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Humbolts Reise :
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part.2
Humbolt begegnete Aussteigern erstmals auf
einer Reise durch Frankreich. Er besuchte einen
Freund, der Jahre zuvor die Grazer Szene verlassen hatte, um fuer immer nach Frankreich zu
gehen, dort zu studieren, zu leben und zu schreiben.
Anstatt jedoch seine Studien an einer suedfranzoesischen Universitaet voranzutreiben, schloss
er sich einer Gruppe von Aussteigern an, deren
einziger Schutzmantel gegenueber der Gesellschaft die Ablehnung derselben war.
Es war die Zeit, in der Mao Tse Tung und vor
allem dessen Idee der Kulturrevolution in voellig
irrationaler Weise zu einem Idol und Ideal der
Jugend der westlichen Laender wurde.
Der Freund lebte in einem Seitental der
Rhone und betrieb mit Gleichgesinnten einen
kleinen Handwerks- und Dienstleistungsbetrieb.
Ihre freie Zeit verbrachten sie mit der Suche nach
anderen Seinsformen. Sie hingen ihren Vorstellungen von Befreiung und Leben nach.
Nach dem ersten Erstaunen ueber sein ueberraschendes Auftauchen entwickelte sich ein muehseliger Dialog, der die Mauer zwischen den Auffassungen immer deutlicher werden liess.
Humbolt bemerkte rasch, dass man in ihm einen
Angepassten sah, obwohl man bemueht war, ihn
dies nicht merken zu lassen. Er vermerkte die
Bitterkeit jener Freundschaften, die sehr freimuetig, aber doch eben nur auf intellektueller
Grundlage gebaut waren. Die Frauen hatten einander, ausser zu laecheln und sprachloser, geradezu
hilfloser Gestik, nichts mitzuteilen. Am naechsten
Tag, es war ein Samstag, fuhren sie in die naehere
Umgebung. Ihr Ziel war ein relativ niedriges, durch
die Zeiten abgetragenes Urgestein. Humbolt versenkte sich in die Betrachtung der uralten, erodierten Felsbruchstuecke und verspuerte das erstemal ein schmerzhaftes Wissen. Er vollzog in
Gedanken den Tod der Erde und dachte die Dinge
bis an jene schmerzhafte Grenze , an der alles
Leben zur Fremde wird.
Tage zuvor hatten sie ihr Zelt am Fuss des Mont
Saint Michel aufgeschlagen. Er war ploetzlich aus
dem Tiefschlaf getaucht und vermeinte auf der
einige hundert Meter entfernten Strasse das Rollen
unzaehliger Panzer zu vernehmen. In seiner Angst
drang er in Nona und vergrub sich in ihr. Am
naechsten Tag war sie sehr zutraulich zu ihm und
erst die Erzaehlung des naechtlichen Erlebens, von
dem er nicht wusste, ob es Traum oder Wirklichkeit
gewesen war, lies Distanz aufkommen. Er lief stundenlang allein ueber die wattaehnliche Kuestenlandschaft.
Erst nachdem seine Unruhe vergangen war, kehrte er
zum Zelt zurueck.
Sie naechtigten im Haus des Freundes und wieder
vergrub er sich in Nona. Diesmal schlief er nicht
aus Angst mit ihr, nicht aus dem Verlangen nach
Geborgenheit. Die reine Lust trieb ihn an, mit ihr zu
schlafen und noch nie waren ihm Sinn und Koerper
so klar eingegangen und er begriff, dass nicht die
Erde, nicht die Sinne , sondern dass es sein Bewusstsein war, das jenes Gefuehl ueber die Natur aufkommen liess. Dieses Gefuehl wuerde ihn jedoch
niemehr verlassen. Das wusste er damals noch nicht.
Am naechsten Morgen fand er sich auch dem
Freunde naeher und nach einem ausgelassenen
Picknick im Felde verliessen sie den Ort, um ueber
Lyon in die Schweiz zu reisen.
Nachdem sie Lyon durchquert hatten, fiel ihm
wieder jener junge Deutsche ein, den sie in Avignon
getroffen hatten und der ihnen erzaehlte, dass ihm
unter LSD Einfluss seine ganze Habe und seine ganzen
Dokumente abhanden gekommen waren. Humbolt
glaubte nicht, ihm helfen zu koennen, denn wie
haette er ihn ohne Pass ueber die Grenze bringen
koennen. Um so mehr Humbolt an den jungen
Deutschen dachte, um so staerker regte sich in ihm
die Empfindung menschlicher Unfaehigkeit und um
so stiller und verbissener wurde er. Nona bezog diese
Verstimmung auf sich. Erst als er sie ueber die wahren
Beweggruende aufklaerte, verlor sie ihre Unsicherheit
und meinte, er brauche sich keine Gedanken zu
machen. Der junge Mann wuerde sich schon durchschlagen. Obendrein wuerden doch bei jeder Hilfeleistung nur Schwierigkeiten entstehen. Er wurde
ernstlich zornig auf sie. Nachdem er das Gefuehl hatte,
ihr mehr denn je nahe zu sein, machte ihn die unterschiedliche Auffassung des Vorfalls umso betroffener und er bemerkte, dass sie ihn in wesentlichen
Dingen eben doch nicht verstuende.
