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Ist mein Gehirn künstlich ?
Kommentare


© by Helmut Eisendle und Matthias Goldmann

Wir haben kürzlich den Text "Ist mein Gehirn künstlich ?" von Helmut Eisendle veröffentlicht und nehmen damit eine Anregung des Autors auf, einen Diskurs über die Künstlichkeit des Denkens zu eröffnen. Ich hoffe, dass sich mit dieser Fragestellung eine Reihe nützlicher Einsichten und Erkenntnisse über die Bedeutung des Artefakts in der menschlichen Evolution, über die Bedeutung der künstlichen medialen Welten und der künstlichen Intelligenz für das menschliche Leben und den damit verbundenen kulturellen Begrifflichkeiten ergeben werden. Die Leser(inn)en des Electronic Journal sind ebenso gebeten, ihrerseits Beiträge zu diesem Thema zu übermitteln.
Die Kommentare und Fussnoten sind im Eisendle-Text jeweils mit Link Verbindungen ausgezeichnet und erscbeinen im zweiten Lesefenster.

Franz Krahberger

  • 1. Eisendle: Das Künstliche
  • 2. Goldmann: Das Künstliche vom fehlenden Original
  • 3. Eisendle: Intelligenz - Sprache
  • 4. Goldmann: Fundiertes Nichtwissen
  • 5. Eisendle: Computer - Gehirn
  • 6. Goldmann: Das Selbstsichtgerät des Bewusstseins
  • 7. Eisendle: Schrift - Sprache - Symbole
  • 8. Goldmann: Shared Code - der variable Ort des 32-Bit-Wortes
  • 9. Eisendle: Bilder - Erinnerung
  • 10. Eisendle: Gedächtnis - Lernen - Abweichung - Literatur
  • 11. Eisendle: Sprache - Versuch und Irrtum
  • 12. Goldmann: My Little Dog Knows Me
  • 13. Eisendle: Schreiben - Wirklichkeit - Dichtung

    Das Künstliche


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    In welchem Sinne verwende ich das Wort künstlich? Beginne ich, bevor ich von der künstlichen Intelligenz spreche, beim Denken, muß ich den Begriff Künstlichkeit einführen, weil ich annehme, daß Denken nur über Sprache, Sprechen, Schrift, also einer Verwendung von künstlichenSymbolen fn 1 und Zeichensystemen möglich ist. Natürlich klingt es verwegen zu behaupten: die künstliche Intelligenz (KI) und unser Denken seien etwas Künstliches. Sicher aber ist es nicht natürlich und zumindest so künstlich wie die Künstlichkeit des Computers, dem ich eine Intelligenz, also die anthropogene Fähigkeit eines Problemlösungsverhaltens unterstelle. Ob nun seine oder meine Künstlichkeit die bessere ist, hängt wenn überhaupt davon ab, welche Probleme gelöst werden sollen. Das Künstliche daran ist also als solches nicht nur etwas, was der Natur fremd ist, sondern so etwas Menschliches wie Literatur und Kunst.

