den Widerspruch der Objektivität unter Aufsicht einer kleinen Anzahl Dogmatikern. Schließlich sind dann fast alle Träume, die die Menschheit geträumt hat und die in unseren Märchen verschiedenster Ordnung ihren Niederschlag gefunden haben, nunmehr aus dem Gehege des Unmöglichen und des Gedachten herausgetreten. Von der Herstellung der Wunderwelt-Fabriken leben Tausende und Abertausende von Menschen. Der Menschen jedoch hat an dieser Herstellung von Wunderdingen keinerlei Anteil genommen. Der Bürger hat sein Geld in Traumfabriken angelegt und spekuliert auf den Untergang des gesunden Menschenverstandes. Die Gemeinschaft muß sich dort erst einen Platz erkämpfen.
Einen Menschen an seinen Platz gestellt, bestimmt seinen Wert.


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