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12. Der Begriff Tatsache gehört zu den Dingen, über die sich am schwersten etwas sagen läßt, ist er doch alles und nichts zugleich.


© Helmut Eisendle

An den Felsen gelehnt, sitzt der Mann da und blickt in die Nacht.Es ist eine Tatsache, daß ich auf diesen verdammten Berg gestiegen bin.Und ?Tatsache, ein Wort, das alles und nichts bedeutet: Handeln, Veränderung, Selbst, Ich. Hoppla.Die Tatsache ist ein Begriff, über den sich am schwersten etwas sagen läßt, ist er doch alles und nichts zugleich. Vor allem die Tatsache des Alters.
Was, wie, wann, wo, warum ?
Was waren die Taten ?
Was war Sache ?
Ich bin alt. Tatsächlich.
Wovon rede ich ?
Es geht dabei doch für mich um`s Ich, um`s Handeln. Mein tatsächlich eigenartiges Leben entfernt sich von den allgemeinen Verhältnissen im gleichen Maße wie die an Magersucht Erkrankte, sich der normalen Ernährung widersetzt. Und doch erhält ihr Leben Leiden und Bedeutung, wenn sie ans Essen denkt. Tatsächlich ist mein Ich ein Sammelsurium von Eigenschaften, die sich im Handeln, in einer Tat festlegen lassen. Ich habe mir die Macht angeeignet, Erfahrungen umzuformen und sie einer Subjektivität unterzuordnen. Als eigene Tatsachen. Aber was ist denn dabei tatsächlich ? Das tatsächliche Denken darüber ?Das Spezielle der menschlichen Eigenart folgt einer Methode, die sich in ihrer unerbittlichen Neugierde, um nichts tatsächlich kümmert, nichts tatsächlich erfahren will, aber alles in Form sozialer Reize tatsächlich zu Wege bringt. Ich habe viele Jahre zu Wege gebracht.Tatsächlich etwas zu machen, ist der gewollte oder ungewollte Versuch, außergewöhnlich zu sein. Nicht das Außergewöhnliche im Sinne einer Anstrengung ist damit gemeint, sondern irgendetwas, das plötzlich auf der Welt ist und vorher nicht da war. Ich ist ein Anderer.
Eine Tatsache ? Man hat oft behauptet, daß der Dilettant mehr fühle als der Kenner. Nicht das mehr Können, sondern auch das Mehr in Gefühlen ist tatsächlich entscheidend. Der, dem etwas tatsächlich gelingt, empfindet sein Wesen in dem, was Immanuel Kant einmal als uninteressiertes Wohlgefallen bezeichnet hat. Was hier allerdings wohlgefällt, war in mir, einem, der tatsächlich alt ist, schon vorhanden und ist nicht aufgetaucht, nachdem ich alt geworden bin. Wenn es nicht so wäre, erhielte das bedeutungslose Alter Bedeutung oder das für mich bedeutende Leben Bedeutungslosigkeit. Ein alter Mensch wie ich muß früher oder später darauf Bedacht nehmen, daß er vom Vergangenen lebt. Was aber würde mir über bleiben, wenn ich keine Erinnerung hätte ? Ich müßte mir in irgendeiner Weise ein anderes Feld ähnlicher Betätigung suchen, ja, am Ende etwas Neues um jeden Preis auftreiben, sei es, wo es sei und auch wo es gar nicht vorhanden ist. Taten. Aus dem Leben gegriffen. Oder erfunden. Oder erlogen.
Das Leben. Nach dem Tod, der meistens elend war, wird es emporgehoben und als Denkmal vergoldet. Keiner denkt daran, daß man dem Geld nachgelaufen ist, daß man die Miete nicht zahlen konnte, daß einem Frau und Kinder davongelaufen waren, daß den Toten oft das Elend erdrückt hat. Ihr Leben haben sie hinter sich gebracht und übrig geblieben sind ein paar Sätze, ein paar Gedanken, ein paar Fotografien, ein paar Anekdoten, verlogene Eigenarten und Wehrhaftigkeiten den bösen Mächtigen gegenüber.