    Goldmann Kommentar: Das Künstliche vom fehlenden Original

    Intelligenz - Sprache


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    Die Behauptung von KI über Rechensysteme ist auf einer Seite der Versuch, das Gehirn und Nervensystem des Menschen zu imitieren, andererseits eine Technik zu entwickeln, Daten oder Sprache zu transformieren, zu kodifizieren und zu manipulieren, um noch nicht näher definierte Problemlösungsmechanismen zu konstruieren.
    Die Gehirnforschung versucht in mehreren Bemühungen, die Charakterzüge des Nervensystems zu erklären, auf welche Weise die Natur, über chemische, elektrolytische oder physiologische Vorgänge so etwas wie ein Gehirn herstellt. Sie denkt über Modelle nach oder neuronale Netze und behauptet ihre Funktion. Die Kybernetik oder Computerwissenschaft versucht mit anderen Mitteln, Modelle und funktionierende Strukturen von Intelligenz fn 2 herzustellen. Sie verwendet dazu Computerprogramme.
    Die Entwicklung der Sprache im Alltagsleben kann als historische Analogie für das Entstehen von Intelligenz gesehen werden. Die Sprache hat nicht einfach nur Aktivitäten ersetzt, die man praktizierte, bevor es sie gab; ihre wichtigste Funktion bestand darin, neue Formen von Aktivitäten zu ermöglichen und alten Formen neue Gestalten zu verleihen. Sie erweiterte und differenzierte vor allem soziale und emotionale Tätigkeiten. Im Unterschied zur Intelligenz ist der Instinkt ein zweckmäßiges Handeln ohne Bewußtsein. Intelligenz setzt Bewußtsein und ein Handeln voraus, das sein Ziel kennt. Dies wird durch sprachliche Vorstellungen und die Verwendung von Symbolen und Begriffen, logischen Operationen und motivationalen Grundlagen hergestellt. Der Instinkt aller Instinkte ist die Arterhaltung, die Intelligenz dient der eigenen Positionierung durch Problemlösungen und der Kultur. Intellegere heißt ungefähr: etwas merken, wahrnehmen, verstehen. Und das ermöglicht die Sprache. Die Problemlösungstechniken der KI ent-sprechen dabei – jenseits eines behaupteten Bewußtseins – noch eher einem instinktiven Verhalten auf bestimmte Gegebenheiten.
    Die Sprache und Spracherzeugung verkörpern Bedeutungen von komplexen Manipulationen syntaktischer, semantischer und logischer Art.

    Goldmann Kommentar: Fundiertes Nichtwissen

    Computer – Gehirn


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    Computerprogramme und die Ergebnisse der Intelligenzforschung, die auf Kommunikation und Lösungen von abstrakten Problemen basieren, sind nur ansatzmäßig entwickelt. Das heißt z.B., das menschliche Gehirn fn 3 entspricht als communication system einer sozialen Kulturmaschine, die aufgrund innerer und äußerer Umstände zielorientiertes Denken erzeugt.
    Unser Gehirn, könnte man weiters sagen, ist eine intelligente Fernsprech- und Sprachvermittlung, ein zur Sprachkommunikation besonders geeigneter Sprachgenerator. Gleichsam ein Organ, das für die Sinne: Sehen, Hören, Riechen, Fühlen, Tasten, Sprechen und die Äußerungen und Interpretationen in Form von Sprache zur Verfügung steht.
    Digitale Systeme von Computern haben den Vorteil, daß sie Informationen genau für lange Zeiträume speichern können. Man kann deshalb von Computer-Gedächtnissen sprechen. Die analoge Information- und Speicherungfähigkeit des menschlichen Gehirns nimmt zwar mit der Zeit ab und driftet ins Grenzenlose, kommt aber ohne spezifische Hilfssysteme aus. Erinnern oder die menschliche Gedächtnisleistung ist möglicherweise nur ein unexaktes Arbeiten mit assoziativen Clustern.
    Man müßte also sagen, daß das menschliche Gehirn und seine Funktionen denen einer hybriden analog/digital-Maschine vergleichbar ist. Die notwendige Digitalisierung in einem Computer verlangt komplexe Hilfssysteme zur Speicherung und Weiterverwertung.
    Wenn man auch behauptet, daß Denken ein abstraktes informationsverarbeitendes System darstellt, ordnet die Unmittelbarkeit der menschlichen Wahrnehmungsweisen dieses dem intelligenten Verhalten oder der Intelligenz selbst zu. Das Sehen fn 4 beispielsweise fordert die Entscheidung vom Allgemeinen zum Besonderen, verlangt also deduktive Reaktionen, d.h. aus der Vielzahl der Möglichkeiten wird bei einem Bild durch einen selektiven Vorgang das Besondere oder Bedeutende hervorgehoben. Wir sehen mit der Entschlossenheit unseres Bewußtseins. Das Maschinensehen – wenn man es annimmt – besteht darin, eine enorme Anordnung von Zahlen in eine andere Anordnung zu bringen. Es werden dazu Algorithmen, also Rechenverfahren, durch die man nach Durchführung endlich vieler gleichartiger Schritte zum Ergebnis gelangt, verwendet. Menschliches Sehen beginnt mit einem zweidimensionalen Bild auf der Retina und endet mit einer Beschreibung von dreidimensionalen Objekten, die ihre Form und Farbe, Distanz und Bewegung festhält und über ein Denk- und Sprachsystem deutbar macht. Das menschliche Sehen organisiert sich vornehmlich in speziellen, selektiven Auswahltechniken und der Bedeutungsgebung durch Sprache und Metaphern.