Er verfluchte seine Feigheit und Passivitaet. Eine
Passivitaet und Ignoranz, die von den Haendlern
des schnellen Gluecks , die naechtlichen Erlebens,
von dem er nicht wusste, ob es Traum oder Wirklichkeit gewesen war, liess Distanz aufkommen.
Er lief stundenlang allein ueber die wattaehnliche
Kuestenlandschaft. Erst nachdem seine Unruhe vergangen war, kehrte er zum Zelt zurueck.
In einem kleinen Ort hielt er vor einem Lebensmittelgeschaeft und kaufte, wie er meinte, eine
Flasche Mineralwasser. Nachdem er sie geoeffnet
und daraus getrunken hatte, las er aufmerksam
das Etikett, dass ihm nun bestaetigte, dass es bloss
abgefuelltes Wasser, Bergquellwasser war.
Dies erinnerte ihn an den Dialog mit einem oesterreichischen TV-Manager, der ihm einmal erklaert
hatte, dass man kuenftighin die Natur vor dem
Menschen schuetzen muesse, mit elektrischen
Zaeunen und bewaffneten Wachorganen. Man
werde diese Natur nur mehr unter Kontrolle aufsuchen koennen. Nur mehr unter Beantragung
eines mit Kosten verbundenen Passierscheines
sollte es moeglich sein, die wildwuechsige Natur
aufzusuchen.
Der Schutz der Natur vor dem Menschen eroeffnet
gleichzeitig die Vermarktung und allumfassende
Kontrolle der Natur.
Der Staat enthalte sich aller Sorgfalt fuer den
positiven Fortschritt der Buerger und gehe keinen
Schritt weiter, als zu ihrer Sicherstellung vor sich
selbst und gegen auswaertige Feinde notwendig ist;
zu keinem anderem Zwecke beschraenke er die
Freiheit.
Die Sicherstellung des Buergers sichert vor allem
die Allmacht des Staates. In Wahrheit gibt es nur
mehr den Staat und nichts als den Staat. Die Parteien, die sozialen Organisationen, die Gewerkschaften, die Buende, die Kammern, die staats- und
gemeindeeigenen Banken, die Kindergaerten und
die Schulen bilden die Greifarme des Staates. Und
dies alles wiederum wird kontrolliert vom umfassenden Umweltamt.
Und alle buergen fuer diesen Staat. Der Staat der
Nichteinmischung, wie es ihm einmal vorschwebte,
der Staat des freien Buergers fuer Freie unter
Freien, war eine Utopie, ein blosses Hirngespinst.
Der Staat selbst hebt den freien Buerger auf.
Was waere schon passiert, wenn er den jungen
Deutschen in Avignon aufgelesen haette. Es
haette nur einer Erklaerung bedurft, warum
dieser junge Mann saemtliche Papiere verloren
habe, um die Maschinerie des Staates in Bewegung
zu setzen. Und die Staatsmaschine haette die Staatsmaschinerie des anderen Staates in Bewegung gesetzt.
Und wenn dabei herausgekommen waere, dass
Drogen mit im Spiel gewesen waren, waeren die
Schwierigkeiten unabsehbar geworden. Man haette
den jungen Deutschen gefragt, warum er nicht schon
in Marseille eine Verlustanzeige aufgegeben habe.
Natuerlich hatte er dies vermieden, weil eben Drogen
mit im Spiel waren. Und da ihm die franzoesischen
Aemter ebenso fremd wie die Gesetzeslage waren,
dachte er nicht im entferntesten an eine positive
Loesung. Der Fall haette immer weitere Kreise gezogen,
bis zur naechsten Instanz und immer hoeher, bis er
in den Haenden der deutschen Vertretung gelandet
waere.
Immer wieder steht in Tageszeitungen zu lesen, dass
drogensuechtige Auslaender zu drakonischen Strafen
verurteilt werden.
Die urspruenglichen Regungen sind durch Verordnungen gesperrt. Folgen wir den Verordnungen, ist
scheinbar alles in Ordnung. Helfen bringt Schwierigkeiten. Der geringste Ausbruchsversuch erregt
Unordnung, Aufsehen, wirkt verwerflich.
Wer das Gesetz bricht, lebt ausserhalb, vogelfrei.
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