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part.8

Jede Klarstellung, jede Neuerung, jede Erneuerung, ist Angriffen ausgesetzt. Nichts ist unwuerdiger, als der Rueckfall in die alten Gewohnheiten. Aber anderseits ist auch nichts zaeher, als die alten Gewohnheiten. Eine der schmerzhaftesten Empfindungen loeste immer das Erkennen des Rueckfalls aus. Diese rueckhaltlose Demuetigung, das Ziel nicht erreicht zu haben, sich von nebensaechlichen, von lauen Figuren, von Blendern, die einem bloss ums Gesicht gehen, ablenken haben lassen. Die Aufgabe leichter genommen zu haben, als sie tatsaechlich ist. Sich von Gluecksrittern und Windschattenseglern vorwerfen lassen muessen, das Angesagte nicht erreicht zu haben. Sich verteidigen muessen gegenueber all den hoffnungslosen Spielern, die bloss nach neuen Lichtern Ausschau halten, um sie im Handumdrehen zu verdunkeln. All diese miesen Einfluesterer, Jasager, Zusager und Versager.
Noch konnte er sein Scheitern tarnen. Noch waren seine wahren Absichten im Unklaren, noch konnte er sie hinhalten. Noch musste er nicht das aussichtslose Ende seiner Bemuehungen eingestehen. Noch hatte er Zeit, den alles entscheidenden Ausweg aus der Misere zu finden. Doch zweifelte er bereits daran, diesen Weg zu entdecken und vermutetete immer mehr, dass er ihm versagt bleiben wuerde. Er hatte Angst vor der Aufgabe, Angst, den Weg nicht zu finden. Angst hinderte ihn an der weiteren Bewegung. Er begann nun, die angebotenen Ablenkungen bereitwillig anzunehmen, obwohl ihn diese weiter in die Misere trieben, und er liess nicht nur das Ufer, sondern auch die Stroemung ausser acht. Die Ablenkungen, die neuen Bekanntschaften, das Herumhaengen in den Lokalen, die Nachtfahrten der Trinker an den Theken, betaeubten ihn und liessen ihn seine Geschichte, seine bisherige Geschichte vergessen. Und es war kein Scheitern, das etwa unbedingt aus seiner Arbeit resultiert haette; die konnte er mit mehr oder weniger Muehe aufrechterhalten. Selbst ihr Scheitern wuerde er als einen unzulaenglichen Versuch mit eben unzulaenglichen Mitteln rechtfertigen koennen. Er wuerde sich damit bloss in die Reihe jener Aufgeber einreihen, die, so oder so, die Mehrheit bilden. Ihn verstoerte vielmehr sein Versagen in seinen Beziehungen, in seinen Lieben, jene Unmoeglichkeit, jene Unfaehigkeit, Empfindungen und Gefuehle weiter zu entwickeln und auf Dauer zu erhalten.

Die Trennung von Nona hatte er immer noch nicht ueberwinden koennen und jede neue Beziehung belastete er von vornherein mit den Verletzungen und dem Versagen, die er in dieser einen erlitten und selbst zugefuegt hatte.
Selbst jetzt noch, da er doch laengst aus dem Spiel war, bewegten sich seine Gedanken, als ob sie noch den alten Kreislauf zu erfuellen haetten und verhinderten jede Neuerung. Sie hielten ihn fest, und er versuchte Rechtfertigungen zu finden fuer etwas, dass es in Wahrheit nicht mehr gab. Er vermisste die Staerke der Zuneigung, die er ihr gegenueber verspuert hatte in allen anderen Beziehungen und so erschienen sie ihm weniger wertvoll und er getraute sich nicht, sich in dem Masse zu oeffnen, das jede menschliche Beziehung braucht. Immer wieder gab er sich jenen melancholischen Ruehrungen hin, die ihm zufluesterten, wenn eben jenes umsonst war, wird wohl alles umsonst sein.