    Goldmann Kommentar: Das Selbstsichtgerät des Bewusstseins

    Schrift - Sprache - Symbole


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    Die Sprache ist das Produkt eines künstlichen Vorgangs, in ihrer Künstlichkeit aber die Vorbedingung des Schreibens, Datenerfassens oder Notierens und Erinnerns. Das gesagte oder geschriebene Wort ist die Substitution einer Handlung, wobei eine Folge von substituierten Handlungen oder Worten eine eigene Mechanik und Funktionalität aufweist. Das geschriebene Wort, noch mehr als das gesprochene, ermöglicht oder erweitert das Denken und stellt die Verbindung zur Außenwelt dar.
    Dabei ist man nicht nur der Gesprächspartner eines anderen, sondern auch sein eigener Gesprächspartner.
    Innerhalb des menschlichen Denkens gibt es so etwas wie ein Sklaventum des Assoziierens. Es ist ein immerwiederkehrender Zwang, dem wir unwillkürlich gehorchen. Um diesen zu umgehen oder nicht in Verwirrung zu geraten, stehen Wiederholungen, eine besondere Form des Nachdenkens zur Verfügung. Durch diesen Vorgang des wiederholten Denkens, entsteht eine Hintergrundkommunikation, die Entscheidungen erzwingt. Das Gehirn besitzt also eine subjektive nicht- oder und Funktion. Durch das Alter entstehen in den Hirnwindungen Schattenstellen, es bildet sich eine Art von Dämpfung, falsche Schlüsse, die neue Gedanken verhindern oder verfälschen. Der normale Gedankengang wird verhindert, es entsteht kein direkter, logischer Gedanke, der Zugriff zum Gedankenfeld fehlt: der übliche Gedankengang ist erschwert. Die Erinnerung springt nicht an. Es ist denkbar, daß innerhalb des Systems ein ordnungsgemäßer Anschluß durch ordnungswidrige Abschlüsse verhindert wird oder daß eine Verbindung, der Zugriff auf Erfahrungen, die Erinnerung ausgefallen ist.
    Versuche der Erforschung der künstlichen Intelligenz haben mit lisp, prolog oder ähnlichen Computersprachen mit passender hardware und software, mit einer spezifischen Architektur von sogenannten Gedächtnismaschinen versucht, über formalisierte Logik das System der menschlichen Sprache zu imitieren oder zu verstehen.
    Intelligenz kann man als Symbolmanipulation definieren. Ebenso die Phantasieproduktion. Dabei spielt die Heuristik, also die Erfindungskunst oder Anweisung, auf dem Zufallsweg neue Erkenntnisse zu gewinnen, eine große Rolle. Voraussetzung ist eine Wissensbasis, Fakten, Überzeugungen und so etwas wie wilde Neugierde oder ein Variationsspiel.

