Briefe an die Frau

Zbraslav, 27.8.1934

Liebste Elly,

tausend Dank für Dein Schreiben, das ich heute erhalten habe. Hier in Zbraslav regnet es, und so kann ich Dir etwas mehr schreiben.
Fürs erste möchte ich für uns beide einen Posttermin festlegen. Ich möchte damit in Erfahrung bringen, ob mir alle Deine Briefe tatsächlich zugestellt werden.
Von nun an werde ich jeden Dienstag ein Schreiben an Dich absenden. Ich bitte Dich ebenso vorzugehen, und mir bekannt zu geben, an welchem Tag Du von nun an für mich absenden wirst. Ich hoffe auf Dein Einverständnis.
Sollten wichtige Ereignisse eintreten, wird naturgemäss vom normalen Turnus abgewichen. Ich bitte Dich jedoch, dies nur in besonders dringenden Fällen zu tun.
Da es Dich , so hoffe ich, interessieren wird, möchte ich Dir kurz über unser tägliches Leben berichten.
Unser Leben hier in Zbraslav ist sehr eingeschränkt. Fast jede Woche gleicht der vorhergegangenen.
Durch verschiedene unliebsame Vorfälle im Lager ist die Lagerordnung striktest verschärft worden. Im Unterschied zu früheren Tagen wird auf die strenge Einhaltung der neuen Ordnung geachtet.
So wie überall verderben sich die Leute selbst ihre möglichen Vorteile.
Ich für meinen Teil komme mit der Lagerordnung nicht so sehr in Berührung.
Ich arbeite in der Gemüsegärtnerei , ich bin Gartenmeister. Ich finde in dieser Tätigkeit genügend Zerstreuung und es wird mir nicht langweilig.
Bei schönem Wetter suche ich Abkühlung in der Moldau. Bei schlechtem Wetter arrangiere ich die Heimmeisterschaften der Schach- und Tischtennissektionen.
Wir haben uns alle hiezu nötigen Requisiten selbst in unserer eigenen Tischlerei und Schlosserei selbst angefertigt.
Vergangene Woche habe ich für unsere Zimmereinrichtung vier kleine Stellagen gemacht. Ebenso Bilderrahmen für das Bild von meinem kleinen Harald, und einen Rahmen, der noch leer ist und auf eine schöne Aufnahme von meinem Wuschile wartet.
Eine Bild von Koloman Wallisch hängt gerahmt über meinem Bett.
Eine Lagerbibliothek bietet geistige Nahrung. Die Nachfrage danach ist leider am schwächsten. Ich selbst lese zwei Bücher in der Woche.
Heute vormittags habe ich im Garten umgegraben und Wintersalat angebaut.
Abends singen wir bis zum Schlafengehen Lieder mit Gitarrenbegleitung.
Wochentags können wir bis 10 h, Samstags und Sonntags bis 1 h ausgehen.
Um 1/2 8 müssen wir aufstehen. Bis zum Frühstück um 3/4 9 h wird exerziert. Danach wir bis 12 gearbeitet, ebenso nach dem Mittagessen bis 5 Uhr.
So vergeht ein Tag wie der andere in der immer selben Leier.
Ich möchte viel lieber von hier weg und weiterkommen. Die Zeit, die ich hier verbringe ist verlorene Zeit. Hier kann man für die Bewegung und für sich nichts leisten.
Ich wünsche die Zeit herbei, in der ich im sozialistischen Staat mitarbeiten und unsere familiäre Gemeinschaft ausbauen kann.
Du hast keine Ahnung, wie gross die Arbeitswut ist, die ich in mir habe.
Doch es fehlt die Möglichkeit, mich im wirklich interessanten und Wesentlichen auszutoben.
Nun lerne ich tschechisch, natürlich die Schriftsprache. Powidln tun wir ja ohnedies immer, aber das ist nicht das richtige, man lernt dabei das meiste falsch.
Was meine Weiterreise anlangt, lässt mich die KP noch immer im unklaren, obwohl ich bereits legitimiert bin.
Ich habe bereits die Bewerbungsbogen und die Photos abgegeben und um die Erlaubnis zur Einreise in die UDSSR angesucht, jedoch noch immer keinen Bescheid erhalten.
Ich wäre jedoch froh, wenn ich nochmals mit Sepp darüber sprechen könnte. Mit ihm kann ich gründlich reden. Die Herren in der Spalena (R.H.) sind derart wortkarg, daß man nie weiss, wie man dran ist. In Sepp habe ich Vertrauen, er ist über meine Angelegenheiten informiert.
Ebenso möchte ich mit ihm über die Angelegenheit mit meinem Vater sprechen.
Ich muss Dir offen gestehen, daß ich diese Antwort meines Vaters erwartet habe. Das er diese Stellung einnehmen würde, erkannte ich daran, daß er mich hier zwar legitimierte, mir auf mein letztes Schreiben jedoch nicht antwortete.
"Mein lieber Sohn, ich werde Dich nicht im Stich lassen", so hat er mir einmal geschrieben. Das war das letzte von ihm gelesene. Offensichtlich ist er froh, mich von zuhause wegzuhaben.
Seine Begründung dir gegenüber will ich nicht näher kommentieren. Ich will nur sagen, das es eine bodenlose Gemeinheit ist, derartige Behauptungen aufzustellen.
Nun, ich hoffe, mit ihm noch gründlich abzurechnen.
Auch um die Rechnung mit Liebl zu machen, bin ich zu weit weg. Ich werde aber auf diesen Patentsozialisten nicht vergessen. Für solche Kreaturen wäre es besser, wenn sie einer vergangenen Generation angehören würden.
Ich muss mir die ganze Angelegenheit noch durch den Kopf gehen lassen. Solltest Du jemand zu Rate ziehen, etwa einen Rechtsanwalt,ersuche ich Dich, mir mitzuteilen, welche Fragen von Wichtigkeit sind, damit ich dann in einem Schreiben alles zusammenschliessend beantworten kann.
Ich muss mich selbst erst über verschiedenes informieren, von dem ich meine, das es für unseren Fall von Bedeutung ist.
Wie schon erwähnt, werde ich mit Sepp darüber eingehend sprechen.
Mittlerweile hoffe ich auf Antwort von Dir.
Sollten wir schon in der Frage der von Dir geforderten Unterstützung nichts erreichen, bin ich doch der Überzeugung, daß mein Herr Papa der Forderung nach meinem Pflichtteil nicht ausweichen wird können.
"So wie du mir, so ich dir."
Hoffen wir auf weitere, gute Entwicklung in dieser Angelegenheit.

Es grüsst und küsst Dich leider nur im Geiste tausendmal

Dein Josef



Post aus dem Anhaltelager Waltendorf bei Graz 20.Mai.1934

Zbraslav 18.10.1934

Liebe Elly,

ich habe Dein Schreiben am Sonntag den 13.Oktober mit Dank erhalten und bin froh darüber, daß die vermutete Störung der Postverbindung nicht eingetreten ist. Nun bin ich wieder beruhigt.
Ich warte jedoch noch immer auf ein Schreiben des Vertreters unserer Sache.
Ich möchte unsere Angelegenheit noch regeln können, solange ich mich hier in der CSSR befinde. Wenn ich hier wegkomme, wird der Abstand noch grösser. Es geht nicht nur viel Zeit verloren, die ganze Geshichte wird dadurch auch erschwert. Eines Teils hoffe ich, von hier wegzukommen, anderseits denke ich mir, daß es notwendig wäre, so lange hier zu sein, bis diese Angelegenheit einmal in Gang ist.
Du warst in Wien, wie du mir geschrieben hast. Hoffentlich hast Du im Ronacher ein wenig auch an mich gedacht. Wie Du mir mitteiltest, hattest Du eine Auseinandersetzung mit Mitzi. Dazu will ich folgendes erwähnen, Mitzi dürfte ihrer Anschauung nach Recht haben. Die Dinge liegen jedoch anders. Sie kennt meine Lage nicht, in der ich mich hier befinde. Es ist mir nicht leicht möglich, die Portospesen für die Briefschreiberei aufzutreiben. Für 10 Tage bekomme ich 5 Kronen Taschengeld. Ein Brief an Dich kostet 2 Kronen. Ich muss jede Woche einmal nach Prag fahren. Die Fahrtkosten betragen, obwohl ich noch zusätzlich 3 Stunden zu Fuss gehe, noch immer 2,40 Kronen. Die Fahrt nach Prag und der Brief an Dich machen zusammen Kronen 4.40. Da bleiben mir 60 Heller, um mir 6 der schlechtesten Zigaretten für 10 Tage zu kaufen.
Du wirst nun verstehen, daß es mir verdammt schwer fällt, für noch etwas anderes aufzukommen, so gerne ich es auch tun möchte.
Ich hoffe, daß diese Lage nicht andauert, und ich das Versäumte nachholen kann. Klär bitte Mitzi entsprechend auf, und ich hoffe, daß sie mir dann nicht mehr so böse sein wird. Ich habe heute noch immer eine Karte an sie hier liegen, die ich im Juli während der Olympiade geschrieben habe. Ich war bis heute nicht in der Lage, sie abzusenden.
Was alles andere, noch ausständige anlangt, so trachte ich, selbes 100% zurück zu erstatten. Ich lege diesem Schreiben ein Photo von mir bei. Hoffentlich gefällt Dir diese Aufnahme. Obwohl es das erste Foto von mir mit Brillen ist.
Ich hoffe Du denkst noch immer von mir, wie Du damals auf der Hungerburg von mir gedacht hast.
Wie steht es mit Sepp. Kommt er wieder einmal herüber, bitte sei so gut und gib mir davon 14 Tage vor seiner Abreise Kenntnis.
Er wird mir einen Dienst erweisen können. Doch davon später.
Morgen erwarte ich Besuch aus Prag und werde wahrscheinlich näheres über meine Weiterreise erfahren.
Ich werde Dir umgehend davon berichten. Gestern sind aus unserem Lager wieder 10 Personen nach Moskau abgereist. Ich gab ihnen ein Schreiben an Kettner, der nun auch dort ist, mit.
Wie geht es Vater ? Hoffentlich besser. Ich wünsche ihm alles beste zur Genesung. Was macht Schwiegermutter ? Sie wird wohl mit dem kleinen Harald genug zu tun haben. Hoffentlich ist sie gesund und wohlauf. Hoffentlich wird ihr die lange Zeit der Ungewissheit nicht zu lästig.
Hat bei Dir schon jemand wegen der Unterstützung vorgesprochen ? Hast Du in diesem Zusammenhang irgendein Schreiben erhalten. ?
Was machen Franzl und Seppl ? Wie geht es Ihnen ? Wie geht es Steffi? Ist sie auch so böse auf mich wie Mitzl ?
Was macht mein kleiner Harald. Ist er doch gesund, wenn er so übermütig ist, wie Du schreibst. Wir haben hier im Lager nun auch so einen kleinen Knirps. Er ist der Liebling aller jener, denen er als Ersatz gelten muss. Möchte Harald schon gerne wieder einmal sehen, wird leider noch einige Monate dauern, bis dies der Fall sein wird.
Ich tröste mich damit, daß er doch in guten Händen ist, und daß er es noch nicht versteht, in welch unangenehmer Lage wir uns zur Zeit befinden.
Doch langsam und sicher gehen wir einer neuen Zukunft entgegen. Das muss uns Kraft geben, aus- und durchzuhalten. Es soll für uns ein Frühjahr werden, so wie wir es uns nie gedacht haben.
Könnte ich Dir nur alles schreiben, was wir hier über Russland lesen, Du würdest Augen machen, wie noch nie. Doch muss ich dies unterlassen.
Du wirst selbst noch Gelegenheit genug haben, davon nicht nur zu lesen, sondern auch zu sehen und mit zu erleben, als eine, die in dieses Getriebe mit hinein gehört.
Wir werden uns diesem neuen Leben ganz leicht anpassen können und uns schnell darin einleben.
Was ist mit Deinem Foto und dem von Harald. Möchte beides bald in Händen halten. Möchte schon gern sehen, wie gross und stark unser Liebling nun ist, und möchte auch gerne sehen, ob Du die Gleiche bist ?
Auch in Deinem letzten Schreiben musstest Du wieder das letzte Wort haben, Du süsser Dickkopf.
Wenn ich Dich nur so bei mir hätte, dann würdest Du keine Zeit haben zum letzten Wort. Da würd ich einmal reden.Verstanden! Hoffentlich schreibst Du mir nicht wieder, daß Du von lieben Worten nicht herunterbeissen kannst.
Ich wäre froh, einmal von Dir wirklich liebe Worte zu hören,wenigstens davon zu lesen, aber Du bringst es scheinbar nicht übers Herz.
Kurz und gut, ich warte auf ein entsprechendes Schreiben von Sepp oder auf eins aus Wien. Und natürlich sehnsüchtig auf ein liebenswürdiges Schreiben von Dir.