Nur jene Momente rissen ihn hoch, da er sich so weit fallen gelassen hatte, dass der Zustand zur Angelegenheit des Ueberlebens oder des endgueltigen Untergehens geworden war, aus dem er sich wieder hinaufkatapultierte und fast traumwandlerisch das Ziel, das urspruengliche Ziel, zumindest den Weg wieder erreichte.
Die Kraft, die er durch ihren Verlust verloren hatte, fehlte ihm in all seinen Bewegungen.
Es gab Zeiten, da fielen die anderen her ueber ihn wie Hyaenen, weil sie seine Schwaeche spuerten und versuchten sich an ihm stark zu machen. Hatte er seine Tiefpunkte wieder ueberwunden, begegneten sie ihm freundlich, ja geradezu ueberschwenglich, und es dauerte einige Zeit, bis er begriff, was sie denn da tatsaechlich spielten... Er hielt sich ab diesem Zeitpunkt an die, die auch in seinen depressiven Phasen zu ihm hielten und begann darauf zu achten, diesen auch in Hochstimmung freundlich zu begegnen.

Nun konnte er vielleicht den Kreis verlassen, den Denk- und Verhaltenskreis, der ihm jahrelang die gleichen Muehen, immer die gleichen Demuetigungen abverlangt hatte. Er verlor auch das Gefuehl des Alleinseins, da er um nichts in der Welt in diesen Kreislauf zurueckkehren wollte. Auf keinen Fall wuerde er die Bedingungen dieses Kreislaufes wieder akzeptieren. Diese billige, alltaegliche Rechnung mit dem Versagen des Anderen und der daraus sich ergebenden Moeglichkeit des eigenen Stillehaltens. Er hatte nun die Zeit gefunden, die er noetig hatte, um dem Ziel sich tatsaechlich zu naehern. Er hatte aber nun auch die Zeit, nach jenen Ausschau zu halten, die ebenso den Kreislauf ueberwunden, bewaeltigt und verlassen hatten. Nach jenen Ausschau zu halten, die knapp davor waren, auszubrechen. Es ging nun nur noch darum, all die verlorengegangenen Kraefte wieder zu gewinnen, allerdings nur unter der Bedingung, dass kein anderer mehr verletzt werden wuerde.

Gerade in der Stadt, in der er sich seit Jahren wider besseres Wissen, dass es ihm an einem anderen Platz besser erginge, aufhielt, entwickeln sich immer wieder Versuche dieser Umformungen, dieser Sprengungen alltaeglicher Sehweise. Die Kuenstler rennen mit einer ungeahnten Ausdauer gegen alle rationale Struktur an und nehmen selbst die Gefahr der totalen Selbstvernichtung in Kauf.
Sie haben einen Kult des Primitiven errichtet und jeden Neuzukoemmling erwartet anstatt Anerkennung Demuetigung all seiner bisherigen Erfahrung. Mitten in der Stadt dehnt sich der Dschungel, die Oasen des Friedens und der Ironie, aus. Er hatte die Wildnis immer ausserhalb gesucht, diese da haben sie in ihren Koepfen entdeckt, und sie begannen, ihre Sinne vor dem rationalen Verstand zu schuetzen. Nicht von ungefaehr beschaeftigen sie sich mit der Geschichte der Geisteskranken, mit dem gestoerten Verhalten, in der Hoffnung, in der Verstoerung die Spuren des anderen Weges zu finden. Sie haben den Dschungel in ihren Koepfen entdeckt, und schuetzen ihn gegen das Eindringen der staehlernen Glaspalaeste der abstrahierenden Logik vor allen Bewegungen, die aus der Wildnis wegfuehren. Aber gleichzeitig haben sie auch ein bewundernswertes System der Sicherung, der gegenseitigen Hilfe entwickelt, und jeder Bruch damit und jede Kollaboration mit dem Alltaeglichen raecht sich durch den Verlust der Stammeszugehoerigkeit und jener extensiven Faehigkeiten, die nur und ausschliesslich nur die Erfahrung der Wildnis hervorruft. Sie hatte ihn gemahnt, in einem ihrer Briefe, er muesse sich vor dem Depressiven hueten. Die Stadt, in der er lebe, sei bekannt fuer ihren besonders ausgepraegten Weltschmerz , der sich alsbald zu voelliger Verneinung, Desparation hin entwickle. Auch der Zynismus komme aus derselben Quelle.