    Goldmann Kommentar: Shared Code - der variable Ort des 32-Bit-Wortes

    Bilder - Erinnerung


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    Das Zeichenprogramm aaron von McCorduck fn 5 ist unter Umständen eine Maschine, die der Phantasieproduktion, zumindest vom Ergebnis her, ähnlich ist. Sie ist semi-intelligent, d.h., das Programm ist in der Lage, eine beliebige Anzahl von Bildern zu erzeugen. Doch aber verhalten sich die Produkte zu einer von Menschenhand gemachten Zeichnung wie ein Produkt einer Versuch- und Irrtum-Anordnung zu einem ausgewählten Einzelstück, dessen Eigenart die Qualität auszumachen scheint. Ähnlich verhält sich die Phantasieproduktion. Erst die Auswahl und Deutung und Bedeutung gibt ihr den Wert. (Helmut Eisendle, Determinanten der Sympathie und Antipathie bei der Beurteilung von Bildern; in Psychologie ästhetischer Urteile, Studien zur Wertungsforschung, Graz, 1970)
    In der Gehirnforschung hat man bald erkannt, daß Zellverbände – Neuronen, Neuronennetze lernfähig sind, d.h., einzelne Neuronen erhöhen ihre Leitfähigkeit, wenn sie benützt werden und lernen funktionale Aufgaben zu übernehmen. Wenn Zellverbände, die schwach verbunden sind, öfter aktiviert werden, schließen sie sich zu größeren Einheiten zusammen. Ein Blinder lernt besser Hören und Fühlen, ist ein praktisches Beispiel dazu. Bei der Verwendung der Sprache und dem Denken – kann man annehmen – daß es ähnlich zugeht. Erinnerungsfelder, durch die Sprache markiert, werden zu größeren Einheiten und fördern assoziative Muster, das Erkennen von Ähnlichkeiten und das Schließen von Zusammenhängen.

    Gedächtnis – Lernen – Abweichung – Literatur


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    In der Entwicklung und Erforschung der KI konstruierte man vergleichbarer Art. Man führte perzeptrons, adaline s ein. Eine wichtige Eigenschaft der perzeptrons, adalines ist die Speicherung der erlernten Aufgabe, die an alle Verbindungen und Netze, während des Lernprozesses, verteilt werden. Man kann diese Mechanismen zurecht mit dem menschlichen Gedächtnis gleichsetzen, und doch unterscheidet sich unser Gehirn dadurch, indem es sowohl assoziativ als auch übertragend arbeiten kann.
    Das Gehirn, seine Aufnahmefähigkeit, ist änderungsfreundlich, auf jeder Ebene ist es bereit, Fehler zu machen und zu korrigieren. Indirekt verfügt es über ein Management der Erweiterung, indem es Systeme oder Denkvorgänge durch andere Gedanken erkennt, verändert, variiert oder erweitert.
    Man könnte behaupten, der Mensch besitzt ein individuelles fehlerkorrigierendes oder fehlerakzeptierendes Prüfverfahren und sondert unberechtigte Zugriffe aus oder legt die Fehler in einen Erinnerungsspeicher ab. Unabhängig vom körperlichen Zustand ist das Gehirn aber ermüdungssicher, und bildet unermüdlich Karteien, Dateien, Aktenstöße von Informationen und Variationen davon. Auch die visuelle Erinnerung, gleichsam ein Bildwiederholungsspeicher, ist von hoher Kapazität. Wenn das Denken sich einer unscharfen Logik, die gegen jedes Ursache-Wirkung-Prinzip zu arbeiten scheint und nur assoziativen Clustern hingibt, entstehen Phantasien, Träumereien, Sprachspiele fn 6, andererseits Grundvoraussetzungen, für die Entstehung von Kunst und Literatur. Das bearbeitete Datenmaterial wird dabei eher analog als digital, zumindest analog/digital gesteuert, wobei die Abbruchbedingungen kaum gegeben sind. Die Endmeldung oder der Abbruch besitzt keine Voraussagbarkeit. In der Auswahl und dem Einsatz dieses Repertoires bestimmt sich Kreativität, Originalität und Phantasie.
    In der KI-Forschung wurden Netze gebaut, in denen sich motorische Einheiten wiederholen mit sensorischen koppeln und verbinden. Eine Lernmatrix z.B. enthält eine Anordnung von Schaltern, die sich zwischen dem motorischen und sensorischen Einheiten befindet. Sensorische und motorische Muster werden assoziiert. Assoziative Netze können auch spezifisch inhaltsausgerichtet werden, d.h. reizt man ein Netz mit irgendeinem Fragment eines assoziativen Speichers, ruft man die gesamte Antwort hervor. Acam, ein assoziativer, adressierbarer Speicher ist ein Beispiel dafür.
    Gedankenvorgänge verhalten sich innerhalb der Sprache parallel zur Wirklichkeit, ist eine der Behauptungen, welche den Realitätsbezug garantieren. Nun gibt es aber, gerade in Literatur und Kunst Gedankenläufe, für die es keine expliziten, symbolischen Beschreibungen der Außenwelt gibt. Der künstlerische Prozeß wird durch eine innere, solipsistische Symbolik ersetzt. D.h., ausschließlich die Kontinuität rechtfertigt und beweist den Sinn des Vorgehens. Gleichsam ein innerer Roter Faden behauptet, daß es eine Denkarbeit von hoher Qualität ist.
    Die Möglichkeit, ein System unbegrenzt durch Schleifen und Wiederholungen weiter zu treiben, ist eine Grundvoraussetzung für die Phantasieproduktion.
    Die menschliche Denkweise verwendet, kann man annehmen, Zeichenvehikeln fn 7 sign vehicles, um Kunst und Literatur zu erzeugen. Gesteuert wird dies mittels einer intentionalen Motivlage, die jede Art von Störung bis zur externen Diagnose von Geisteskrankheit, Autismus oder Kommunikationsunfähigkeit akzeptiert.