Es grüsst Deine Eltern und Dich tausendmal und küsst Dich sowie Harald ebenfalls tausendmal

Dein Josef

***

Zbraslav, 7.Nov.1934

Liebste Elly,
Harald und Eltern !

Liebes Wuschile, habe Dein Schreiben und die Fotos mit grosser Freude erhalten. Ich bin sehr überrascht, daß Harald schon so gross ist. Weisst du, Elly, wenn man so einen Knirps so lange nicht sieht, dann merkt man erst, wie gross er geworden ist. Das ist jetzt mit Harald der Fall. Ich sehe immer nur das Bild vor mir, das letzte. Du hältst Harald noch auf dem Arm.Und nun schickst du mir eine Aufnahme, die zeigt, wie der kleine Mann schon aus eigener Kraft in Rottenmann spazieren geht.
Du wirst diese Veränderung ja doch nicht so wahrnehmen, da du Harald ja immer um dich hast., bei mir ist das wesentlich anders.
Von Sepp habe ich bis heute kein Schreiben erhalten. Ich erwarte jeden Tag seine Ankunft. Ich habe ohnedies wieder sehr viel mit ihm zu besprechen.Weiters ist es schon ziemlich sicher, daß ich um den 21. oder 22.November von hier abreisen werde. Wohin weisst du ja. Alles näher werde ich mit Sepp besprechen.
Gestern war ich wieder bei Onkel Emil in Prag. Er möchte unbedingt, daß du bei ihm wohnst. Du wirst deine Reise in Prag wohl für ein paar Tage unterbrechen und warten müssen. Das wäre dann für dich von Vorteil. Du wirst bei ihm auf alle Fälle vorzüglich aufgehoben sein. Ich zeigte ihm die Fotos von dir und Harald . Er ist begeistert von euch beiden.
Er wird dich in Prag hier am Wilsonbahnhof abholen. Heb dir seine Adresse gut auf. Auf jeden Fall findest du in ihm einen Menschen, dem du vollkommen vertrauen kannst, und der dir mit Rat und Tat sehr gerne beistehen wird.
Alles andere werde ich noch mit Sepp genaustens besprechen. Ich bin überzeugt, das auch er dir gern an die Hand gehen wird, und das alles gut verlaufen wird.
Ich schreibe dir heute schon in diesem Sinne, da es ja dann durch die weitere Entfernung wesentlich schwieriger sein wird.
Es wird auch längere Zeit beanspruchen, bis wir wieder eine regelmässige Verbindung herstellen können.
Mein nächstes Schreiben wird auch einige Zeilen von Onkel Emil enthalten, damit du wenigstens brieflich mit ihm Bekanntschaft machst. Über alles andere Notwendige werde ich dir noch genaustens Bescheid sagen, auch in Hinblick auf die verschiedenen Einkäufe in Prag. Durch meine Abreise kommen wir unserer Zukunft nun ein grosses Stück näher und ich hoffe auch, daß du mit mir zufrieden sein wirst, wenn der Tag kommt, an dem wir uns nach so langer Zeit wieder sehen werden.

Nachsatz an die Schwiegereltern

Da ich noch diesen Monat meine Reise in die neue Zukunft, in ein neues Leben antreten werde, möchte ich doch darüber reden, das mir Elli und Harald nachfolgen werden. Eine nähere Erläuterung wird nicht nötig sein. Aber es ist doch so , das ihr durch meine Reise in ein neues Leben von eurem Kinde Abschied nehmen werdet.
Bitte seid mir nicht böse. Denn das es so kommen würde, an das hatten wir doch nicht denken können. Es ist eben ein Stück Schicksal und ich bitte mir diesen Raub zu verzeihen Als Gegenleistung kann ich euch leider nur sehr wenig bieten. Die einzige Gegenleistung kann nur mein Versprechen sein, für Elli und den kleinen Harald so zu sorgen, daß sie glücklich sein werden.
Ich wünsche mir, das wir alle einander verbunden bleiben, wenn uns auch einige tausend Kilometer trennen.

***

Zbraslav, 31.12.1934

Liebste Elly und Harald,

dein Schreiben heute mit bestem Dank erhalten und erwidere ebenfalls die herzlichsten Glückwünsche zum Jahreswechsel und gebe der Hoffnung Ausdruck, daß das neue Jahr uns wieder in ein geordnetes Leben bringen wird.
Nun, so wollen wir mit dem Alten schliessen und alles Unangenehme mit dem Tag der Jahreswende begraben.
So wie das neue Jahr seinen Eintritt hält, so wollen wir von mir aus nur in das "Neue" schauen und uns nur mit dem befassen, das uns und der gesamten Menschheit zum Wohle reichen soll.
Was deinen Wunsch anlangt, kannst du versichert sei, daß ich alles daran setzen werde, um uns so rasch als möglich ein frohes Wiedersehen zu bereiten. Vorausschicken muss ich jedoch, daß nicht ich allein massgebend bin, daß ich selbst zum grössten Teil auf die Unternehmungen anderer angewiesen bin.
Versuche einen Pass zu erhalten, unter dem Vorwand Verwandte in der CSR zu besuchen. Gib Harald Bussis von mir, leider bin ich dazu selbst nicht in der Lage.
Wie´s mir geht?. Nun darüber will ich dir lieber nichts sagen , nur so viel, Essen genug, Wohnung warm und schön. Alles andere müssen wir vermissen. Unsere Lage erlaubt nicht darüber hinaus zu denken.
Der Weihnachtsabend war vollkommen ernst gehalten, es wurde von mir und meinen Kollegen selbstgeschriebenes rezitiert. Zu Weihnachten erhielt jeder ein Hemd, ein paar Socken und ein paar Knickerbokerstrümpfe.
Am Christag veranstalteten wir unseren dritten bunten Abend, der uns sehr gut gelang. Trotzdem kam in keinem von uns die rechte Weihnachtsstimmung auf. Dir wird ja auch nicht anders zumute gewesen sein.
Hoffen wir, daß die nächsten Weihnachten uns entschädigen werden und die Entbehrungen der letzten vergessen machen.

Also Mut Elly, und durchhalten



Gabriele Koppelhuber † 1934

Briefe an die Schwiegereltern

Zrbaslav, 31.1.1935

Liebe Eltern,

bitte verzeiht mir, wenn ich erst heute an euch schreiben kann. Ich wollte vermeiden, eine Wunde, die mir und euch gerissen wurde, noch weiter zu öffnen.
Nur einer ist imstande mich nach all dem Erlittenen aufrecht zu erhalten. Das ist mein kleiner, armer Harald.
Er ist es, der meine Liebe zu Elly verkörpert, er ist es, der mir die Kraft gibt, alles ertragen zu können.
Ihr wisst ja, was mir Elly war,und durch Ihn soll sie mir immer sein. Unser glücklicher Traum ist aus, Und wäre nicht der kleine Harald Zeuge dieses Traums, müsste ich an der Wirklichkeit verzweifeln.
Wachgerüttelt durch die Tatsache, daß es eben nur ein Leben gibt. dem kann man nicht ausweichen. Täuschen wir uns nicht. Wir können daran nichts ändern, sondern es nur erdulden.
Wir haben wenig Sonnenschein in unserem Leben. Wir gehören zu einer Klasse von Menschen, die sich nicht durch Reichtum Sonnenschein fürs Leben kaufen kann. Wir gehören zu den Menschen, die gezwungen sind , ihr Leben lang zu dulden und das ihnen Aufgebürdete zu tragen.
Weil ich aber mithelfen wollte, diese Last, die dem Arbeiter aufgebürdet wurde, zu beseitigen, hat mir das Leben übel mitgespielt.
Nun erst recht will ich meinem Kampf treu bleiben, wenn ich auch die Früchte dieses Kampfes nicht geniessen kann, so sind aber doch nach uns Menschen, die leben wollen. Ohne Bürde, ohne Last. Das herbei zu führen soll mein künftiges Streben in meinem verpfuschten Leben sein. Harald soll mehr Sonnenschein in seinem Leben haben, als uns es gegönnt war. Das ist die Kraft, die meinem Leben den Weg weisen soll.
Aus Liebe zu einem Menschen, der nun nicht mehr ist, habe ich alles aufgegeben, habe mit denen gebrochen, die die meinen sein sollte, und nun steh ich allein da . Weit weg von euch, die ihr dieselbe Schwere zu tragen habt.
Ich habe eine Bitte an euch. Bleibt von nun an auch meine Eltern. Wenn ich auch das nicht ersetzen kann, was so grausam von uns gerissen wurde, so will ich doch wenigstens etwas beitragen, um euch über diesen Schmerz hinweg zu helfen.
So wie Elly zu mir gehört, will ich zu euch gehören, denn nichts brauche ich notwendiger nach all dem Vorhergegangenen, wie Menschen, mit denen ich mich aussprechen kann, dazu brauche ich Euch , liebe Eltern.