Aber wo anders sollte er noch leben? Noch dazu, wo er auf das voellig hoffnungslose Feld der Kunst abgerutscht war. Und dieses Feld war hier vor allem von Menschen bestellt, die ihre Umwelt extrem ablehnten. Diese Ablehnung war einerseits verstaendlich, da die Bewohner der Stadt und nicht nur der Stadt, sondern des ganzen Landes, weder ein vitales Kunstinteresse, noch wirkliche Vitalitaet aufbrachten. Sie stellten allesamt keine besonderen Ansprueche an das Leben, und so waren sie auch nicht imstande Kultur zu entwickeln. Sie messen einander an ihren Positionen im Beruf, an ihrem Einkommen, an ihren Wohnungen, an ihren Frauen, beziehungsweise andersherum an ihren Maennern. Kunst hat da keinen Platz. Und sie lassen das die Kuenstler auch merken. Nicht nur den Kuenstlern, auch allen jenen, die eine verfeinerte und geistvollere Art des Lebens anstrebten, die besondere oder kritische Ansichten des politischen Lebens vertraten. Ihr Mass der Dinge war und ist das Durchschnittliche, moeglichst umfassend und zahlreich in seiner Verbreitung. Mit dem einen Nachteil, dass dieser Mensch, je weiter er sich verbreitet und ausdehnt, desto weniger Eigenheiten und immer mehr Aehnlichkeiten und Gleichheiten aufweist. Und darauf aus ist, um seiner Bequemlichkeit und Ruhe willen, alle Eigenheiten an anderen und an sich selber herunterzumachen und auszuloeschen. Sie bestimmen das Mass der Dinge. Die Politiker richten ihre Programme nach ihren Wuenschen aus und betruegen sie hinterruecks, als muessten sie sich fuer ihre Saetze und ihre Verprechungen, an die sie selbst nicht glauben koennen, raechen und schadlos halten.
Die wenigen, die von den Kuenstlern immer wieder etwas wollen, sind eben diese Politiker. Nicht deswegen, weil sie von der Kunst gar so viel halten, nein, sondern weil sie die Kuenstler einfach fuer ihre Zwecke benuetzen, um ihren Programmen und Vorhaben mehr Glanz oder mehr Biss zu verleihen.
Doch da die Kuenstler von den Buergern immer schon abgelehnt wurden, und sie auch die Absicht der Politiker, sie als Reklameschilder zu missbrauchen, durchschauten, konnten sie dieses Ansinnen nur ablehnen und jede weitere Vereinnahmung verweigern.
Um jedoch ihre Haltung verstaendlich zu machen, sahen sie sich gezwungen, sowohl die Buerger als auch die Politiker zu kritisieren, und die Zustaende zu beschreiben. Zuerst versuchten sie, die Handlungen und Haltungen der Politiker offensichtlich zu machen, im irrigen Glauben, dass die Menschen von der Macht nur hinters Licht gefuehrt wuerden und mit einer anderen Politik Besseres zustande kaeme.
Aber bald mussten sie einsehen, dass Buerger und Politiker einander verdienten, ja, geradezu einander entsprachen. Diese Erkenntnis liess sie zusammenruecken und ein Ghetto bilden, das sie Avantgarde nannten und dessen weiteres Umfeld Szene genannt wird.