    Sprache - Versuch und Irrtum


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    Das menschliche Gehirn ist zu jeder Zeit, im Schlafen und Wachen, bereit, Gedanken auf Abfrage erzeugen, weiterzuleiten, zu interpretieren. Denken ist eine Produktion auf Abruf, wobei nicht selten, vor allem im Traumland der Literatur, gerade Störungen zur Produktion und Qualität von Gedanken und phantastischen Gebilden beitragen.
    Ein integrierter Mechanismus ermöglicht das Ersetzen einer Wahrnehmung durch andere Sinne. Einzelne Sinneserfahrungen werden beispielsweise mittels Gedanken und Sprache interpretiert. Dabei sind ererbte oder etablierte Fehler nicht unwesentlich. Einerseits können diese durch Wiederholungssprünge, korrigiert werden und stellen dadurch einen Lerneffekt dar; andererseits erzeugen bestimmte Fehler eine Art von Individualisierung, welche z.B. die Persönlichkeit oder das künstlerische Schaffen ausmachen. Man nennt es Lernen durch Wiederholung, Lernen am Modell, Lernen durch Versuch und Irrtum, wobei das feed-back die Steuerung bestimmt. Das heißt, die Lernfähigkeit des Gehirns ist unbegrenzt und wird nur durch die Korrosion der Zeit, das Altern, verändert.
    Das menschliche Nervensystem und die konstruierten Computernetze aus Silizium unterscheiden sich, trotz aller vergleichbarer Ergebnisse, als Systeme elementar. Das Nervensystem ist mehrdimensional und nur unter bestimmten Bedingungen synch-ronisiert. Es kann eine große Anzahl von Fehlschaltungen akzeptieren und kann trotzdem unzählige Verbindungen sinnvoll mit jedem seiner aktiven Neuronen und Neuronennetze eingehen.
    Computerschaltkreise sind weitgehend beschränkt auf eine zweidimensionale Oberfläche und auf wenig mögliche Verbindungen pro aktivem Element und einige hundert Chips. Allerdings können diese Schaltkreise mit perfekter Präzision verschaltet und synchronisiert werden.
    Das heißt, Computergedächtnisse sind verläßlicher, nicht aber in dem Sinne instrumentalisierbar wie das menschliche Gehirn.
    Die Erforschung der künstlichen Intelligenz über Computer hat sich mehr oder weniger mit den Bereichen Problemlösen und Theorembeweisen befaßt und dabei beachtliche Erkenntnisse und Fortschritte erreicht: Identifikation von Objekten und neue Sprachen: macsyma, prolog, acronym, consight oder Schach- und andere Spiele: chess, kaissa, paradise, das Begreifen der menschlichen Sprache: shrdluz, boris, mycin, dendral, pro-spector, xcon.
    Dennoch weisen alle Programme Problematiken auf. Den Programmen fehlen das Alltagswissen und Denken, d.h. sie kennen ihre Grenzen nicht, sind unsensibel in Bezug auf einen externen Kontext und neigen dazu, auf einfache Fragen falsche Antworten zu geben, die meistens außerhalb der Bereiche sind, für die sie konstruiert wurden. Dieser Antworten sind zwar perfekte logische Konsequenzen der Regeln, denen die Systeme unterworfen sind, haben aber nichts von der