Die durch Fragen ausgelöste Erinnerung arrangiert sich leicht, allzu leicht und gerne mit der Erfindung nie stattgefundener Absonderlichkeiten, mit Reisen durch wundersame Länder, mit Liebesaffairen, Mesalliancen, mit Liaisonen und Laisionen mit Erfindungen, die sich als Anekdoten gebärden, Dinge, die das Leben den Zuhörer wunder- und belanglos erscheinen lassen.
Ja, es war mitten in der Nacht. Ich fuhr einfach los und in der Früh war ich in Venedig. Ich ging in eines der wunderbaren Cafés und dann kam sie. Ich habe kein Wort gesagt. Sie setzte sich zu mir und begann zu reden, als hätte sie mir, nur mir, etwas zu erzählen. Ja, getrunken haben wir auch. Einen Pinot, Frascati nach dem anderen. Es war ein wunderbarer Tag. Wir aßen wie die Götter, lagen am Strand, liebten uns, schlenderten von einer Bar in die nächste, nahmen uns ein Zimmer am canale grande. Es war unglaublich. Tatsächlich.
Nein, ich habe sie nie mehr gesehen.
Ich glaube, sie hat Mariella geheißen. Oder Marietta. Ich weiß es nicht mehr.
Wann das war ?
Ach, das ist lange her. Ich war noch jung.
Nein, ich bin zu alt. Was soll es denn ? In meinem Alter ?
Wenn ein alter Mann so etwas erzählt, ist der Zuhörer genötigt mit einem hundetreuen Blick das eigene Schicksal zu betrachten.
Ein Mensch, der einiges, aber nicht allzu viel erlebt hat und plötzlich, kraft seiner Jahre, kraft seines Alters, das nie und nimmer die Ablösung der längst verschwundenen Jugend ist, sondern das Abflauen der Neugierde darstellt, die sich zwischen dem Leben und dem Ich befindet, ist und bleibt ein Strafgefangener seiner selbst, ein entsprungener Häftling seiner Träume und seiner vergessenen und verdrängten Vergangenheit. Das Ich und das Leben bringt man erst im Alter auf einen Nenner. Ja, ich lebe in dieser Welt. Mein Ich lebt hier.
Und ich lüge mir gerne etwas vor ? Warum auch nicht ?
Das Alter rechtfertigt und rettet alles zugunsten einer Bedeutung mit der Patina der Erinnerung. So macht jeder, ist er nur alt genug, aus seinem Leben eine Reise durch ein Wunderland, mit einer Serie von nie stattgefundenen, doch aber herrlichen und unwiederholbaren Abenteuern, ein Leben eben. In einem Plauderton wird dem Leben ein wenig Farbe gegeben.
Die Frage: war es wirklich so ? wird mit einem Lächeln beantwortet.
Ich erinnere mich. Mit viel Vergnügen. Das ist eine Tatsache.
Ist Erinnerung das, was die Engländer splendid isolation, eine herrliche Trennung von der Wirklichkeit nennen ?
Wenn ich mich, indem mein Ich anders denkt als ich bin, nicht denken kann, daß ich anders bin als ich denke, so ist das Ich nicht das, was ich anders denken kann als ich bin.
Daß ich überhaupt bin, finde ich als nackte Tatsache vor. Daß ich diese Wirklichkeit, daß ich überhaupt bin, vorfinde, heißt sicher nicht, daß ich nicht oder nichts sein könnte ? Ich bin tatsächlich überrascht, daß ich überhaupt bin und nicht nicht. Bei genauer Überlegung könnten mir Zweifel kommen, ob die Gedanken, daß nichts ist oder das beschriebene Ich nicht ist, denkbar sind. Denn welche Phantasie könnte dem zugrunde liegen ? Nur der Zweifel, daß es dieses, mein Ich gibt ? Ich kann den Gedanken, daß es dieses fremde oder vertraute Ich nicht geben könnte, nur denken, wenn ich denken kann, daß das, was ist, mein Ich, aus dem Nichts entstanden ist. Aber wie kann etwas aus dem Nichts entstehen ? Aus nichts kann nichts werden. Wenn mein Ich irgendwo hergekommen ist, wohin verschwindet es tatsächlich ?