***

Zbraslav, 9.2.1935

Liebe Eltern,

herzlichen Dank für euer Schreiben. Auch aus Wien kam ein Schreiben von Steffi. Ich empfinde immer wieder ungeheure Freude, wenn ihr von meinem kleinen Sohn berichtet. Wenn auch eine nicht verheilende Wunde zu bluten beginnt, wenn ihr schreibt, das Harald Mama sagt, wenn er einen Gegenstand Ellys zu Gesicht bekommt.
Diese Zeilen gehen mir ins Innerste, trotzdem sehne ich mich danach, da sich immer mehr Freude mit dem Schmerz mischt.
Diese Wunde wird und soll auch nie verheilen.
Man kann vergessen, ja das stimmt, vergessen aber nur nach aussen hin.
Das Liebste auf so tragische Weise verlieren, das bleibt eine Wunde.
Liebe zu einem Menschen, den ich verloren habe und Hass gegen einen, der mir auch dieses Glück nicht gönnen wollte.
Wenn ihr mir schreibt, daß mein Vater es nicht einmal der Mühe wert gefunden hat, eine Beileidsbezeugung an euch zu richten, kann ich nur Hass gegen ihn empfinden.
Ich bin zwar überzeugt, daß auch er einmal anders denken wird, aber für uns kommt dies zu spät. Ich habe mich damit abgefunden, das mein Vater in meinem Leben nichts mehr bedeuten wird.
Traurig ist, daß er vorgibt, das zu sein, was ich bin und deswegen ich heute so weit weg von meinem Sohn, weit weg von meiner Familie das Dasein fristen muss.
Nur die Hoffnung auf eine bessere Zukunft, der mein Kampf gilt und der Glaube an meinen Sohn hält mich auf den Beinen und hält mich an, fortzusetzen, was ich begonnen habe.
Habt ihr das Schreiben von meiner Heimleitung erhalten ? Wenn wieder einmal eine Unterstützung von irgend einer Seite an euch gelangt, bitte auf keinen Fall den Adressaten nennen.
Sollt der alte Kollege Vikar euch wieder besuchen, herzliche Grüsse an ihn.
Ich muss es leider bleiben lassen, ihm zu schreiben, da ich sonst mit den Portospesen nicht zu Rande komme.
Um mich macht euch weiter keine Sorgen, ihr habt selbst schwer genug zu kämpfen.
Ich bin euch ohnedies von ganzen Herzen dankbar, da ich doch meinen Sohn in guten Händen weiss.
Über meine Weiterreise werde ich euch auf dem laufenden halten.
Sendet das beigelegte Schreiben an meinen Vater. Wenn er nicht darauf reagiert. Mein mir zustehender Anteil soll auf Harald übertragen werden, und wenn dies nur mit Hilfe der Gerichte möglich ist. Ihr solltet mir behilflich sein und Verbindung zu einem Rechtsanwalt aufnehmen.

Brief an den Vater

Zbraslav, 9.2.1935

Herrn Josef Koppelhuber
Gastwirt in Bruck an der Mur

Vater !
Ich weiss nicht, ob du von dem tragischen Fall der mich und meine Schwiegereltern so schwer getroffen hat, bereits Kenntnis hast. Ich glaube nicht, daß du darüber so hinweg gehen kannst, wie bisher.
Mir zu helfen ist nun nicht mehr notwendig. Ich möchte trotzdem noch eine Bitte an dich richten. Obwohl ich mich bereits an deine Absagen gewöhnt habe, trete ich nochmals an dich heran.
Ich möchte dir folgendes vor Augen führen. Ich bin als Gatte verpflichtet, für die Kosten des Begräbnis meiner liebsten Elly aufzukommen.
Wenn du schon mir nicht helfen wolltest, so bitte ich dich, wenigsten meinen Schwiegereltern die durch den tragischen Fall entstandenen Kosten zu ersetzen.
Dies ist die letzte Bitte, die ich an dich richte.

Briefe an die Schwiegereltern

Zbraslav, 16.3.1935

Liebe Eltern,

ihr fragt mich, wie mein Ausspruch, ich hätte Elly nicht in alles eingeweiht gemeint sei.
Ich kann dazu nur sagen, daß es nicht mit finanziellen Fragen in Zusammenhang steht. Die Dinge, die ich vor Elly geheimhielt, waren politischer Natur, und das kann ich leider nicht genau und verständlich klarlegen.
In der Angelegenheit des mir zustehenden Erbteiles, bin ich ebenso überrascht wie ihr, daß mein Vater alles seiner neuen Gefährtin überschrieben hat.
Ich habe auch Nachrichten aus Bruck erhalten, mein Vater ist offensichtlich nicht mehr Herr in seinem Haus. Ich bin zwar nicht rachsüchtig, aber irgendwo gönn ichs ihm.
Ich kann ihm nicht verzeihen, daß er Elly auf die Strasse gesetzt hat. Er hat mir den Kampf angesagt und ihr könnt versichert sein, daß ich diesen bis zum Ende führen werde.
Ich bedaure nur, daß er sich einmal als Sozialist gegeben hat.
Mir sind hier die Hände gebunden und ich bin in eine schwierige Lage geraten.
Ich bin mit sechs Genossen aus der Fürsorge ausgeschlossen worden.
Der Ausschlussgrund ist kommunistische Propaganda.
Das soll euch nur zeigen wie es die alten SP Bonzen tatsächlich mit der Einheitsfront meinen.
Trotzdem werde ich meine Angelegenheit gegen meinen Vater weiter betreiben.
Denn ich kann von euch nicht verlangen, daß ihr auch diese Belastungen tragen sollt. Zur Zeit sieht es jedoch so aus, als ob ihr in den sauren Apfel beissen müsstet.
Ich habe auch mit der SP in Brünn über mein Problem gesprochen und sie haben mir Unterstützung zugesagt. Sogar Dr.Otto Bauer hat mir Hilfe zugesichert.
Doch auch er scheint mir nur zu reden.
Diese Herren sind überhaupt ihr Geld wert. Sie glauben immer noch, daß sie ihre alten Mätzchen weiterführen können.
Aber sie werden sich gründlich täuschen. Mit ihnen wird noch gründlich abgerechnet werden.
Das spüren sie schon. Deswegen werfen sie alle aus der Fürsorge, die nicht ihres Sinnes sind und mit ihren Theorien nicht einverstanden sind.
Über dieses Thema werde ich später noch ausführlicher berichten. Es schadet nicht, wenn man auch in Österreich erfährt, wie hier die Situation zwischen den Februarkämpfern und den gewesenen Führern ist.

***

Saaz,17.August.1935

Liebe Eltern,

Dies ist mein vierter Versuch, um mit euch wieder in Verbindung zu kommen. Ich kann mir nicht erklären, wo das Hindernis liegt. Ich bin derzeit in Saaz bei Bekannten und erhielt hier eine Mitteilung über eure Anfrage. Ich schreibe nun aus Saaz und hoffe, daß die Verbindung wiederhergestellt ist.
Eure Briefe richtet bitte an folgende Adressse : Josef Müller, Zbraslav N0.160 bei Prag C.S.R. Weiters möchte ich euch noch folgendes mitteilen:
Seit 22.Juni bin ich aus der Fürsorge der S.P. ausgeschlossen, bin trotzdem noch im Zbraslaver Lager. Wenn ich Gewissheit erlangt habe, daß unsere Verbindung wieder funktioniert, werde ich genaustens darüber Auskunft geben, und ihr werdet staunen, wie es hier bei uns in Wirklichkeit aussieht und zugeht. Dadurch, daß ich eben nicht mehr in Unterstützung stehe, bekomme ich auch nicht mehr die 5 Kronen Taschengeld und muß immer auf eine günstige Gelegenheit passen, damit ich wieder zu ein paar Kronen komme, umgekehrt aber weiß ich, daß ich von euch nicht mehr Opfer verlangen kann, als ihr ohnedies leider bringen müßt.
Ich muß euch jedoch bitten jedem eurer Briefe einen Weltpostschein beizulegen, damit ich euch umgehend antworten kann.
Nun zu allem anderen: Wie geht es meinem kleinen Jungen, der wird nun schon ein großer Junge sein, und ich bin froh, ihn in eurer Obhut zu wissen. Ich habe große Sehnsucht nach meinem Harald. Weiters will ich an euch die Frage richten, ob ihr von irgendeiner Seite eine Unterstützung erhält. Mir wurde solches von zwei Seiten zugesagt, bekam jedoch bislang keine entsprechende Bestätigung von euch. Wenn ihr bislang nichts erhalten habt, müßte ich neuerdings intervenieren. Auch Otto Bauer hat Hilfe für euch zugesagt, dies war schon im Februar der Fall. Weiters bitte ich , mir meine bei euch liegenden Dokumente , da ich dieselben noch benötigen werde. Insbesonders den Heimatschein. Vielleicht ist es mir dann doch möglich, einen Paß zu erhalten. Dies wäre ein großer Vorteil für mich. Meine Abreise nach Rußland hängt davon ab. Mit Paß wäre diese Frage schon lange bereinigt. Ich hoffe auf eine günstige Lösung noch diesen Monat.
Leider kann ich nicht so ausführlich schreiben wie ich will, werde aber alles bei günstiger Gelegenheit nachholen. Derzeit bin ich mit Arbeit überhäuft, deshalb auch mein Ausschluß aus der Brünner S.P Fürsorge. Macht euch aber keine Sorgen um mich, ich werde mich schon durchringen. Ich stehe nicht alleine und bin gerne bereit, dieses momentane Opfer auf mich zu nehmen. Ich bin der Überzeugung dieses nicht umsonst zu bringen.
Die Zukunft wird halt doch uns gehören.
Wie geht es Steffi, Mitzl, Seppl und Franzl ?. Habt ihr eine Ahnung wie es mit Deutschmann steht ? Ist der Mann noch verläßlich ? Dann laßt ihn von mir bestens grüßen, sonst aber nicht !.
Wie es in Österreich aussieht, darüber bin ich ohnedies bestens informiert ! Wie es hier aussieht, darüber werde ich euch in nächster Zeit berichten und vielleicht könnt ihr so manches davon im Interesse meiner Sache gebrauchen.
Mein Alter in Bruck wird ja ohnedies nichts hören lassen, nur schade, daß ich ihm heute noch nicht an den Kragen kann. Aber die Zeit wird kommen und dann wird Abrechnung gehalten. Auf das kann er sich verlassen, mitsamt seiner neuen Gemahlin, die ihn ohnedies schon ganz im Sack hat.