Phantasiequalität des abweichenden menschlichen Denkens. Das heißt, es stellt sich bei der Definition von Intelligenz die Frage, ob die Fehlervariation nicht wichtiger ist als die einfache Lösung (Helmut Eisendle, Das Fehlerverhalten beim Lösen von Intelligenzproblemen als weitere Information über die Struktur der Persönlichkeit, Dissertation, Graz, 1970). Die biologischen Annahmen, die bezüglich der Funktionen des menschlichen Denkens erforscht worden sind, lassen sich folgendermaßen erklären: Es gibt strukturale Variationen auf allen Ebenen des Nervensystems. Dabei spielt eine gewichtete Auswahl, die sowohl in der persönlichen Geschichte des Menschen wie auch in seiner Evolution begründet sind eine besondere Rolle, um spezifische Funktionen zu aktivieren. Die selektive Intelligenz ist nicht auf spezielle Details ausgerichtet, sondern ist von einem persönlichen und typisch menschlichen Repertoire abhängig. Die Teileinheiten dieses Repertoirs sind mit großer strukturaler Vielfalt ausgestattet, die ausreichen, um Assoziationen hervorzurufen und Überlappungen verschiedener Erfahrungen zu veranstalten. Das heißt: ein System oder das Gehirn muß ein Grundrepertoire besitzen. Wahrnehmung und Verarbeitung in Symbolbedeutungen müssen der Verschiedenheit der Außenwelt begegnet sein und begegnen und darauf reagieren können. Das System oder Gehirn muß eine grundlegende Mechanik auslösen, um das Repertoire zu erweitern, um sich der Außenwelt anzupassen oder sie im speziellen Fall zu verändern. Nur das menschliche Gehirn verfügt eben über die Möglichkeit der nichtlinearen Interaktionen und Kom-munikationsformen. Durch die Sprache, eine Symbolspezialität, steigt die Komplexität nicht nur linear, sondern überproportinal.
    Defacto werden nicht Sätze oder Sinnsprüche erinnert, sondern Bilder, Begriffe, assoziative Cluster mit spezifischem Symbolgehalt.
    Literatur beginnt sobald das Symbolische der Sprache wirksam geworden ist, das sich mit der Wirkung zu verbinden hat. Es geht also um die Relationen zwischen den Bedeutungen, was die literarische Sprache ausmacht. Die geläufige Sprache kommt überhaupt nur ins Spiel durch individuelle, besondere Vorfälle. Sie wird durch Umstände erzeugt, benutzt und wieder abgelegt. Der Symbolgehalt der Sprache ist eine literarische Kategorie. Er ist mehr oder weniger ein systematischer Versuch mit und an der Sprache. Darüber wird der Sinn der Sprache erzeugt und erkannt. Die in der Literatur entstehende Sprache, das Verfahren der Sprachbildung selbst, wird als Modifikator einer subjektiven Wirklichkeitsbetrachtung verwendet. Literatur macht also Sprache in der Sprache. Diese fordert, daß die Vorstellungen durch symbolische Objekte, in Form von Worten und Gedanken ersetzt werden. Von der Vieldeutigkeit der allgemeinen Sprache ausgehend verfolgt die Literatur das Ziel der Eindeutigkeit und Bedeutung einer persönlichen Betrachtungsweise von Wirklichkeit.