In den tiefen Sumpf der, na, na, na, was denn ?
In den tiefen Sumpf des Phantasierens ?Nein.
Obwohl ich gerne lebe, muß ich die reine Lebenslust tatsächlich für naiv halten. Ein wesentliches Element der tatsächlichen Lust, etwas zu tun, befriedigt tatsächlich einen Originalitätswahn und den Glauben an die Individualität. Das tatsächliche Leben ist der anarchische Versuch ohne System das Normale zu umgehen. Es heißt, so betrachtet, das Bedeutungslose bedeutend zu machen, um als Bedeuter Bedeutung zu gewinnen, andererseits das Bedeutende ins Lächerliche zu zerren, um sich als Unbedeutender Bedeutung zu geben. Das Wechselspiel zwischen Tat und Sache. Was ist Sache ? Man setzt Taten.
Worte ohne Taten, sind wie Zinnsoldaten.
Tatsächlich etwas zu erleben ist, philosophisch gesehen, einer kulturellen Dialektik unterworfen, einer fröhlichen Anarchie oder Patapsyche der Kultur, ohne Bedeutung, die etwas ins Blickfeld nimmt, was sich längst im Inneren gebärdet hat. Gerade von dieser Betrachtung her ist Leben tatsächlich ein Spiel innerhalb der Gesellschaft, das kein Ziel, sondern nur verspielte ichbezogenen Effekte im Sinne hat. Der Dandyismus beispielsweise: der Dandy alten Stils - definiert in der Lektüre und dem Besitz des Buches das Bildnis des Dorian Gray von Oscar Wilde, der seine Absicht als Dandy bekundete, er wolle seinem Blauweiß-Porzellan gemäß leben. Er hatte Stil. Der neue Dandy macht das Gegenteil zu seinem Spiel; Er würde die Absicht vertreten, daß man nach der Zerstörbarkeit von Wegwerftellern zu leben habe. Oder so wie der Cowboy, wenn er sagt. Oh, it´s a feh. Tatsächlich.
Die Tatsache von vielen Jahren schwebt in meinem Kopf und wird von mir belächelt. Obwohl es traurig ist, den es betrifft mich und ich weiß tatsächlich nicht, was hier lächerlich ist. Was ein bewegtes Leben tatsächlich ist, hängt von vielem ab. Nicht von dem, was irgend etwas ist oder was man gerade vollbracht hat.
Ein bewegtes Leben ist eine Tatsache. Was dabei tatsächlich ist, ist unklar. Tatsachen sind tatsächlich und alles andere nicht. Eben nicht untätig oder tatenlos, also etwas Totes, sondern es ist bewegt, eine Bewegung, motion, emotion. Tatsächlich.Lauf, Alter, die Welt ist hinter dir her.Das ist eine Aufforderung; nicht zu laufen, sondern zu denken.Ich mache mir, wie es so meine Natur ist, über alles allerlei Gedanken. Tatsächliche. Auch über das All. Zum Beispiel.
Und das Denken darüber ähnelt der Traumdeutung in der Psychologie.
Und doch ist alles und auch das All eine Tatsache oder ?
Das All ist wie das Unbewußte etwas das da ist, deswegen aber oder gerade deswegen nicht verstanden wird. Es fabriziert in unseren Köpfen Fiktionen. Tatsächlich.
Das All ist mannigfaltig. Wie der Geist. Tatsächlich.
Der Geist des Alls, wenn ich ihn behaupte, entspricht einer Totalität, dem ich Gedanken über die Entstehung der Welt und ihr Ende einverleiben kann. Und mein Ende, ob wohl ich zurzeit noch an Unsterblichkeit glaube.
Das All löst in mir Vorstellungen und Vermutungen: über den Anfang, das Ende, meines und der Welt. Beweise gibt es keine, nur Angstträume und Phantasien. Auch das sind Tatsachen. Das All ist der cosmos, die Gesamtheit, heaven and earth, maailmankaikkeus, mundo, quanrenlei, soshudan, sphere, top and bottom, uchu, universe, universo, das Universum, universumi, värld, verden, wanxiang, wereld, whole creation, yuzhou. Tatsächlich ?