Grüßt mir alle Treuen, was ich auch bei Gollesch voraussetze. Für uns gibt es nur mehr einen Weg und der ist gerade, nicht mehr so krumm wie bei Bauer, Deutsch, Robinson und wie die Verbrecher alle heißen. Ein Weg ist unsere Zukunft und das ist der Weg des Ostens !. Alles andere ist Betrug an der werktätigen Masse des Proletariats. Aber nur vorwärts, die Zukunft wird unser sein, das ist mein Weg und den werde ich zu Ende gehen.

Nun tausend Grüße und Küsse
Grüßt mir meinen Jungen tausendmal
Grüße an Familie Gollesch

Innigste Grüße dem Ort, in dem das Liebste, das ich je besessen, Haralds Mutti Elly schlummert.

Der Tag wird kommen, wo auch ich
werde rote Rosen auf ihr Grab legen können
dies wird der Tag der Freiheit sein.

***

Zbraslav, ohne Datum

Liebe Eltern !
Lieber Harald !

Es ist dies der letzte Brief, den ich nun an euch aus der C.S.R. sende. Ich glaube nun alles wesentliche mit Abschluß dieses Schreibens euch mitgeteilt zu haben. Alles andere dann aus meiner neuen Heimat. Wie lange es dauern wird, bis wir uns wiedersehen, kann ich leider nicht sagen, und ich würde mich freuen, euch dann bei voller Gesundheit anzutreffen. Seid mir nicht böse, wenn ich heute mit einigen Zeilen aufwarte, die euch nach meiner Anschauung nicht besondere Freude bereiten werden. Aber ich hoffe, daß ihr mich in dieser großen Angelegenheit verstehen werdet, und mich bei diesem meinen letzten Wunsch und Bitte, die ich an euch richte, bestmöglichst unterstützen werdet.
Es wird zwar noch längere Zeit dauern, bis es zur Durchführung dieses meines Wunsches kommen wird. Ich möchte euch jedoch heute schon darauf vorbereiten.
Ich bin mir vollkommen darüber im Klaren und überzeugt daß Harald in euren Händen in den besten Händen ist.
Trotzdem habe ich den Wunsch, euch den Jungen, so schwer es mir auch fällt, zu entreißen. Ich kann euch versichern, daß dies in einer Form geschehen wird, die auch euren Absichten entspricht und der Junge im Sinne seiner Großeltern erzogen werden wird, und daß er einmal mit Freude seine Lieben in der Heimat aufsuchen und finden wird.
Leider ist mir der große Traum vom Glück, den ich noch vor einem Jahr geträumt habe, durch das Schicksal der Zeit vernicht worden, und hat in euch und in mir eine nie verheilende Wunde gerissen. Gerade deswegen ist es mein brennendster Wunsch, meinem Jungen eine bessere Zukunft, eine Zukunft des Glücks zu bieten, die seiner Mutter leider nicht mehr gegönnt war.
Meine Abreise in ein neues Land, eine neue Zukunft steht in den nächsten Tagen bevor. Ich habe die feste Absicht, meinen Jungen in dieses Land nachkommen zu lassen. Der Grund dieses Entschlußes ist ein überaus weittragender, und ich bin überzeugt davon, daß es in diesem neuen Land, das die Zukunft der ganzen Welt bedeutet, auch eine Zukunft für unseren Harald geben wird, eine Zukunft und ein Leben, um das ihn tausende mit Recht beneiden werden. Den nirgends sonstwo auf der Welt sind einem Menschen, wenn er im Sinne der neuen Gesellschaftsordnung erzogen wird, die Tore derart weit geöffnet wie in diesem Land. Ich bin heute schon davon überzeugt, daß diese Lösung die für ihn beste ist.
Aus meinem Jungen wird einmal ein Mann werden, wie man ihn braucht. Einer der das weiterführen wird, das wir begonnen haben. Um das weiterzuführen, woran uns das Schicksal gehindert hat. Er wird einer sein, der am Glück der Menschheit teilhaben und die Freiheit im wahrsten Sinne des Wortes selbst miterleben wird. Er wird durch die Schule der Freiheit und des Lebens gehen und wir werden alle einmal mit Stolz und Freude auf unseren Jungen blicken können. Und das gibt mir Mut.
Ihr könnt also unbesorgt meinem Wunsch entgegensehen und darauf vertrauen, daß für Harald das Beste geschieht.
Alle anderen technischen Fragen wird die Zeit mit sich bringen. Die Übersiedlung wird in unbedingter Verläßlichkeit stattfinden, denn ich weiß genau, welcher Vorbereitungen es bedarf und ich werde diessselben auf das gewissenhafteste durchführen.
Ich will euch heute schon klaren Wein über meine zukünftigen Absichten einschenken. Doch es wird noch einige Zeit in Anspruch nehmen.
Ich bitte euch, mir wegen dieses Wunsches nicht gar zu böse zu sein. Denkt immer daran, daß ich sein Vater bin und ihr werdet mich ganz bestimmt verstehen.
Nun ihr werdet ohnedies bald wieder von mir hören, und ich werde euch ausführlich darüber berichten, wie es mir geht und über das Neue und Interessante berichten, soweit ich es schreiben kann, ohne euch zu gefährden.
Nun meinem Harald tausend Küsse, er soll nur so weiterschreiben, dann wird er bald seinem Papa selber schreiben können, der gute Junge. Vielleicht kann ich ihn schon im Frühjahr sehen, wenn die kalte Zeit vorüber ist. Ich werde einen schönen Platz für ihn im Sowjetreich aussuchen, vielleicht am schwarzen Meer, in der schönen Krim, auf der frühen nur die Zaren gehaust haben und nun die Arbeiter Erholung finden, wenn sie von der Arbeit des Aufbaus übermüdet sind.

Die besten Grüße und Küsse und bleibt mir alle gesund.



Post aus Moskau 1935; Hotel Baltschug, Zimmer Nr: 61



Moskau, 1.9.1935

Liebe Eltern !
Lieber Harald !

Bin nun endlich in Moskau gelandet, vorgestern den 31.10.1935. Ich kann leider heute noch nicht ausführlich über alles berichten, sondern nur meine ersten Eidnrück vermitteln. Die Fahrt von der russischen Grenze bis Moskau war ein großes Erlebnis, das mich überraschte. Schnellzug, Speisewagen, Schlafwagen und Verpflegung waren sehr gut und ich fühlte mich schon nach der Grenzüberschreitung wie zuhause.
Nun bin ich beinahe 3000 km von euch und der Heimat entfernt und bin heute schon überzeugt, daß ich nun hier in der UdSSR meine zweite Heimat gefunden habe. Am Bahnhof wurden wir erwartet. Von da fuhren wir mit einem Bus in unser Quartier. Es dies ein großes Hotel mitten in der Stadt, die beinahe schon 5 Millionen Einwohner zählt. Hier gibt es keine Arbeitslosenfrage, alles arbeitet und schafft an dem großen Plan, den Sowjetstaat als ersten sozialistischen Staat dieser Welt auszubauen. Überall in Westeuropa und Amerika stehen die Staaten in einer sogenannten Weltkrise. Man sieht nichts als Arbeitlose vor den Ämtern, leere Geschäftshäuser, da die Kaufkraft der Massen von Tag zu Tag sinkt, man hört immer wieder von Verteuerung der Lebensmittelpreise. Hier in der UdSSR ist gerade das Gegenteil, wo man hinschaut wird gebaut. Ich möchte nur eine kleine Episode erzählen. Gestern kaufte ich mir in einer Trafik Zigaretten. Heute war diese Trafik nicht mehr zu finden, da man an dieser Stelle die Strasse erweitert, und dieses Trafikhäuschen im Wege stand. Kurz und gut, ich mußte eine andere Trafik aufsuchen, denn alles was dem Aufbau und dem Ausbau im Wege steht, wird weggeräumt. Derzeit arbeitet man gerade an einem Verbindungskanal Moskau Wolga und in diesem Projekt sind mehr als 10 000 Arbeiter beschäftigt. Junge Mädels und Frauen arbeiten hier mit Kompressoren. Es gibt keinen Stillstand, alles ist Tempo und man kommt aus dem Staunen nicht heraus. Im Personentransport besteht allerdings ein Mangel, die Straßenbahnen sind zum Bersten voll. Umgekehrt ist das allerdings wieder ein Zeichen, das eben alles hier verdient. Ein Erwerbsloser in Wien, Berlin, Paris usw. kann eben nicht mit der Strassenbahn fahren. Der Fahrpreis beträgt für Kurzstrecken 10 Kopeken, für lange Strecken 20 Kopeken und das ist für die hiesigen Verhältnisse, soweit ich sie kenne, billig.
Nun, dies sind meine ersten Eindrücke aus der Sowjetunion. Ihr habt keine Ahnung, wie schwer man hier zum Schreiben kommt. Im nächsten Schreiben mehr, es ist bereits 1/2 2 Uhr nachts, und auf den Straßen noch immer das gleiche Bild.