Politikwissenschaftler und Soziologen sprechen von Subkultur, vollkommen irrigerweise, denn dies hiesse bloss, der allgemeinen Lebensart einen Anspruch auf Kultur zuzubilligen. Die Durchschnittlichkeit der allgemeinen Lebensart ging schon so weit, dass es den observierenden behoerdlichen Oberaufsehern, so sie es darauf anlegten, jederzeit moeglich war, aufgrund geringfuegiger Abweichungen von der alltaeglichen Norm, im Vergleich mit dem allgemein anerkannten und befolgten Raster, aus den scheinbar unuebersichtlichsten sozialen Feldern Personen herauszufiltern, die fuer bestimmte Taten und Untaten in Frage kamen, entsprechend zu beobachten und im Anlassfalle zu ueberfuehren. Die Fluchtmoeglichkeiten und Auswege aus der normierten Gesellschaft wurden immer weniger. Wobei hinzuzufuegen ist, dass diese Normierung nicht etwa auf diktatorischem Wege, sondern mit sonderbar einsichtigen Worten, wie Sicherheit, Lebensqualitaet, Leistungsfaehigkeit, menschlicher Wuerde und aehnlichen Qualitaeten sich durchsetzte.

In diesem grossen, gleichfoermigen Feld blieb also die Moeglichkeit, Eigenheiten auszubilden, von vornherein beschraenkt. Der Weg der Kunstaussenseiter ins Ghetto war damit vorherbestimmt.
Die Freiheit war zwar erreicht. Sie war jedoch auf dem denkbar schlechtesten wirtschaftlichen Boden begruendet. Die Verhaltensweisen, die der allgemeinen Gesellschaft vorgeworfen, ruecksichtslos angekreidet worden waren, wurden hier noch schamloser und noch extremer ausgeuebt. Mit der einfachen Begruendung, dass es nun tatsaechlich um den Ueberlebenskampf ginge und in diesem Kampf alles erlaubt sei. Anstatt mehr Sensibilitaet entstand eben Zynismus, anstatt Offenheit abgeklaerte Hinterhaeltigkeit, anstatt Lob des Guten und Schoenen, dem doch alle nachgelaufen waren,erging man sich in unendlichen Hasstiraden und unaufhaltsamen Niedermachen.
Uebrig blieb ein alles umfassender Nihilismus, der bloss vor der brachial ausgeuebten Gewalt zurueckschreckte. Aus allen weltanschaulichen Ecken hatten sie sich zu diesem seltsamen Gemenge zusammengefunden. Christen, die mit ihren Glaubensanspruechen nicht fertig wurden, adikale aller Coleurs, Revolutionaere, die an ihrer Naivitaet gescheitert waren, Menschen, die in ihren Berufen keine Erfuellung sahen, Ehefrauen, die ihren Maennern davongelaufen waren, in der Hoffnung, ihre Freiheit zu finden, trotzige Adelige, Nichtstuer und kleine Gauner, deren einziger Gott der Wirt war, der ihnen schamlos das Geld aus der Tasche zog. Unter ihnen die, die wirklich gescheitert waren, die nicht an ihrer Unfaehigkeit gescheitert waren, sondern am Unverstand, an der Kurzsichtigkeit, an der oberflaechlichen Hingabe. Die versoffenen Genies, die mit ihren wirklich herausragenden Ideen von kaum jemandem verstanden wurden und damit auch niemandem von Nutzen waren. Sie waren lebendige Tote, ihre Worte strichen ueber die Angesprochenen hinweg, sie verhallten ohne Wirkung. Sie durften auf kein Echo hoffen, und so bemaentelten sie sich mit banalen Worten, mordeten sich langsam und stetig im Alkohol und nur manchmal brach ihr Zorn hervor und als primitiv frustierte Menschenfeinde gingen sie zu Boden. Jetzt schrieb sie ihm, dass er sich davor in Acht nehmen solle, er wuerde ein solches Schicksal nicht verdienen. Jetzt, Jahre, nachdem sie sich getrennt hatten, warnte sie ihn vor dem Schicksal, in das er unweigerlich geraten war.
Als ob er diese neue Welt nun von heute auf morgen ausser Acht lassen koenne. Als ob sie noch ein Recht darauf haette, sein Leben noch einmal zu beeinflussen. Und der Wirt, der gescheiterte Schueler eines grossen Philosophen, stimmte ein Lob des Herrn an und verteilte an die Umstehenden die Hostien der Hoffnungslosigkeit.


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