Ich meine, das All ist allen eigen; auch mir.Wo bin ich tatsächlich ? Auf dem Weg ins All ? Oder bin ich schon dort angelangt ?Vielleicht führt aber ins All tatsächlich eine Allee, das heißt ein beidseitig von Bäumen gesäumter Weg. Und auf den Blättern, Ästen und Zweigen der unzähligen Bäume befindet sich tatsächlich die Vielfalt der allmächtigen Phantasie.Es mag aber sein, daß ich mich in einer allo-erotischen oder in einer all-erotischen Phase meiner Phantasie befinde und das Ganze, ja, das all(es) nicht lassen kann. Das ist eine Tatsache.Ich gebe zu, mein Ich ist allo-plastisch, d.h. es fordert unentwegt zwei Reaktionsformen, wovon die erste aus einer Veränderung meines Ichs allein besteht. Die zweite verlangt die Veränderung der Welt.Ich denke tatsächlich viel an das All, weil das der Ort ist, wo ich tatsächlich den Rest meines Lebens verbringen werde.
Noch lebe ich.
Und die Tatsachen, welche hier entstehen und entstanden sind, ergeben einen Zustand, durch den ich die Möglichkeiten zu reagieren, aufrecht erhalte. Tatsächlich.
In meinem Denken oder Bewußtsein hat sich gleichermaßen das unbelebte und belebte Universum eingeschlichen, setzt sich dort fest und floriert wie eine Alge.
Die Welt pulsiert, sprießt und wuchert. Mein Gehirn und Bewußtsein abstrahiert, faßt zusammen, erledigt, ist in seiner Art in eigenen Form tatsächlich grenzenlos, weiß oft nicht, ob es von sich aus entstanden ist oder doch etwas von der Natur ist.
Ich denke über mich und die Welt nach, entdecke sie, gewinne ihr etwas ab, baue meine kleine, neue Welt, die dunkel und unvertraut ist; und in ihr lebe ich und warte, was tatsächlich geschieht. Mit mir. Mein Alltag hat sich längst zum Abend gemacht und ich muß etwas finden, um hier zu bestehen, in mir und in dieser Welt. Wie schon sooft ist mir etwas entglitten, die Menschen, die Dinge wie die Gedanken. Wie schillernde Seifenblasen sind sie geplatzt und ich vermag keinen Bezug mehr herstellen, bin unfähig, etwas zu tun, da ich in jedem Beginn tatsächlich schon ein Ende sehe. Ich finde keinen Halt und stürze von tausend Dingen in einen Abgrund..
So lebe ich hier in meiner Welt, bald sehe ich ruhig und gelassen die inneren Bilder, entfernt vom Abgrund, bald spüre ich tatsächlich den ungehemmten Absturz der Gedanken, wenn das Draußen wirksam zu werden droht.
In der Dämmerung, die jetzt da ist, spüre ich wie mein Körper und Geist ins Dunkel verschwindet und an seiner Stelle irgend etwas anderes tritt. Dieses Schattendasein klärt etwas, ist doch die kolportierte Welt tatsächlich verschwunden. Ungestört kann ich über etwas Neues nachdenken. Und das beziehe ich tatsächlich ausschließlich auf mich. Vielleicht begreife ich einmal, daß es darauf ankommt mit meiner Gedankenwelt die Nacht zu durchleuchten, bis endlich tatsächlich neue Gedanken entstehen. Tatsachen über mich.