Tausend Grüße und Küsse an euch alle Euer Josef

***

Moskau, 15.11.1935

Liebe Eltern !
Lieber Harald !

Nun ist der 7.November vorüber und ich komme nun wieder leichter zum Schreiben. Der 7.November als Revolutionsfeiertag war für mich ein Erlebnis, wie ich es mir wuchtiger nicht vorstellen kann. Ich nahm selbst am Aufmarsch teil und konnte daher selbst nicht allzuviel sehen. Nur im Vorbeimarsch am Roten Platz konnte man erst einen Teil dieser grandiosen Feier selbst miterleben. Acht Kolonnen in acht Reihen marschierten auf einmal über den großen, festlich geschmückten Platz am Lenin Mausoleum und vor der Tribüne an Stalin, Woroschilow, Kalinin u.s.w. vorbei. Insgeamt zogen 1.750.000 Menschen über den Roten Platz. Näher darüber zu schreiben ist mir gar nicht möglich, denn dazu würde ich ein ganzes Buch ausfüllen können. Von der roten Armee sah ich selbst nur einen kleinen Teil der Artillerie und war begeistert davon. Schon am Vortag war ganz Moskau in Festbeleuchtung und auch dieses Bild und der Eindruck den dies alles auf mich machte, läßt sich gar nicht beschreiben. Ich kann nur in kurzen Worten sagen, ich bin glücklich dieses Fest miterlebt zu haben.
Der Sozialismus marschiert, und keine Macht der Welt wird im Stande sein, seinen Weg aufzuhalten. Denn er ist eine Naturnotwendigkeit, wenn die Menschheit aus Krise, Not, Elend und Krieg heraus will in eine bessere Zukunft. Was hier geleistet wurde, das ist eben nur ein sozialistischer Staat im Stande, wenn man bedenkt, daß Russland in kultureller Beziehung um 100 Jahre allen anderen Staaten zurück war. Heute ist bereits alles aufgeholt, und speziell in Technik und Heer steht Rußland mit seiner Roten Armee bereits an erster Stelle. Nicht umsonst hat das russische Volk bittere Jahre des Bürgerkriegs, der Not und Opferbereitschaft durchgemacht, heute schon zeigt sich der gewaltige Erfolg in jeder Beziehung. Keine Arbeitslosigkeit, Aufbau und wieder Aufbau in einem solchen Tempo, daß es kaum möglich ist, den Dingen zu folgen. In zehn Jahren soll Moskau die modernste und schönste Stadt der Welt sein. Wenn man aber alles hier richtig sieht und beobachtet, so hat man nicht nur das Gefühl, daß es Wahrheit werden wird, sondern auch die Überzeugung, daß dieses große Werk schon viel früher beendet sein wird. Insbesondere die neue Untergrundbahn ist ein Meisterwerk der Kunst und der Technik, und kein Großstadt der Welt hat so etwas prachtvolles aufzuweisen. Die Bahnhöfe, die tief unter der Erde liegen, sind jeder einzelne allein schon ein Prachtwerk, jeder mit Naturmarmor in den verschiedensten Farben ausgebaut. Man denkt gar nicht daran, daß man unter der Erde ist.
Die Waggons sind erstklassig ausgeführt und haben automatisch schließende Türen. Der Fahrpreis beträgt den minimalen Betrag von 30 Kopeken, das sind ungefähr 25 Groschen. Die Straßenbahntarife, 10 und 15 Kopeken, sind äußerst niedrig gehalten und die Straßenbahnen sind deswegen auch jederzeit überfüllt. Es ist jedem Mensch möglich damit auch zu fahren.
Die Lebensmittelpreise sinken von Woche zu Woche und heute bekommt man hier schon alles, was zum Leben nötig ist. Nur Luxusartikel sind überaus hoch gehalten, was auch richtig ist. Im allgemeinen kennt man an einem freien Tag ( jeder sechste Tag in der Woche ) keinen Unterschiede mehr, ob man in Wien, Prag oder Moskau ist. Wein und Bier sind hier teure Getränke. Dafür bekommt man billig erstklassige alkoholfreie Getränke und Obst, soviel man nur will. Um 1 Rubel feinstes Tafelobst, wie man es bei uns nur in den feinsten Restaurants sieht.
Man sieht Schlangen von Menschen bei den Zeitungsläden stehen. Bücher und Zeitungen sind hier sehr billig, die Zeitung kostet 10 Kopeken und ist sehr interessant und lehrreich gestaltet. Gestern war ich auch das erstemal hier im Kino, für die Verhältnisse hier muß man direkt Tonfilmpalast sagen. Das Tonkino heißt "Udarnik" (Brigadier) und ist das schönste Kino, daß ich bisher gesehen habe. 1.50 Rubel beträgt der Preis für einen vorzüglichen Platz. Zuerst kommt man in eine Garderobe, dann in einen Varietesaal, in dem eine erstklassige Jazz Kapelle konzertiert und eine Stunde lang Tänzer, Tänzerinnen, Artisten, alles erstklassige Kräfte, auftreten. Nach diesem Vorspiel beginnt der Film. Über große, breite Marmortreppen geht man dann einen Stock höher in den Kinosaal. Dieser Saal faßt meiner Schätzung nach etwa 1500 Personen und ist zweckmäßig ausgestattet. Hier sind Kinos nicht auf Profit ausgerichtet. Es gibt Sitzreihen mit breiten Klappstühlen und man braucht nicht aufzustehen, wenn ein anderer durch die Reihe gehen will. Die Tonfilmapparatur ist die beste, die ich bisher gehört habe. Wenn man vom Konzertsaal einen Stock tiefer geht, kommt man in einen Tanzsaal, in dem erstklassige Nationalmusik, Jazz und Walzermusik gespielt wird. Die Kinos sind ab acht Uhr früh geöffnet. Man kann sich um 1 Rubel fünfzig glänzend unterhalten. Die letzte Abendvorstellung beginnt um 11 Uhr nachts und dauert bis 4 Uhr früh. Das Kino dient der Erholung, und man bekommt wirklich etwas zu sehen. Ein Programm läuft hier 14 Tage, manchmal auch drei Wochen und die Vorstellungen sind immer bis zum letzten Rest ausverkauft.
Ich habe mir einen Vortrag über die Rekonstruktion Moskaus angehört. Im kommenden Jahr beabsichtigt man hier 150 neue Schulen modernster Art zu bauen. Bis 1937 sollen 500 Schulen fertiggestellt werden. Das ist noch das geringste, das im Plan enthalten ist. Jeder Plan wird bis zur festgesetzten Zeit fertiggestellt und erfüllt. Die bestehende Zahl der Autotaxis, zur Zeit, wird im nächsten Jahr auf 5000 erhöht werden. Die Straßenbahnlinien werden in den nächsten Jahren um 100 km ausgebaut werden.
Also Aufbau, und wieder Aufbau zum Wohle der Menschheit.
Nun will ich mein Schreiben wieder schließen und hoffe daß ihr in Österreich auch recht bald glücklich werdet, wie ich es hier in der Sowjet Union bin.
Hoffentlich seid ihr alle gesund . Bitte sendet mir noch ein paar Fotos von meinem kleinen Jungen ( einige vom November vorigen Jahres, wo er mit zerzausten Haaren auf der Straße steht ). Ich hoffe ihn bald zu sehen.
Vor Februar werde ich ja kaum in Arbeit kommen. Denn zuerst heißt es lernen und wieder lernen. Hier hat man ja eine Zukunft.
Wer arbeitet der verdient und kann sich hier mehr leisten als irgend anderswo.
Arbeitslosigkeit ist hier ein Traum.

Einstweilen tausend Grüße und Küsse euch allen
Euer Josef



Eingang zum Moskauer Zoo

25.11.1935 Moskau

Liebe Eltern !
Lieber Harald !

Heute bin ich in der Lage, meinem kleinen Jungen ein Bild von seinem Papa zu senden. Es ist dies eine Aufnahme vom 5.11.1935 und die erste, die ich in der Hauptstadt der UdSSR machen ließ. Wie ihr sehen könnt, ist man auch hier in der Fototechnik schon sehr weit, ja, in mancher Beziehung noch weiter, wie in allen anderen Ländern. In der nächsten Zeit werde ich euch eine solche Aufnahme senden und glaube, euch damit ein kleine Freude zu bereiten. Diesmal gilt die Aufnahme meinem kleinen Jungen, damit er wenigstens ein Bild von seinem Papa hat, wenn ich ihm schon nichts anderes bieten kann. Mit Arbeit kann ich ich erst in zwei Monaten rechnen, nicht weil keine Arbeit vorhanden ist, sondern weil die Russen sagen, zuerst erholen, lernen usw. und dann komm erst die Arbeit. Nun, daß wird auch dann mit Volldampf geschehen. Ich sehne mich bereits nach Arbeit. Wir wissen noch nicht wo wir hinkommen werden, glaube kaum, daß wir in Moskau bleiben werden. Außerdem ist außerhalb Moskaus mit den Wohnverhältnissen besser bestellt wie hier in Moskau selbst. Hier in Moskau geht eine derartige Umwälzung der alten Stadt in eine moderne Neue vor sich, die sich kein Mensch, der er es nicht mit eigenen Augen sieht, kaum vorstellen kann. Wenn wir in Arbeit kommen ist aber auch schon die Wohnungsfrage gelöst. Und dann wird auch die große Frage "Harald" aktuell werden. Es ist mein innigster Wunsch, meinen Jungen in dieses Land kommen zu lassen. Allerdings erst dann, wenn die nötigen Vorbedingungen dazu geschaffen sind.

Hier in der Sowjetunion ist eine neue Welt !
Hier in der Sowjetunion liegt die Zukunft für meinen Harald !
Diese Möglichkeit beseite zu schieben, wäre das größte Stück Verantwortungslosigkeit, die es für mich geben könnte.

Ich hoffe, daß ihr mich verstehen werdet.
Einstweilen Tausend Grüße und Küsse an euch Lieben und an meinen goldigen Jungen.
Alles beste Euch allen zu Weihnachten wünschend. Ich mache dies schon heute, denn sonst überseh ich noch die Zeit und ihr glaubt zum Schluß, ich denke nicht an euch.

***

Moskau, ohne Datum

Liebe Eltern !
Lieber Harald !