    Goldmann Kommentar: My Little Dog Knows Me

    Schreiben – Wirklichkeit – Dichtung


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    Arno Schmidts fn 8 oder Adolf Wölflis fn 9 Arbeiten lassen nur die Vermutung zu, daß virulente Veränderungen im Schreib-Lese- oder Lese-Schreib-Verhalten, vorhanden waren. Vielleicht waren es so etwas wie gewollte Fehler oder absichtsvolle Eigenheiten, welche die Art der Texte oder Bilder bedingt haben? Jede krankhafte oder als Kunst deklarierte Veränderung des Lese-Schreib-Verhaltens wird durch eine Zusammenhaltefunktion, den Stil oder die Eigenart, die durch die ganze Produktion läuft, bestätigt. Ob dies als Kunst oder als Geisteskrankheit gesehen wird, ist Konventionen unterworfen.
    Man kann annehmen, daß ein großer Teil der Denkarbeit durch assoziative Speicher ermöglicht wird. Dieser entspricht dabei einem Reservat von Ideen und Verwertungen, die dann aktualisiert werden, wenn das Gehirn es entscheidet. Je nach Erfahrung und Alter wird es von einer sich immer mehr verbessernden Auflösungs- oder Interpretationstechnik unterstützt.
    Innerhalb der Sprachwelt verwendet das Gehirn die verbalen Erfahrungen als eine zeichenkettenorientierte, symbolische Sprache. Gerade zwischen dieser Sprache und den Umweltreizen kommt es zu zahlreichen wirksamen und unwirksamen Verknüpfungen, die sich nicht selten als Irrtümer, Wahnideen oder auch als Kunst und Literatur darstellen. Denken ist, so gesehen, ein Zugriffsverfahren, wobei das Vorhandene und die Konventionen der Außenwelt, ihm Bedeutung geben.
    Literatur als sprachabhängiges Wahrnehmungs- und Verarbeitungsmedium hat eine eigene Denkweise. Im Unterschied zur allgemeinen Auffassung ist es nicht einfacher Sprachgebrauch, sondern benötigt so etwas wie ein Übersetzungsprogramm innerhalb der jeweiligen Sprache. Eine Sprache in der Sprache selbst.
    In der Literatur wird ausschließlich eine Kunst- oder Hochsprache verwendet, die sich mit zunehmender Entwicklung von der Allzwecksprache fn 10 absetzt. Literatur als kulturelle Form benützt also so etwas wie Sprachverschlüssler, um das Gesprochene in Leseeinheiten zu verwandeln und Wirklichkeit zu erzeugen.
    Die Vermehrung der Sprech- und Schreibweisen erzeugt eine neue Art der Literatur und Kommunikation in dem Maße, wie diese Sprechweise und Sprache etwas erfinden, um neu zu sein. Die Literatur wird zur Utopie der Sprache, die Sprache zur Utopie der Literatur, die Literatur zur Utopie des Bewußtseins.
    Die Annahme, daß wir das verstehen oder über das reden können, was wir sehen, ist nicht haltbar.
    Das heißt, die Welt, die für den Menschen eine künstliche Sprach- und Bilder-Welt ist, wird durch eine potenzierte Künstlichkeit zur realen Welt erklärt.
    Um die Vielfalt der Welt zu begreifen, benötigt es diverser Wahrnehmungstechniken. Wenn das nicht möglich ist, wird das Gehirn mit Nullen aufgefüllt.

    IMO//IOW//IRL (in my opinion ; on other words ; in real life)

    LOL//RL//RSI (laughing out loud; real life; repetitive strain illness)

    RTFM//TMOT (read the fucking manual; trust me on this)

    WTFIGO //TBIZF (what the fuck is going on ? the brain is zeroized full)

    RIMBDD (reality is my brain-dead design)

    Kommentar Hermann Hendrich Jan.1999


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