Was aber Jahre bedeuten, kann ich tatsächlich nur aus meinem Wesen selbst erfahren. Ich bewege mich im Kreis. Der Hausverstand fordert, daß dieser Zirkel, weil er unlogisch ist, vermieden werde. Was Jahre bedeuten, kann ich nur durch eine vergleichende Betrachtung der bestehenden Tatsachen begreifen. Schnaufend und keuchend bin ich tatsächlich in die Jahre gekommen. Das Verstehen dieser Jahre aus tatsächlichen körperlichen Zuständen und das Ableiten der Jahre aus Grundsätzen eines Verschleißes ist in gleicher Weise unmöglich und wie ich es ausübe, tatsächlich eine Selbsttäuschung. Das hat nichts mit mir zu tun. Alter, Angst und Jahre. Um das Wesen der Jahre zu finden, die tatsächlich mein Leben bestimmen, muß ich mich fragen, was die früheren Jahre waren ? gäbe es, meine körperlichen Beschwernisse, die natürlichen Aktionen, mein Verhältnis zu den Erinnerungen, zu den Frauen und Kindern, zu den Menschen nicht. Was wäre, wenn es diese Tatsachen nicht gäbe ? Wenn ich mir selbst nichts vormache, dann zeigt sich: die frühen und späteren Jahre sind tatsächlich vorhanden, nicht mehr. Ob ich leide oder nicht. Wäre ich nicht so wie ich bin, gäbe es die Zeit in Jahren gerechnet tatsächlich genau so. Und die Angst und das Alter.
Gedanken über das Alter, die Natur, die frühen und späten Jahre. Oder ist es tatsächlich das Denken, welches mich erscheinen läßt ? Einmal, zu Silvester war ich auf einem Berg. In der Natur. Die Felsen waren Bauwerke, die Latschen und Kiefern Bäume, das Pfeifen des Windes Musik, der Schnee gefrorenes Wasser, das Seiende die Natur. Oder der Berg war ein Trümmerfeld einer unendlichen Geschichte. Die Natur besteht tatsächlich aus diesem Berg mit Felsen und Disteln und Dornen und Latschen und Kiefern und Zirben, pfeifenden Windstößen, der untergehenden Sonne, und kreischenden Vögeln ?
Gewiß. Tatsächlich.
Das Silvesterfest. Wir haben Feuerkörper in den Himmel geschossen. Höher als alle anderen. Die unten im Tal haben es gesehen. Wumm. Wumm. Prost Neujahr. Diesmal war es besonders schön.
Keinen einzigen Augenblick habe ich mich tatsächlich im Nichts eingerichtet. Etwas gab es tatsächlich und gibt es immer. Jahr für Jahr. Jeden Tag. Immer. Tatsächlich immer schon. In jedem Alter. War ich der Männlichkeit und des Imponierens müde, so wußte ich tatsächlich nichts Angenehmeres als mir mit der großen Disziplin des Geistes die Langeweile zu vertreiben. Ich beschwor dann tatsächlich die Wissenschaften, die strenge Grazie der philosophischen Gottheiten, diese herrlichen Mumien oder kleinen Ungetüme in den gläsernen Vitrinen der Zeit. Und doch habe auch ich tatsächlich keine diese Gottheiten entgöttert. Waren sie oder sind sie tatsächlich brauchbare Ratgeber, die mir die kleinen Schrecken des Lebens mindern konnten ? Den meisten Menschen genügt doch tatsächlich das Gewieher des Unverstandes. Philosophie und die Erinnerung sind tatsächlich ein in sich vereintes und zugleich zerstückeltes Universum, in dem jeder einzelne Bestandteil seine besondere Eigenart bewahrt, unabhängig von der Beziehung zu einem selbst oder zum Denken. Die Erinnerung darf tatsächlich nichts Wirkliches enthalten, keinerlei Beobachtungen der Welt oder gar Erlebnisse. Was zählt sind nur imaginäre Kombinationen, Vorstellungen einer außermenschlichen Welt. Es gibt tatsächlich keinen besseren Weg, sich mit dem Alter, dem Tod oder dem Ableben einzulassen als die körperliche Lust - die Libido - als Bezugspunkt zu nehmen und zu träumen. Bis es eben vorbei ist. Eine unzensierte Durchtriebenheit dem tatsächlichen Gefühl gegenüber. Sich ununterbrochen verhüllen und entblößen ?
