Muenchner Gedichte von Bettina Boeck

franz-josef-straße

für jennifer nitsch

das ist die straße und das der rinnstein / der abendklamottenladen auf dessen dachrinne / die taube mit der eingerissenen kralle das gurren verlernt.

die leeren holzmodelle in der auslage / ein lederkragen tremoliert abgewandten hauptes über einem knallroten korsett für hausmädchenseelen / so bleibt es hier hängen.

noch ist es Mittag / in den spiegeln schlafen die gedachten muster und die überfahrenen hunde im grünen licht des laserpointers.

white linen: das verschüttete parfüm am gehweg / die wundgelebte frau vom rock bloßgestellt / sie wird dort liegen bleiben: während ein mühlrad das dunkel presst, dessen verzogener rahmen sie die gesichtslose löscht.

Hausmeister/Hausverwaltung/Hinterhoftelefonat

Der Aufzug… / könnte eine Gerichtssache / wenn der nicht irre / lassen Sie's / ich glaub, die haben da /ist drin rumgesprungen / rein vom Lärm her

alle kommen alle kommen / von Afrika / von Uruguay /

natürlich spricht da nichts / sag ich! / Du musst die Finger waschen / die Finger waschen nach jeder Aufzugfahrt

Mechthild

Englischer Garten / Eingang Osterwaldstraße / bekannter Schritt / der norddeutsche Tonfall / zwei graublaue Augen, die ich mag / schauen dienstags ins Bücherregal / vorübergegangene Kundeninteressen im Rücken

Mit dem Bob zur Spielbank nach Wiessee

< Der Aufzug Münchner Freiheit / der Marienplatz / Goldbären ausm Automaten / barrierefreie Waggons.

Dazwischen Wiesen, in denen der Sommer steht / geschiente Hoffnungen / Magerkeit, die an Lügen erinnert. /

Flüchtige Türen, schwimmende Altäre, auf dem Marion ihr Daheim "blendend weißt".

In den Compartments des Augustinerkastens breiteten sich die Täler ihres Lebens aus, ungetrennt erstehen dort die Säulen der Welt, hinter Scheiben blitzend und unauffindbar.

Der Bob fährt über Gmund nach Tegernsee, und, an den Kieslagen der Zukunft vorbei, auf das Schwarz der Ausdauer zu.

Noch vor Anbruch der Dunkelheit im Café Luitpold und ein Buch


Ein Satzbild / mein Hirn / sofort wacht

Emily auf sagt: in einem Moment fange ich zu Leben

Hans: in einem überfüllten Raum schauen

Ich schreibe: in jenem Aufzug fangen alle beiden Geschichten an

Emily: gefallene Schuppen, oder der Schnee?

Ich weiß, dass sie aneinander vorbei sich nicht ins Gesicht starren

Hans: Augenpaare suchen sofort eine Stelle

Kilogramm / die Zahl die angibt / wie viele Personen der Aufzug

Emily: auf einem Stück Hals, das

Hans: noch nach Stunden nachzeichnen Geflecht aus Falten und Poren.

die ich Hans aus dem Gedächtnis

Emily: ein Haaransatz mit etwas Schlick darin. / Sie schnippt Fingernagelschnipsel

Hans schlägt ein Taschenbuch. / Martin Walser

Ich treibe Emilys Blick der kleinen Öffnung, der rosaroten Serpentine / genauer gesagt: auf Hans Ohr zu

Hans zeichnet Emily vorne ins Suhrkamp Taschenbuch / Ehen in Philippsburg

On my way home

plötzlich den Arbeitstitel im Nacken aus Laternenlicht./ am Freitag, sagt die Frau am Sandstrand, kratzt sich den Ellenbogen (Walnusshaut)/ liegt ruhig auf der Liegestuhlarmlehne, wie ein Briefbeschwerer./
0:00 Uhr.
Früher hat man Mitternacht gesagt, hörst mich, aufm Berg ein paar Kühe und die Nacht weiß ausm Keller. / Zu Fuß am Kiosk diesmal. / Nicht auf Luise gefasst. / Und jetzt gähnen Steinlöwe und Maibaum laut wie in Kindertagen./ Und ich schau zum Bauernhof der katholischen Akademie. / Und Luise, am Radio drehend, hört durch den Tag, vierundzwanzig Stunden, Aufprall.

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Scheidegger: weiter hinten die Körbe vor dem Laden und die Holztische vor dem Lokal Schloss im Tischbeinseil und respektable Schirmmütze auf dem umrundeten Kinderkopf und der bebende Kompass auf Antilope im nassen Zentrum der Löwe auf der Jagd. Drin im Lokal kippen Bestecke. Über Esser und Schenkel, ein Klang der Fragezeichen setzt spiegelt Einsicht auf Wangen, unberührt von Zeit.

typisch

einer jener Vernissage-chill-outs in München / Anfang Juli / wo nur der Herbst schon im Anzug ist / zeitgleich mit'm Straßenkehrer Trupp aufm Trottoir vor der In-Kneipe / die einer in großen Schuhen am laufen hält

heftig ist der Fischmief / Hat hier Kultcharakter / Kein Wunder: die bildende Kunst zerfällt im Moment, sickert in die Lücke, wo sie wartet, berührt zu werden von / Erinnerungen beim Durchgehen / Vergiss die Erinnerung / Schnell mit der Nase ein Zeichen auf den Spiegel, nimm das Bild mit.

Über die Mauer

Die Christine im Promillchen arbeitet montags / Die Gäste machen sich nicht rar, sind Schreihälse und Angsthasen auch, die gehen und kommen, stehen draußen oder türmen die Kneipe, tanken Mut aus dem Glas / je nachdem, sagt sie, verliert sie den Spaß.

Vor dem Kino Münchner Freiheit

Aus dem Englischen Garten der gebückte Münzenspender? / Voll Gorbatschow-Wodka das ist gewiss mit ungewaschener Jeansjacke./ Unbekannter grimassiert unter Kopfschütteln: ich sitze hier almosenunwillig mit Hut / Du Bruder, der erste, hast mich gesehen, beugst dich zu mir als großer Herr./ Ich bleibe ein gutes Weilchen, dann esse ich Pommes.

BETTINA BOECK ueber sich:

Zu meiner Person: ich wurde 1967 in München geboren, wo ich Literatur und Literarische Übersetzung studierte. Nach einem Volontariat beim Bayerischen Rundfunk habe ich als Dramaturgin gearbeitet. Ich schreibe Lyrik und Prosa, sowie Texte für Kinder.

Natürlich bin ich ein namenloser Kopf, sage ich. Sitze und schreibe und sinniere. Träume, sagt Friederike Mayröcker. Und dann liest Dragon NaturallySpeaking, liest die Seiten, die ich diktiert habe. Jemand anderer, der diese Seiten mitgeschrieben, mitgedacht. Philipp Larkin und so weiter. Ich bin auf der Spur, sage ich zu Ihnen, den ich als ich es schüttelte, aus einem Buch fallen ließ. Auf was für einer Spur? On my way home, sage ich. Immer von neuem München. Wenn ich in die Öffentlichkeit gerate, die Stadt aufnehme, ausgehe, beschreibe, beginnt das Spiel von Realitäts- und Wahrnehmungspartikeln durcheinander zu wirbeln. Es ist wie mit einer Lieblingsspeise sage ich. Immer gleich und doch jedes Mal verschieden dieses München, das ich Ihnen in zehn Gedichten vorstellen werde.


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