Ich habe heute euer Schreiben mit Freude und herzlichen Dank erhalten. Insbesondere die Mitteilungen über das Leben und Treiben meines Jungen machen mir große Freude. Ich kann mir den Jungen gut vorstellen, denn auch hier im Hotel gibt es kleine Jungen im ähnlichen Alter. Über den Winter in unserer Heimat weiß ich ja Bescheid, doch hier ist es wesentlich anders.
Beinahe jeden zweiten Tag fällt Schnee,und die Kälte wechselt zwischen -14 und - 30 Grad. Wir sind gut ausgerüstet. Wintermäntel und Pelzkappen schützen uns vor großer Kälte. Hier wird mehr Sport als überall anders betrieben. Es gibt eine Eislaufbahn von mehreren Kilometern Länge im Kulturpark und ein Schiterrain in den Leninbergen. Die Berge sind leider nur zwischen 300 und 400 m hoch, dafür gibt es herrliche Sprungschanzen, auf denen täglich reges Treiben herrscht. Am 23.Februar muß ich mich in einem Sanatorium einer Operation unterziehen, um eine in Messendorf zugezogene Krankheit zu heilen.
Dann geht es in Arbeit, das heißt, wenn ich noch nicht vorher auf ein Monat in Erholung fahre. Mein neuer Arbeitsplatz wird in der Stadt Kineschma sein. Sie liegt etwa 500 km von Moskau entfernt, in herrlicher Waldgegend. Es gibt dort einen Betrieb, in dem 4000 Arbeiter beschäftigt sind. Einer meiner Kollegen ist bereits dorthin gefahren und hat mir geschrieben, daß es ihm da sehr gut gefällt. Die Stadt liegt an der rechten Uferseite der Wolga und hat etwa 20000 Einwohner. Die Betriebe, Metall, Farben und Textil befinden sich auf der anderen Seite der Wolga, ebenso die Betriebswohnungen, mit etwa 10000 Einwohnern. Die Wolga ist dort mehrere Kilometer breit. Ich soll in einer Instrumental Abteilung mit meinem zweiten Spezi arbeiten und man wartet schon auf mein Eintreffen. Ich werde allerdings erst im April dort ankommen.
Ich werde euch ausführlich berichten, wenn ich an Ort und Stelle bin.
Nun will ich euch noch einiges zu eurem Schreiben sagen. In Hinblick auf die Geschichte mit der Versicherung und dem Verhalten meines Herrn Papa fälle ich dasselbe Urteil über ihn. Ich bin überzeugt, daß der Tag kommen wird, an dem ich von ihm diesbezüglich strengste Rechenschaft fordern werde. Es ist gut das D. in Leoben die Angelegenheit in die Hand genommen hat.
In der Angelegenheit mit Harald braucht ihr euch keine Sorgen zu machen. Vorerst müßen die Grundlagen einer glücklichen Existenz geschaffen werden. Ich weiß ganz genau, daß es in seinem momentanen Alter nicht gut wäre , dieses Experiment durchzuführen. Im weiteren hoffe ich, euch in der nächsten Zeit eine kleine Beihilfe zusteuern zu können, denn ich bin gut informiert über die schlechten wirtschaftlichen Verhältnisse.
Im übrigen zur Mitteilung. Euer Brief wurde in Rottenmann geöffnet. Es ist nicht nötig, daß ihr mir schreibt, vom Radio. Es könnte falsch aufgefaßt werden, zu eurem Nachteil. Im großen und ganzen freue ich mich, daß ihr wohlauf seid.
Nun zum Abschluß: Hier in Moskau bleiben einem vor Staunen manchmal die Augen stecken. Wir haben hier im Hotel eine neue Küchenchefin, eine Russin natürlich. Eines Abends brachte sie uns ins Staunen. Vor unseren großen Augen servierte sie Powidltatschkerln, echte Wiener Küche. So gibt es beinahe jede Woche irgendeine Überraschung.

Grüßt und küßt mir meinen Jungen
Die herzlichsten und besten Grüße an euch, liebe Eltern.

Bitte sendet mir Fotos von Harald und von den Bergen.



Der Text Koppelhubers zu dieser Postkarte: Eine Aufnahme der schönsten Kirche Moskaus. Es war die Kirche Ivan des Schrecklichen.

Die am linken Ufer der Moskwa westlich des Kremls stehende Erloeser Kathedrale wurde 1883 erbaut und waehrend der Stalin-Herrschaft 1931 zerstoert. Die Erloeser Kirche wurde im Jahr 2000 originalgetreu wieder errichtet.



Moskau 3.1.1936

Liebe Eltern !
Lieber Harald !

Habe euer liebes Schreiben mit besten Dank und mit Freude erhalten, und will euch mit zum neuen Jahr das Beste wünschen. Vater wünsche ich von Herzem baldige Genesung. Eure Mitteilungen über meinen kleinen Jungen stimmen mich zwar immer ernst, doch bereiten sie mir große Freude. Besonders deshalb, weil ich fühle mit welcher Liebe und Sorge er mit euch verbunden ist.
Ich weiß, daß die vergangenen Weihnachten für Euch und auch für Harald nicht die Festtage sein konnten, wie sie sein sollten. Ich hatte es da etwas leichter, denn hier in der UdSSR werden sie nicht so gefeiert wie bei uns in der Heimat. Trotzdem war ich an diesem Tag in Gedanken bei euch und bei meinem Harald.
Wenn ich schreibe bei euch, war ich auch dort wo auch ihr gewesen seid, dort wo euer und mein liebstes für immer sein wird, in der Heimat, und bei den immer wieder auftauchenden Erinnerungen.
Durch die Härte des Lebens wird man geschliffen und ausgefeilt. Sentimentalität ist eine schlechte Eigenschaft für einen Klassenkämpfer, und man kann damit auch das Vergangene nicht zur Gegenwart bringen. Schon unsere Überzeugung sagt uns, daß wir an derartigen Schlägen des Lebens nichts ändern können. Wir sind die Generation des Kampfes für unsere Jugend, wir sind das Springbrett für eine bessere Zukunft der Menschheit. Darum heißt es zäh bleiben, stark bleiben, denn diese Opfer sind nicht umsonst.
Jeder neue Tag hier in der S.U., jede neue Stunde gibt uns die Gewissheit, daß das Glück der Menschheit kommen wird und kommen muß. Und so denke ich wieder an den Beginn des Jahres 1936, mit der festen Überzeugung, daß eine neue Epoche des Lebens auf der ganzen Welt kommen muß und wird. Eine neue Epoche der Weltgeschichte, die bereits auf einem Sechstel der Erde, der Sowjetunion erstanden ist.
Wenn ich nichts in meinem Leben bedaure, so aber das eine, daß Harris Mutter, unsere Elly, nicht mehr das Große, das Imposante erleben konnte, das mir hier zuteil wurde. Ich habe die feste Überzeugung, daß ich nur das Beste wollte. Doch es kam anders und ich will auch all meine Kraft nur dem Ziel weihen, aus meinem Jungen ein ebenso opferbereites, aber umso glücklicheres Mitglied einer neuen Gesellschaftsordnung zu machen. Die Zukunft gehört der Jugend und der Jugend gehört die Welt, wenn sie in die richtige Schule geht.

Die beste Schule ist und kann nur die Sowjetunion sein. Das Vaterland des Weltproletariats. Bitte seid daher nicht überrascht, wenn einmal mein sehnlichstes Verlangen nach meinem Jungen Harald zum aktiven Inhalt unseres Lebens werden soll und seid mir nicht böse darüber. Aber mein Lebensinhalt ist Haralds Zukunft, und diesen Weg werde ich mit aller Kraft und mit allerbester Zuversicht ausbauen. Denn nur im sozialistischen Land kann aus Harald ein glücklicher Mensch werden.

Mit tausend Grüßen und Küssen
euer Josef

***

Moskau, 21.1.1936

Liebe Eltern !
Lieber Harald !

Ich habe euer Schreiben mit Freude und besten Dank erhalten. Eine Nachricht von euch macht mir immer große Freude, wenn ich auch dabei immer wieder an unser gemeinsames Leid erinnert werde. Auf die Frage Harald möcht ich noch nicht näher eingehen, sondern dies alles mit euch erst behandeln, wenn wirklich die Zeit dazu da ist. Solange ich nicht in Arbeit stehe, und die Wohnungsfrage günstig gelöst ist, werde ich in dieser Richtung nichts unternehmen. Umgekehrt kann ich aber heute schon vorausschicken, daß ihr euch nicht allzugroße Besorgnisse machen braucht, denn ich werde immer bestrebt sein, das gute und notwendige Verhältnis mit euch aufrecht zu erhalten, und zwar derart aufrecht zu erhalten, daß unser Junge immer und jederzeit euch das sein wird, was er sein soll. Und was eure Frage nach einer "Stiefmutter" anlangt, so liegt dies noch verdammt weit entfernt von mir. Aber eines müßt ihr euch heute schon vor Augen halten, daß es ein großer Nachteil wäre, wenn man der Zukunft unseres Jungen aus irgendeinem sentimentalen Grund entgegenstehen würde.
Die Weihnachten nun waren für mich sehr spärlich, dafür war aber die Neujahrsfeier ein großes Ereignis. Ich lernte dabei erst recht das Leben der Sowjetjugend kennen, und kann nur sagen, daß ich davon begeistert bin.So etwas muß man sehen, es läßt sich nicht wiedergeben. Was eure Weihnachtsfeier anlangt, kann ich mir gut eure Stimmung vorstellen und verstehe auch, daß Harald Mittelpunkt dieses Festes war.
Es tut mir leid, daß ich von hier aus nicht die Möglichkeit habe, euch zu helfen und das Fest zu bereichern. Ich will euch in diesem Schreiben den innigsten Dank abstatten für eure Mühe, und ich glaube bestimmt, das die Zeit kommen wird, in der ich meinen Teil beitragen kann. Ich rechne damit, in nächster Zeit in Arbeit zu kommen, doch kann man sich auch leicht dabei verrechnen. Es gibt immer wieder neues zu sehen und zu lernen. Wenn man einmal in Arbeit steht, dann ist man mitten drin, und da heißt es arbeiten und speziell ich will mein möglichstes beitragen um das Vaterland des Weltproletariats noch fester auszubauen. Arbeit gibt es hier, das könnt ihr euch gar nicht vorstellen. Wer arbeiten will, wer lernen will, der hat nur in der Sowjetunion solche Möglichkeiten.
Jeden Monat gibt es hier Neues. Jede Woche kann man erstaunen und die Augen bleiben einem beinahe stecken, wenn man die Kauflust der Menschen hier und die menschenarmen Geschäfte drüben vergleicht. Wohl gibt es auch noch Mängel hier, die aber in Wirklichkeit gar nichts bedeuten und in sehr rascher Zeit behoben sein werden. Denn das Aufbauwerk hier schreitet unaufhaltbar fort. Was habt ihr von der Stachanowbewegung gehört ?. Wie urteilt ihr darüber ? Wenn ihr genaueres wissen wollt, teilt es mir mit.
Heute war ich in einer großen Textilfabrik, da gab es sehr viel interessantes und neues zu sehen, von dem ihr euch keine Vorstellung machen könnt. Ich bin glücklich, hier in der Sowjetunion gelandet zu sein.
In den nächsten Tagen besuche ich eine Kinderkrippe, und ich werde Harald dann Bericht erstatten, was es hier alles gibt und welchen Zweck eine solche Kinderkrippe überhaupt hat. Hier in der Union wird das größte Augenmerk auf die Jugend gerichtet, damit diese sorglos und fröhlich aufwächst. Denn nur unter solchen Bedingungen kann eine neue Menschheit heranwachsen und man hier schon eine Generation gesunder Jugend und herrlicher neuer Menschen. Inmitten dieser Menschen soll auch mein Junge mitaufleben für ein Leben in glücklicher Zukunft. Diesen Weg müßen wir unserem Jungen freihalten, dieses Opfer muß gebracht werden.
Daran schließe ich den Wunsch, daß ihr gesund bleiben sollt, noch recht lange, um auch zu sehen, daß eure Bedenken vom Gegenteil bestätigt werden.
Was den traurigen Tag unseres Lebens, den Jahrestag eines Schicksals, den Tag einer schweren Wunde anlangt, so bin ich im Geiste bei euch und bei Elly und wünsche mir die Möglichkeit, Blumen dorthin zu legen, wo mein Liebstes geborgen ist. Ich bin mir bewusst, daß dieser Tag kommen wird.