Indem mich mein Alter, meine Natur und meine Jahre zum Nachdenken anregen, sind die Gedanken ein Surplus des Lebens, etwas, das dessen Wert erhöht oder ihm eine Pointe, ein Aperçu, ein Bonmot verleiht. Die tatsächliche Geschichte in Lügen verschönert. Vereinfacht läßt sich das Lächeln des Alters, auch meines, ironisch verstehen. Das nicht nur, weil ich durch das Alter mit etwas Bestimmtem tatsächlich vertraut geworden bin, sondern weil dieses Wissen oder Besserwissen in mir tatsächlich schon vorhanden gewesen sein muß und mehr oder weniger nur aufgewacht ist..
Tatsächlich, schmunzle ich über die Welt ? Oder lache ich schallend ? Ich lache sie doch nicht aus ? Das Alter ist nur in einem bestimmten Moment der Zeit, innerhalb einer spezifischen Eigenschaft, in dem sich die Gesellschaft oder eine Person befindet, von tatsächlicher Bedeutung. Es erklärt die Wirklichkeit nicht auf der Ebene des Tatsächlichen, sondern mit einem Überschuß von Vermutungen, Gedanken, Verdächtigungen dessen, was eigentlich tatsächlich nicht möglich ist.
Durch das Alter betrachte ich vielleicht ein bestimmtes Detail der Welt genauer und werde auf etwas hingewiesen, was Jüngere ohnehin nie vermutet würden.
Das Alter zu beherrschen, heißt tatsächlich, auf die reale Situation von Menschen einzugehen und diese von einer gleichsam irrealen Warte her zu betrachten. Das Alter trägt doch vielleicht die lächelnde Träne im Wappen. Alter ist tatsächlich, wenn man nicht gerade in der Gosse liegt und auf den Tod wartet, nichts anderes als eine freie Weltanschauung. Die Überlegenheit über alles; die Entsagung großer Herzen, die Welt so zu sehen - wie sie tatsächlich auf keinen Fall ist. Dabei kann ich mein Spiel von den hohen Sphären des geistreichen Witzes bis in die tiefen Täler der Dummheit treiben. Wenn ich die Probleme meines Lebens tatsächlich gefunden zu haben glaube, und damit tatsächlich meine, jetzt habe ich es leicht, so müßte ich mich zurückerinnern an die Zeit, wo ich tatsächlich keine Lösungen finden konnte. Aber auch damals hatte ich tatsächlich gelebt. Also, daß es jetzt keine Probleme gibt, ist doch tatsächlich nur ein Zufall. Das Leben ist nicht logisch. Im Nachhinein hat man es tatsächlich leicht. Ich fliege in Gedanken gleichsam über die Welt und durch mein Leben und lasse sie, die Welt und auch es, das Leben, sogar mein eigenes in tatsächlicher Ruhe. Wer seiner Zeit voraus ist, den holt sie tatsächlich niemals ein.
Das Alter hat tatsächlich für alle die gleichen Fallen bereit. Ein unglaubliches Netz von Irrwegen aus der Vergangenheit. Heute sehe ich einen nach dem anderen den gleichen Weg gehen und weiß tatsächlich, wo er jetzt stehenbleibt, wo er geradeaus weitergeht, ohne die Abzweigung zu bemerken. Ich weiß tatsächlich, daß es die Wegweiser, die einen wohin führen, dorthin, wo man hinsollte, nicht gibt.
Nichts fällt mir schwerer, als mich nicht zu betrügen.
Wenn das Leben tatsächlich schwer erträglich war, dachte ich tatsächlich an Veränderung. Doch mein eigenes Verhalten oder Denken zu ändern, kam mir tatsächlich nie in den Sinn.
Das Alter, ein Gemenge von Erinnerungen. Oft fügt es sich zu einem rätselhaften Ganzen. Gleichsam zu einem Fragment, das beeindruckt, als hätte es Bedeutung.
Die Erinnerung ist tatsächlich absurd, zusammengesetzt, hinter ihr liegt die Wahrheit oder das, was man tatsächlich für sie hält.