Tausend Grüße an euch
Küsse an euch Eltern
und meinen Jungen Harald.

***

Kineschma, 20.3.1936

Liebe Eltern !
Lieber Harald !

Bin vor drei Tagen von Moskau abgereist nach Kineschma. 450 km von Moskau entfernt, an der Wolga, nordöstliche Richtung. Ich werde hier in einem großen Textilbetrieb bei der Berufsfeuerwehr als Chauffeur tätig sein. Meine Aufnahme hier ist, wie man in Österreich sagt " einfach allerhand". Ich wohne beim Sekretär der Partei. Seine Familie umsorgt mich. Vier Jungs hat die Familie, lauter Prachtkerls, und ich bin bereits zum Austritzki Onkel ernannt. Landschaftlich ist es hier wunderbar, obwohl noch tiefster Winter ist. Im Sommer muß es hier noch herrlicher sein.
Die Stadt hat 76.000 Einwohner. Unser Betrieb ist 4 km von der Stadt entfernt und liegt ganz neben der Wolga. In unserem Betriebsbezirk gibt es ein großes, herrliches Kinderheim, einen Klub mit Kino und Theatersaal, nicht einmal in Bruck hatten wir ein derartig großes Gebäude. Ambulatorium, Spital und drei prächtige Schulen gibt es hier. Der Betrieb selbst ist der Größte, den ich jemals in dieser Art gesehen habe. Es sind etwa 5000 Arbeiter hier beschäftigt. Erzeugt wird weiße Textilware und die Baumwolle kommt mit großen Dampfern aus dem Süden wolgaaufwärts.
Ich fühle mich hier wie zuhause.
Nun will ich euch meine Adresse russisch aufschreiben. Und so müßt ihr sie auch künftig auf den Brief draufschreiben, denn hier gibt es kaum jemanden, der Deutsch kann. Es wird für euch zwar schwer sein, aber es wird schon gehen. Vergesst aber nicht dabei genau abzuschreiben, denn es gibt viele russische Buchstaben, die sich ähnlich sind, aber eine ganz andere Bedeutung haben.

Laßt meinen Jungen herzlich grüßen.
Es küßt euch alle.



Stadt an der Wolga; Aufnahme von Josef Koppelhuber



Kineschma 22.5.1936

Liebe Eltern !
Lieber Harald !

Vor allem herzlichen Dank für euer Schreiben, trotzdem es mir keine allzu freudige Botschaft brachte. Durch die eigenhändige Unterschrift von Harald aber hat es für mich die Bedeutung gewonnen, daß sich wieder alles zum besten wenden wird. Der beste Arzt ist eure Obhut und ich bin überzeugt davon, daß ihr dabei das Beste unserem Jungen angedeihen läßt. Nun seid ihr wieder in der Situation, Ausgaben bestreiten zu müssen, und gerade das berührt mich immer uaf das peinlichste, da ich im großen und ganzen so viel wie nichts dazu tun kann, trotzdem ich nun in Arbeit stehe und verdiene.
Und gerade deshalb denke ich immer wieder daran, euch in euren nicht allzu guten wirtschaftlichen Verhältnissen zu entlasten und auch aus diesem Grund wird mein Wunsch, den Jungen hier zu haben, immer stärker und drängender. Ich weiß, daß diese Frage mit einem neuerlichen Opfer verbunden ist. Wenn es auch nicht ein Opfer direkt materieller Art ist, so doch aber ein Opfer, das bedeutend mehr erfordert. Doch darf man dabei nicht nur die Schattenseiten ins Auge fassen, sondern man muß auch, was für die Jugend das wichtigste ist, die Zukunft in Betracht ziehen. Und dabei müßt ihr euch ernstlich die Frage stellen, was kann unserem Jungen die Zukunft unserer Heimat, die einer immer größer werdenden Wirtschaftskrise ausgesetzt ist, bieten. Und welche Zukunft kann er hier in der Sowjetunion haben. Es ist dies ein Vergleich, bei dem es nicht allzulange zu studieren und zu überlegen gilt. Und gerade ihr, die ihr dem Kind ebenso verbunden seid wie ich, ihr, die ihr ständig um sein Wohlergehen bemüht seid, gerade ihr müßt einsehen, daß wir dem Jungen die Zukunft versperren, wenn wir uns allzu spießbürgerlichen Ansichten über die Obsorge hingeben. Unsere Pflicht ist es, der Jugend die Tore der Zukunft zu öffnen, freie Bahn der neuen Generation, auch wir müssen mit den Parolen des neuen Zeitalters Schritt halten. Versperren wir aber der Jugend den Weg, nur aus irgendwelchen Hemmungen, und lassen wir uns dazu verleiten, etwas schlecht zu machen, weil man momentan der Ansicht ist, daß es gut ist, dann machen wir gerade das Gegenteil von dem, was wir im richtigen Moment hätten machen sollen und setzen uns in Widerspruch, zu dem, daß wir bislang immer vertreten haben. Vorwärts zu einer glücklichen Menschheit, und wenn schon ihr, und wenn auch ich noch nicht mit vollem Erlös daran teilnehmen kann, so dürfen wir doch dem Liebsten, daß wir haben, diesen Erlös nicht verwehren, denn es wäre ein unverzeihlicher und nie wieder gut zu machender Fehler.
Unserem Jungen Harald soll die Welt offenstehen, er soll frei von Sorgen einer glücklichen Zukunft entgegen sehen können, und diese Möglichkeit besteht nur hier im Vaterland des Weltproletariats, hier in der Union, im sozialistischen Staate Lenins. Und weiters müßten wir immer darauf das Augenmerk richten, was im Weltmaßstab vor sich geht, welche große Ertschütterungen so manches Land noch zu ertragen haben wird. Müssen wir unser Liebstes all diesen drohenden Gewitterwolken aussetzen, oder können wir etwas dagegen unternehmen. Ja, das können wir, aber nur dann, wen wir uns frei machen vom alten, schlechten Geist des Gefühls der Unzertrennlichkeit.
Was dann, wenn unser Junge so wie Elly dahingegangen wäre ? Dann würde auch die Angst vor der Trennung nicht mehr helfen.
Denkt bitte über meine Argumente nach, zieht alles in Betracht und erst dann fällt euer Urteil und ihr werdet mir, dem Vater unseres Jungen, recht geben müßen. Oder wollt Ihr mir das einzige, daß ich noch habe, das einzige, daß mir aus der tragischen Vergangenheit blieb , verwehren?
Ihr würdet damit nur Haralds Zukunft verschließen.
Einmal habe ich schon ein derartiges Schreiben an euch gesandt, doch diese Frage habt ihr mir bislang nicht beantwortet. Ich hoffe, daß ihr meine brennendste Frage endlich beantwortet und das unser Einvernehmen als ein gutes bestehen bleibt.

Von ganzen Herzen meinem Jungen völlige Genesung wünschend

Grüßt und küsst euch alle



Wasserstadion auf der Wolga; Aufnahme von Josef Koppelhuber


Kineschma, 30.8.1936

Liebe Eltern !
Lieber Harald ! 30.8.1936

Euer Schreiben mit herzlichen Dank erhalten. Die Nachricht, daß Vater krank und und im Grazer Spital war, bedrückt auch mich , denn ich weiß , was dies für eine Sorgenlast bedeutet. Denn das Kranksein bedeutet ja nicht nur körperliches und seelisches Unbehagen, sondern wirkt sich auch in der Frage des Verdienstes gewaltig aus.
Die Nachricht von meinem Herrn Papa ist mir zwar nichts neues, überrascht mich aber keinesfalls, denn ich bin schon gewohnt alle Gemeinheiten von ihm zu erwarten. Dass er nun auch andere Leute betrog, das setzt seinem Werk nur die Krone auf. Und man sieht nun auch genau, dass seine Einstellung zum Proletariat keine ehrliche gewesen sein kann.
Ein typischer Fall eines Sozialdemokraten und ich bin froh, dass ich von dieser Lehre gänzlich geheilt bin. Er selbst hat auch einen Grossteil dazu beigetragen.
Was mich und meine Gesundheit anbelangt, so hatte ich auch mit allerhand neuem zu tun. Zuerst meine Operation und 22 Tage Spital in Kineschma. Dann erhielt ich eine Erholungsbewilligung für 20 Tage in einem Erholungsheim in der Nähe von der Stadt Jaroslav an der Wolga. Doch nach meiner Ankunft in diesem wunderschönen Heim mußte bereits wieder ins Bett. 6 Tage lag ich im Erholungsheim mit 40 ° Fieber und da sich mein Zustand nicht besserte, mußte ich am 1.August nach Jaroslav ins Spital überführt werden. Blutprobe wurde genommen und Typhus festgestellt. So lag ich nun statt Erholung neuerdings wieder 20 Tage im Spital. Am 21.8. bin ich wieder nach Kineschma zurückgekehrt und befinde mich noch im Krankenstand. Doch bereits wieder wohlauf hoffe ich am 8.9 wieder meinen Dienst antreten zu können. Man wartet ohnedies schon mit Sehnsucht auf mich, denn hier gibt es einen Mangel an Chauffeurs. Nur das Kranksein hat mir den ganzen Sommer beinahe verdorben, und auch im Lernen bin ich daher zurückgeblieben. Nun heisst es halt in den langen Wintern das Versäumte nachzuholen. Die Witterung ist derzeit bei Tag noch warm, aber abends ohne Mantel auszugehen, ist schon ein Kunststück, ohne sich zu verkühlen. Übrigens trage ich mich mit dem Gedanken, nächstes Jahr in eine südlicher Gegend zu übersiedeln. Werde ja sehen, wie mir der Winter behagt, mit seinen 35°- 40°.Wenn er nur nicht so lange wäre, ich wär mit allem zufrieden hier. Außerdem glaube ich, in einem deutschen Gebiet mehr leisten zu können. Nun, werde ja sehen. Mit Zeit kommt Rat. Glaube auch dann eher zu Euren Sorgen eine kleine Erleichterung beitragen zu können.
Steffis Zeilen haben mich ebenfalls erfreut, und ich glaube es Ihr, dass es eine Kunst ist, heutzutage einen Posten zu finden. Was die Sache mit Seppl und Eva anlangt, so glaube ich kaum, dass ihm darüber das Herz brechen wird. Dazu ist er viel zu stattlich gebaut. Nun, wie geht es Franzl. Es würde mich sehr freuen, von den beiden einmal etwas zu hören, insbesondere über ihre Arbeitsverhältnisse und Arbeitsbedingungen.
Bitte sendet mir Mitzis neue Adresse. Die Adresse von Steffi habe ich auch verwurschtelt. So kann ich nicht direkt nach Wien schreiben. Von Mutter aus St.Marein hab ich gleichzeitig mit Eurem Brief Post erhalten. Und ein Photo von ihrem neuen Heim. Dürfte ein ganz zweckmässiges und nettes Häuschen sein. Mutter ist derzeit ebenfalls arbeitsunfähig, da sie einen Unfall hatte. Sie ist bereits wieder auf dem Wege der Besserung.
So, nun habe ich gerade gespeist und mich mit einem selbstgemachten österreichischen Erdäpfelsalat gestärkt. Mittlerweile hat auch der Wind den bewölkten Himmel reingefegt. Es gibt also wieder einen schönen Nachtmittag, nachdem es vormittags geregnet hat.
Nachdem schönes Wetter vorhergesagt ist, kann ich bis zu meinem Arbeitsantritt noch einige Erholungspaziergänge unternehmen. Heute ist hier ein grosses Fussballderby. Werde mir die Geschichte ansehen. Jedesmal, wenn ein Wettspiel ist, denke ich an die schönen Tage des Zusammenseins in Rottenmann.. Es bleiben dies trotz der Tragik immer wieder schöne Erinnerungen an alle meine Lieben, von denen ich nun ziemlich weit entfernt bin.
Doch glaube ich fest daran, daß es noch ein umso fröhlicheres Wiedersehen geben wird, wenn es auch nur bei Möglichkeit einem Besuch gleichkommen wird. Doch vorher will ich mir noch eine felsenfeste Existenz aufbauen, hier in diesem Land, in dessen Verfassung es heisst, wer nicht arbeitet, braucht auch nicht zu essen. Es wird nicht allzu schwer sein, denn Arbeit gibt es hier in Hülle und Fülle.
Jeder Betrieb sucht Arbeiter, Professionisten, Ingenieure und Techniker. Das heisst für mich, das Erlernte gründlich zu wiederholen und dann gehts erst recht an die Arbeit. Bisherr ist alles nur Vorbereitung, durch die neue Sprache bedingt. Den Winter bei meiner derzeitigen Beschäftigung noch feste lernen und dann mit Volldampf voraus. Einer noch besseren Zukunft entgegen. Damit mein Junge, wenn er einmal die grosse Reise zu seinem Papa antritt, das vorfindet, was er benötigt, um ein tüchtiger, brauchbarer Mensch und Mitkämpfer meines Ideals zu werden.
Wenn schon unsere Elly von all dem schönen und neuen hier vom harten schicksal ausgeschlossen wurde, so soll wenigstens unser Junge Harald einer glücklichen und sorgenfreien Zukunft entgegen sehen.

Nun zum Schluss liebe Eltern in der alten Heimat alles beste
Meinem Jungen Harald tausend Bussi

Euer Josef


Drei Genossen im Steinbruch auf der Flucht


Kineschma, 8.9.1937

Liebe Eltern !
Lieber Harald !

Euer Schreiben mit herzlichstem Dank und mit Freude erhalten. Es ist mir immer wieder eine große Freude von der Heimat und meinen Lieben etwas zu hören. Damit ist nicht gesagt, daß ich nicht über die politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse in unserer Heimat informiert wäre. Doch über eure Erlebnisse, was sich bei euch im engsten Kreis abspielt, könnt nur ihr mir Aufschluß geben. Nun habt ihr also eine neue Wohnung in Besitz genommen und ich gebe der Hoffnung Ausdruck, daß ihr damit zufrieden gestellt seid. Harry wird sich , so wie kleine Kinder immer, rasch hineinfinden.
Eure Mitteilung über die Stillegung des Judenburger Betriebes überrascht mich nicht im geringsten. Ebenso bin ich der Ansicht, wie ihr auch, daß dies zu einer Belebung des Rottenmanner Betriebes führen kann. Ich bin zwar kein großer Optimist, hoffe aber trotzdem darauf. Abbau alter Arbeiter ist nichts Neues in Österreich, vor allem, wenn sie vollkommen ausgenützt sind. Doch die Frage der Alterversicherung bleibt halt doch immer wieder eine halb gelöste Frage. Für die Jungen ist es wohl etwas von Vorteil, aber nie in dem Maße wie es im allgemeinen von Nachteil ist, denn von einem Konjunkturaufschwung kann dabei noch lange nicht die Rede sein.
Nun sind die warmen Sommermonate bald vorbei und der Winter wird bald seinen Einzug halten. Wir haben andauernd trübes Wetter und der kommende Regen hängt nur so in der Luft. Das Brennmaterial wird schon angeliefert. Bald werde ich wieder gezwungen sein, den Ofen zu heizen. Das gibt mehr Arbeit, wird aber gerne getan. Man sitzt doch lieber im warmen Zimmer, wenn es zu stürmen beginnt und findet dann auch mehr zu Zeit zu lernen und zu schreiben.
Meine Fotoarbeit mußte ich einstellen, da kein Papier aufzutreiben ist. Die Knappheit ist eine Folge des Aufschwungs der kulturellen Bedürfnisse und die Betrieb kommen den wachsenden Anforderungen nicht nach. Nun wird, um diesem Übel abzuhelfen, ein neuer großer Betrieb für Fotomaterial gebaut. 1937 wurden schätzungsweise 6 Millionen Fotoapparate verkauft, und ich halte meine Annahme für nicht allzu hoch gegriffen. Allein darin könnt ihr ersehen, daß der Wohlstand gewaltig angewachsen ist. Nun wir leben eben in der USSR und da hält man das für selbstverständlich.
Nun zu unserem Jungen, der muss schon gewaltig gross geworden sein, ich kann mir das gar nicht vostellen, umso weniger, da mir die Zeit, die ich hier verbringe, nur so vorüberfliegt. Nun bin ich schon drei Jahre von Euch fort und trotzdem ist es so, als ob es erst vor einigen Wochen gewesen wäre. Ja, hier zu arbeiten, ist eben hundert und eins gegen Eure Verhältnisse und man ist voll und ganz in Anspruch genommen, so man zum trübsalblasen wie bei Euch keine Zeit hat. Fussball ist noch immer in meinen Knochen, doch komme ich nicht mehr so mit. Das ist kein Wunder, bin ich doch ein alter Hase. Nächstes Jahr werde ich den aktiven Fußball aufgeben und nur mehr als Instruktor tätig sein. Das erfordert weniger Einsatz und ist doch eine sportliche Betätigung. Harald hat nun auch einen Fußball erhalten und ich darf annehmen, daß er ein würdiger Vertreter seines Papas werden wird und wünsche ihm die vollste Gesundheit.
Überhaupt erfreut mich, mit welcher Liebe und Sorge ihr euch um den Jungen kümmert und will euch nun abermals den herzlichsten Dank ausdrücken und verspüre es bitter und traurig, daß ich dazu nichts beitragen kann. Ich hoffe aber auf die Zeit, in der es möglich sein wird. Ich fühle mich gesund und wohlauf, bin bei bester Laune und trage mich mit der festen Absicht meinen derartigen Arbeitsplatz zu wechseln. Allerdings will man mich von hier nicht fortlassen Ich hoffe jedoch meinen Standpunkt durchzusetzen, diese Hindernis zu überwinden und in eine wärmere Gegend zu übersiedeln. Werde euch noch genaueres darüber berichten.

Nun will ich für heute abschließen und hoffe daß euch mein Schreiben bei bester Gesundheit und im Wohlbefinden antrifft.

Tausend Grüße und Küsse an Euch und an Harald

Historical Ready Made 1934

Fotos 1934

Der Staende Staat


Grusspostkarte Koppelhubers aus dem Mokauer Exil zum 1.Mai.193*; Poststempel nicht lesbar.

© Copyright Briefe und Fotos: Franz Krahberger 2004


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