Trotzdem sage ich niemals: Das ist alles falsch, stimmt nicht, schau mein Leben an, verlogen wie die Barockstukkatur in einer Kirche am Land. Barock war doch selbst ein reaktionärer Akt. Gegen das Lutherische Wort. Die Gegensätze, die Gegensätze. Die Sauberkeit braucht tatsächlich den gleichrangigen Gegner den Schmutz, die Liebe braucht tatsächlich den Haß, der Tüchtige tatsächlich den Versager, das Gute tatsächlich das Böse, das Alter tatsächlich die Jugend, das Leben tatsächlich den Tod ? Es ist tatsächlich alles falsch, stimmt nicht - und ist doch tatsächlich ganz richtig nach einem eigenen Gesetz. Auch wenn ich nicht in Kreisen oder Schleifen denke, so gehe ich doch manchmal geradewegs durch den Wald ins Freie, auf eine schöne Wiese mit Blumen und bin glücklich. In den Tälern der Dummheit wächst tatsächlich mehr Gras und es gibt mehr Blumen als auf den kahlen Höhen der Wahrheit. Der glückliche Alte und der glückliche Junge haben jeder sein eigenes Pathos. Aber es ist tatsächlich schwerer gut alt, als gut jung zu sein. Ach, die Erinnerung scheint sich sozusagen dauernd aus Hilflosigkeit zu zersetzen oder zu erneuern oder sich umzustülpen, je nachdem, mit wem ich spreche, mit irgendeinem anderen, einer Frau, einem Freund, einem Kind oder mit mir selbst.
Ja, ich könnte tatsächlich an ein Theater glauben. Manchmal ist die Handlung des Stücks unverständlich, doch aber sind die Details tatsächlich klar, oder es scheint, als würden Teile der Handlung tatsächlich zerrissen, obwohl doch in jedem Detail sich ein Sinn äußert. Oder ich könnte auch an ein Endlospapier denken, das mir durch die Hände läuft, so schnell, daß ich tatsächlich kaum den Überblick behalten kann. An einer Stelle sagt man: Ja, so war es, es war tatsächlich so. Oder habe ich es tatsächlich nur geträumt ? Und das andere ? Dieser ganze Rest ? Ich erinnere mich tatsächlich nicht, sage ich dann.
Wer viel über sich weiß, dem fällt es eben tatsächlich nicht schwer zu lügen. Wo die Wahrheit doch tatsächlich im doppelten Sinne tödlich ist, einerseits ist sie an die Sprache gebunden, andererseits sterben wir tatsächlich alle, so daß das leere Geschwätz der Wahrheit gleich viel wert ist oder eben nicht mehr wert ist als die Tatsache, das man nichts mehr zu sagen hat, jetzt aber, gerade jetzt lebe ich tatsächlich doch für den Augenblick, ich lese etwas vor und trinke tatsächlich gleich ein Glas Wein, und wenn ich das tue, brauche ich auch tatsächlich den Tod nicht fürchten, da ich ihn schnell und wunderbar mit kleinen Augenblicken Schritt für Schritt betrüge, eben tatsächlich mit Momenten betrüge, die so oder so nichts wert sind, weder den Tod noch das Leben, wenn es aber so ist, ist es doch besser, ich setze mich der Natur tatsächlich aus, auf die Gefahr hin, mich tatsächlich überrollen zu lassen.
Sie ist eine Allegorie, eine immer wiederkehrende Allegorie. Natur und Alter, Mythen, Symbole.Allegorien und Symbole geben die tatsächliche Rahmenvorstellung, in deren Bahn sich seit immer schon das Wahrnehmen von Natur und das Erleben eines Alters bewegen. Wenn ich jede Aktion aus der Natur und aus meinen Jahren abstrahiere, finde ich unter Umständen tatsächlich die tatsächliche Natur und auch meine Natur. Also muß ich zunächst das in Betrachtung ziehen, was ich tatsächlich unternehme, um zu erfahren, was die Natur und Alter sind. Und mein Leben. Und ich.Ich bin auf einen Berg gegangen.
Tatsächlich. Das ist eine, meine Tatsache.
Um irgendetwas zu erfahren.


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